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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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lich durch. Bemerkenswerth war bei dieser Wahl noch, daß die Re¬
gierung, um die Organisation jeden Widerstandes gegen ihre Candidaten
zu brechen, schon für den Tag nach dem Begräbniß des seitherigen Stände¬
mitgliedes, des bekannten Geh. Rath Seetz. die Wahlmänner zur Neu"
Wahl durch erpresse Boten zusammenholen ließ. -- Ebensowenig feiern Staats¬
anwälte und Criminalgerichte gegen die nationale Partei. Es werden in
diesem Augenblick der Zollparlamentsabgeordnete Bamberger mit einer Anzahl
Genossen processirt, weil sie in einem Wahlaufruf gesagt haben die hessische
Regierung sei ein Bündniß mit der Intoleranz eingegangen (wörtlich). Der
Staatsanwalt hat aus zweimonatliche Festungsstrafe und 200 Gulden Geld¬
strafe angetragen. Das Urtheil des Gerichtes steht noch aus. Der Redacteur
eines nationalen Blattes wurde gar zu vier Monat Correctionshaus ver¬
urtheilt, weil er während der Parlamentswahlen in einem politischen Streit
im Wirthshaus das Uegierungssystem in Hessen als ein schmähliches bezeich¬
net hatte. Die Strafe wurde dann auf zwei Monate Gefängniß von der
höheren Instanz gemildert.

Derartige Verfolgungen die zu schwach sind um eine Partei niederzu¬
schlagen dienen als trefflicher Sporn, dieselbe in Athem zu halten und so
ist die nationale Partei in Hessen-Darmstadt derzeit, wie es scheint, die
rührigste von allen nationalen Parteiverbindungen des deutschen Südens.
Sie ist die einzige die bis jetzt zu einer Organisation in Vereinsform gelangt
ist. Der Verein, an dessen Spitze ein Landesausschuß steht, gliedert sich in
Kreisvereine die nach Parlaments- und Zollparlamentswahlbezirken abgegrenzt
sind und nimmt allenthalben einen lebhaften Fortgang.

Das Bild, welches vorstehend von dem augenblicklichen öffentlichen Zu¬
stand in Hessen gegeben wurde, wäre unvollständig, wenn nicht noch mit
ein paar Worten die kirchlichen Zustände des Landes berührt würden. Daß
^Herr v. Dalwigk, sich über das bisherige Landesrecht kurzer Hand hinweg¬
setzend, mit dem Mainzer Bischof einen Vertrag über die Rechtsverhältnisse
der katholischen Kirche abschloß, ist bekannt und in ganz Deutschland hin¬
länglich gewürdigt. Die ultramontane Partei, die anfangs nur einen Theil
der Bureaukratie zum Gegner gehabt hatte, während die Bevölkerung im
Ganzen gleichgültig war, eroberte allmälig in den Ministerien die einflu߬
reichsten Stellen für ihre Parteigenossen und hatte darum bis zum Jahre
1839 die beinahe unbestrittene Herrschaft im Lande. Mit dem Erwachen
des nationalen Lebens in jenem Jahre organisirte sich die liberale Partei,
um den Kampf mit den Mtramontanen aufzunehmen. Die protestantische
Geistlichkeit hielt sich in beinah vollständiger Passivität. So ging es bis in
das Jahr 1866. Damals, als der politische Kampf sich nach einer ganz an¬
deren Seite hingezogen hatte, traten nun die drei protestantischen Superin-


lich durch. Bemerkenswerth war bei dieser Wahl noch, daß die Re¬
gierung, um die Organisation jeden Widerstandes gegen ihre Candidaten
zu brechen, schon für den Tag nach dem Begräbniß des seitherigen Stände¬
mitgliedes, des bekannten Geh. Rath Seetz. die Wahlmänner zur Neu«
Wahl durch erpresse Boten zusammenholen ließ. — Ebensowenig feiern Staats¬
anwälte und Criminalgerichte gegen die nationale Partei. Es werden in
diesem Augenblick der Zollparlamentsabgeordnete Bamberger mit einer Anzahl
Genossen processirt, weil sie in einem Wahlaufruf gesagt haben die hessische
Regierung sei ein Bündniß mit der Intoleranz eingegangen (wörtlich). Der
Staatsanwalt hat aus zweimonatliche Festungsstrafe und 200 Gulden Geld¬
strafe angetragen. Das Urtheil des Gerichtes steht noch aus. Der Redacteur
eines nationalen Blattes wurde gar zu vier Monat Correctionshaus ver¬
urtheilt, weil er während der Parlamentswahlen in einem politischen Streit
im Wirthshaus das Uegierungssystem in Hessen als ein schmähliches bezeich¬
net hatte. Die Strafe wurde dann auf zwei Monate Gefängniß von der
höheren Instanz gemildert.

