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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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lehrsamkeit und Scharfsinn eitel Scholastik, unfruchtbare Speculation, wissen¬
schaftliche Schultheorie. Es sei mir vergönnt, soweit das an dieser Stelle
möglich, die Häresie kurz zu rechtfertigen.

Die ganze Lehre von der constitutionellen Ministerverantwortlichkeit ist
schon in der Fragstellung so unglücklich formulirt, daß alle Lösungen der
Frage mißgebildet und ohne Lebensfähigkeit bleiben müssen. Wie in aller
Welt kommt man dazu, die Minister so ohne Weiteres als einen organischen
Bestandtheil des constitutionellen Staats zu behandeln, Begriff, Bedeutung,
rechtliche Natur, geschichtliches und herkömmliches Wesen dieser Personen als
feststehend und selbstverständlich vorauszusetzen? Hält man es denn gar nicht
der Mühe werth, etwas in die Vergangenheit des absoluten Staats zurück¬
zublicken und zu untersuchen, wie höchst sonderbar, verworren und willkür¬
lich die constitutionelle Doctrin aus dem verbrauchten Inventar des fürst¬
lichen Absolutismus, aus einer höchst zweideutigen Classe halb aus Höflingen,
halb aus Beamten zusammengesetzter Leute sich den sogenannten Schlußstein
des Systems zusammengeschnitzelt hat? Aus der grauen Vorzeit des deutsch¬
romanischen Staates im Frankenreiche, wo wir in den "eg-Manet ministe-
riales", dem Kämmerer, Seneschall, Truchseß, Marschall. wohl zuerst dem
Namen und Wesen der Minister begegnen, ist ihnen etwas haften geblieben
von dem Stande der Ministerialen, der Dienstleute, dem sie angehörten, von
der grundsätzlichen Nicht-Theilhaftigkeit an der Gen ossenschast des
Landrechts, von ihrem Beruf, als höchste Hof- und Staatsbeamte, wie
ein deutscher Rechtshistoriker sich ausdrückt, "für die Umgebung und Be¬
rathung des Königs, für den Glanz des Hofes, den Empfang der Frem¬
den, den Zutritt zum König und eine freigebige Gastlichkeit zu sorgen."
Als dann nach der Auflösung des Lehnsstaats zuerst wieder in Frankreich
an die Traditionen der fränkischen Monarchie und des karolingischen Be¬
amtenstaats angeknüpft wurde, treibt der Ministerialismus, freilich jetzt unter
sehr veränderten Formen, neue Keime. Der Hof der Valois und Bourbons
liegt weit ab von dem Reichshofe Kaiser Karl's, dem veredelten Abbilde
des gemeinen deutschen Hofwesens. Aus Tocqueville's so unendlich lehr¬
reichen Buche über die alte Regierung und die Revolution Frankreichs
wissen wir, wie die administrative Centralisation "cette dslle con<MtL guf.
nous suvie" mit dem "Conseil an roi" anhebt, bestehend aus
"simxlss äormeurs Ä'avis" von allmächtigen Einfluß auf alle Staatsge¬
schäfte. "Dieses Conseil" sagt Tocqueville, "ist durchaus nicht zusammen¬
gesetzt aus hohen Adligen, sondern aus Persönlichkeiten mittlerer oder nie¬
derer Geburt, alten Intendanten und anderen geschäftlich routinirten Leuten,
mit stets widerruflicher Stellung. Es handelt in der Regel discret und ge¬
räuschlos, zeigt stets weniger Ansprüche als Gewalt. Auch ist es an und


lehrsamkeit und Scharfsinn eitel Scholastik, unfruchtbare Speculation, wissen¬
schaftliche Schultheorie. Es sei mir vergönnt, soweit das an dieser Stelle
möglich, die Häresie kurz zu rechtfertigen.

Die ganze Lehre von der constitutionellen Ministerverantwortlichkeit ist
schon in der Fragstellung so unglücklich formulirt, daß alle Lösungen der
Frage mißgebildet und ohne Lebensfähigkeit bleiben müssen. Wie in aller
Welt kommt man dazu, die Minister so ohne Weiteres als einen organischen
Bestandtheil des constitutionellen Staats zu behandeln, Begriff, Bedeutung,
rechtliche Natur, geschichtliches und herkömmliches Wesen dieser Personen als
feststehend und selbstverständlich vorauszusetzen? Hält man es denn gar nicht
der Mühe werth, etwas in die Vergangenheit des absoluten Staats zurück¬
zublicken und zu untersuchen, wie höchst sonderbar, verworren und willkür¬
lich die constitutionelle Doctrin aus dem verbrauchten Inventar des fürst¬
lichen Absolutismus, aus einer höchst zweideutigen Classe halb aus Höflingen,
halb aus Beamten zusammengesetzter Leute sich den sogenannten Schlußstein
des Systems zusammengeschnitzelt hat? Aus der grauen Vorzeit des deutsch¬
romanischen Staates im Frankenreiche, wo wir in den „eg-Manet ministe-
riales", dem Kämmerer, Seneschall, Truchseß, Marschall. wohl zuerst dem
Namen und Wesen der Minister begegnen, ist ihnen etwas haften geblieben
von dem Stande der Ministerialen, der Dienstleute, dem sie angehörten, von
der grundsätzlichen Nicht-Theilhaftigkeit an der Gen ossenschast des
Landrechts, von ihrem Beruf, als höchste Hof- und Staatsbeamte, wie
ein deutscher Rechtshistoriker sich ausdrückt, „für die Umgebung und Be¬
rathung des Königs, für den Glanz des Hofes, den Empfang der Frem¬
den, den Zutritt zum König und eine freigebige Gastlichkeit zu sorgen."
Als dann nach der Auflösung des Lehnsstaats zuerst wieder in Frankreich
an die Traditionen der fränkischen Monarchie und des karolingischen Be¬
amtenstaats angeknüpft wurde, treibt der Ministerialismus, freilich jetzt unter
sehr veränderten Formen, neue Keime. Der Hof der Valois und Bourbons
liegt weit ab von dem Reichshofe Kaiser Karl's, dem veredelten Abbilde
des gemeinen deutschen Hofwesens. Aus Tocqueville's so unendlich lehr¬
reichen Buche über die alte Regierung und die Revolution Frankreichs
wissen wir, wie die administrative Centralisation „cette dslle con<MtL guf.
nous suvie" mit dem „Conseil an roi" anhebt, bestehend aus
„simxlss äormeurs Ä'avis" von allmächtigen Einfluß auf alle Staatsge¬
schäfte. „Dieses Conseil" sagt Tocqueville, „ist durchaus nicht zusammen¬
gesetzt aus hohen Adligen, sondern aus Persönlichkeiten mittlerer oder nie¬
derer Geburt, alten Intendanten und anderen geschäftlich routinirten Leuten,
mit stets widerruflicher Stellung. Es handelt in der Regel discret und ge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/396>, abgerufen am 06.02.2025.