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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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saßen. "Saget dem Fürsten von Anhalt" schreibt Friedrich Wilhelm I-
kurz nach seiner Thronbesteigung, "daß ich der Finanzminister und der Feld¬
marschall des Königs von Preußen bin; das wird den König von Preußen auf¬
rechterhalten". Daß auch diese Monarchen sich vorübergehend des Rathes und
der Mitwirkung ihrer höchsten Beamten bedienten, ist selbstverständlich. Im
Uebrigen kannten auch wir in der einen oder anderen Provinz Preußens,
wie in Frankreich, Provineialminister. Erst unter-der schwachen Regierung
Friedrich Wilhelm's II. und während der ersten Regierungsjahre Friedrich
Wilhelm's III. entwickeln sich in Preußen vom königlichen Cabinet aus
eigentliche Minister in unserem Sinne mit dem Titel "Cabinetsminister",
ursprünglich nur Gehilfen in den persönlichen Regierungsgeschäften des könig¬
lichen Arbeitszimmers, sehr-bald Persönlichkeiten von dem weitgehendsten,
unberechenbarsten Einfluß auf den Fürsten selbst, wie aus alle Staatsge¬
schäfte. Ist es nicht sonderbar, welch fremdartiger übler Klang an diesen
Leuten, den Lombard, Lucchesini, Haugwitz u. A. haftet? Als dann Stein
und die Ncgenerationsgesetzgebung den Staat und das ganze Staatsbeamten-
thum von Grund aus neu aufrichteten, glaubten sie die Cabinetsregierung
durch Organisation des "Staatsministeriums" für alle Zeit unschädlich ge¬
macht zu haben. Dieses sollte als collegiale höchste Staatsbehörde einerseits
den Geheimerath ersetzen, welcher in gemeinsamer Berathung mit dem Könige
die wichtigsten Angelegenheiten des Staats und Regiments erledigte, ande¬
rerseits mit Decernaten der einzelnen Mitglieder nach unten hin die Staats¬
verwaltung leitete, grundsätzlich aber nicht selbst verwalten sollte. So
weise diese Institution gedacht war, so wenig harte sie Bestand gegen eine
anders gewendete Strömung des Jahrhunderts. Mit dem Tode des Fürsten
v. Hardenberg zerfiel die Schöpfung, das "Staatsministerium" als collegiale
Behörde verflüchtigte sich zu einer inhaltslosen Form, die Cabinetsregierung
unter dem Einfluß vielleicht eines begünstigten Ministers, vielleicht eines
Cabinetsraths, vielleicht eines Generaladjutanten trat wieder in den Vorder¬
grund, und die Minister entschädigten sich nach unten hin dadurch, daß sich
jeder sein eigenes "Ministerium" bildete durch Heranziehung einer immer
größeren Zahl von Hilfsarbeitern und durch Usurpation immer größerer Gebiete
der eigentlichen Verwaltung. Man muß noch sehr jungfräuliche Anschauungen
vom modernen Staate haben, um sich unter dem Ding, das sich "Ministerium"
nennt, irgend eine organische Institution vorzustellen. Seit 1866 vollends
sind die preußischen Ministerien so kolossale und unförmliche Centralverwal-
tungsapparate geworden, daß eine ungemein kräftige Hand erforderlich sein
wird, um eine wirkliche Regeneration unserer durch und durch ungesunden
Verwaltungszustände durchzuführen. Ob es im Interesse besenderer Centra¬
lisation auf rein mechanischem Wege oder im Interesse provincieller und


saßen. „Saget dem Fürsten von Anhalt" schreibt Friedrich Wilhelm I-
kurz nach seiner Thronbesteigung, „daß ich der Finanzminister und der Feld¬
marschall des Königs von Preußen bin; das wird den König von Preußen auf¬
rechterhalten". Daß auch diese Monarchen sich vorübergehend des Rathes und
der Mitwirkung ihrer höchsten Beamten bedienten, ist selbstverständlich. Im
Uebrigen kannten auch wir in der einen oder anderen Provinz Preußens,
wie in Frankreich, Provineialminister. Erst unter-der schwachen Regierung
Friedrich Wilhelm's II. und während der ersten Regierungsjahre Friedrich
Wilhelm's III. entwickeln sich in Preußen vom königlichen Cabinet aus
eigentliche Minister in unserem Sinne mit dem Titel „Cabinetsminister",
ursprünglich nur Gehilfen in den persönlichen Regierungsgeschäften des könig¬
lichen Arbeitszimmers, sehr-bald Persönlichkeiten von dem weitgehendsten,
unberechenbarsten Einfluß auf den Fürsten selbst, wie aus alle Staatsge¬
schäfte. Ist es nicht sonderbar, welch fremdartiger übler Klang an diesen
Leuten, den Lombard, Lucchesini, Haugwitz u. A. haftet? Als dann Stein
und die Ncgenerationsgesetzgebung den Staat und das ganze Staatsbeamten-
thum von Grund aus neu aufrichteten, glaubten sie die Cabinetsregierung
durch Organisation des „Staatsministeriums" für alle Zeit unschädlich ge¬
macht zu haben. Dieses sollte als collegiale höchste Staatsbehörde einerseits
den Geheimerath ersetzen, welcher in gemeinsamer Berathung mit dem Könige
die wichtigsten Angelegenheiten des Staats und Regiments erledigte, ande¬
rerseits mit Decernaten der einzelnen Mitglieder nach unten hin die Staats¬
verwaltung leitete, grundsätzlich aber nicht selbst verwalten sollte. So
weise diese Institution gedacht war, so wenig harte sie Bestand gegen eine
anders gewendete Strömung des Jahrhunderts. Mit dem Tode des Fürsten
v. Hardenberg zerfiel die Schöpfung, das „Staatsministerium" als collegiale
Behörde verflüchtigte sich zu einer inhaltslosen Form, die Cabinetsregierung
unter dem Einfluß vielleicht eines begünstigten Ministers, vielleicht eines
Cabinetsraths, vielleicht eines Generaladjutanten trat wieder in den Vorder¬
grund, und die Minister entschädigten sich nach unten hin dadurch, daß sich
jeder sein eigenes „Ministerium" bildete durch Heranziehung einer immer
größeren Zahl von Hilfsarbeitern und durch Usurpation immer größerer Gebiete
der eigentlichen Verwaltung. Man muß noch sehr jungfräuliche Anschauungen
vom modernen Staate haben, um sich unter dem Ding, das sich „Ministerium"
nennt, irgend eine organische Institution vorzustellen. Seit 1866 vollends
sind die preußischen Ministerien so kolossale und unförmliche Centralverwal-
tungsapparate geworden, daß eine ungemein kräftige Hand erforderlich sein
wird, um eine wirkliche Regeneration unserer durch und durch ungesunden
Verwaltungszustände durchzuführen. Ob es im Interesse besenderer Centra¬
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[0398] saßen. „Saget dem Fürsten von Anhalt" schreibt Friedrich Wilhelm I- kurz nach seiner Thronbesteigung, „daß ich der Finanzminister und der Feld¬ marschall des Königs von Preußen bin; das wird den König von Preußen auf¬ rechterhalten". Daß auch diese Monarchen sich vorübergehend des Rathes und der Mitwirkung ihrer höchsten Beamten bedienten, ist selbstverständlich. Im Uebrigen kannten auch wir in der einen oder anderen Provinz Preußens, wie in Frankreich, Provineialminister. Erst unter-der schwachen Regierung Friedrich Wilhelm's II. und während der ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelm's III. entwickeln sich in Preußen vom königlichen Cabinet aus eigentliche Minister in unserem Sinne mit dem Titel „Cabinetsminister", ursprünglich nur Gehilfen in den persönlichen Regierungsgeschäften des könig¬ lichen Arbeitszimmers, sehr-bald Persönlichkeiten von dem weitgehendsten, unberechenbarsten Einfluß auf den Fürsten selbst, wie aus alle Staatsge¬ schäfte. Ist es nicht sonderbar, welch fremdartiger übler Klang an diesen Leuten, den Lombard, Lucchesini, Haugwitz u. A. haftet? Als dann Stein und die Ncgenerationsgesetzgebung den Staat und das ganze Staatsbeamten- thum von Grund aus neu aufrichteten, glaubten sie die Cabinetsregierung durch Organisation des „Staatsministeriums" für alle Zeit unschädlich ge¬ macht zu haben. Dieses sollte als collegiale höchste Staatsbehörde einerseits den Geheimerath ersetzen, welcher in gemeinsamer Berathung mit dem Könige die wichtigsten Angelegenheiten des Staats und Regiments erledigte, ande¬ rerseits mit Decernaten der einzelnen Mitglieder nach unten hin die Staats¬ verwaltung leitete, grundsätzlich aber nicht selbst verwalten sollte. So weise diese Institution gedacht war, so wenig harte sie Bestand gegen eine anders gewendete Strömung des Jahrhunderts. Mit dem Tode des Fürsten v. Hardenberg zerfiel die Schöpfung, das „Staatsministerium" als collegiale Behörde verflüchtigte sich zu einer inhaltslosen Form, die Cabinetsregierung unter dem Einfluß vielleicht eines begünstigten Ministers, vielleicht eines Cabinetsraths, vielleicht eines Generaladjutanten trat wieder in den Vorder¬ grund, und die Minister entschädigten sich nach unten hin dadurch, daß sich jeder sein eigenes „Ministerium" bildete durch Heranziehung einer immer größeren Zahl von Hilfsarbeitern und durch Usurpation immer größerer Gebiete der eigentlichen Verwaltung. Man muß noch sehr jungfräuliche Anschauungen vom modernen Staate haben, um sich unter dem Ding, das sich „Ministerium" nennt, irgend eine organische Institution vorzustellen. Seit 1866 vollends sind die preußischen Ministerien so kolossale und unförmliche Centralverwal- tungsapparate geworden, daß eine ungemein kräftige Hand erforderlich sein wird, um eine wirkliche Regeneration unserer durch und durch ungesunden Verwaltungszustände durchzuführen. Ob es im Interesse besenderer Centra¬ lisation auf rein mechanischem Wege oder im Interesse provincieller und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/398>, abgerufen am 06.02.2025.