Derartige Verfolgungen die zu schwach sind um eine Partei niederzu¬
schlagen dienen als trefflicher Sporn, dieselbe in Athem zu halten und so
ist die nationale Partei in Hessen-Darmstadt derzeit, wie es scheint, die
rührigste von allen nationalen Parteiverbindungen des deutschen Südens.
Sie ist die einzige die bis jetzt zu einer Organisation in Vereinsform gelangt
ist. Der Verein, an dessen Spitze ein Landesausschuß steht, gliedert sich in
Kreisvereine die nach Parlaments- und Zollparlamentswahlbezirken abgegrenzt
sind und nimmt allenthalben einen lebhaften Fortgang.

Das Bild, welches vorstehend von dem augenblicklichen öffentlichen Zu¬
stand in Hessen gegeben wurde, wäre unvollständig, wenn nicht noch mit
ein paar Worten die kirchlichen Zustände des Landes berührt würden. Daß
^Herr v. Dalwigk, sich über das bisherige Landesrecht kurzer Hand hinweg¬
setzend, mit dem Mainzer Bischof einen Vertrag über die Rechtsverhältnisse
der katholischen Kirche abschloß, ist bekannt und in ganz Deutschland hin¬
länglich gewürdigt. Die ultramontane Partei, die anfangs nur einen Theil
der Bureaukratie zum Gegner gehabt hatte, während die Bevölkerung im
Ganzen gleichgültig war, eroberte allmälig in den Ministerien die einflu߬
reichsten Stellen für ihre Parteigenossen und hatte darum bis zum Jahre
1839 die beinahe unbestrittene Herrschaft im Lande. Mit dem Erwachen
des nationalen Lebens in jenem Jahre organisirte sich die liberale Partei,
um den Kampf mit den Mtramontanen aufzunehmen. Die protestantische
Geistlichkeit hielt sich in beinah vollständiger Passivität. So ging es bis in
das Jahr 1866. Damals, als der politische Kampf sich nach einer ganz an¬
deren Seite hingezogen hatte, traten nun die drei protestantischen Superin-


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[0382] lich durch. Bemerkenswerth war bei dieser Wahl noch, daß die Re¬ gierung, um die Organisation jeden Widerstandes gegen ihre Candidaten zu brechen, schon für den Tag nach dem Begräbniß des seitherigen Stände¬ mitgliedes, des bekannten Geh. Rath Seetz. die Wahlmänner zur Neu« Wahl durch erpresse Boten zusammenholen ließ. — Ebensowenig feiern Staats¬ anwälte und Criminalgerichte gegen die nationale Partei. Es werden in diesem Augenblick der Zollparlamentsabgeordnete Bamberger mit einer Anzahl Genossen processirt, weil sie in einem Wahlaufruf gesagt haben die hessische Regierung sei ein Bündniß mit der Intoleranz eingegangen (wörtlich). Der Staatsanwalt hat aus zweimonatliche Festungsstrafe und 200 Gulden Geld¬ strafe angetragen. Das Urtheil des Gerichtes steht noch aus. Der Redacteur eines nationalen Blattes wurde gar zu vier Monat Correctionshaus ver¬ urtheilt, weil er während der Parlamentswahlen in einem politischen Streit im Wirthshaus das Uegierungssystem in Hessen als ein schmähliches bezeich¬ net hatte. Die Strafe wurde dann auf zwei Monate Gefängniß von der höheren Instanz gemildert. Derartige Verfolgungen die zu schwach sind um eine Partei niederzu¬ schlagen dienen als trefflicher Sporn, dieselbe in Athem zu halten und so ist die nationale Partei in Hessen-Darmstadt derzeit, wie es scheint, die rührigste von allen nationalen Parteiverbindungen des deutschen Südens. Sie ist die einzige die bis jetzt zu einer Organisation in Vereinsform gelangt ist. Der Verein, an dessen Spitze ein Landesausschuß steht, gliedert sich in Kreisvereine die nach Parlaments- und Zollparlamentswahlbezirken abgegrenzt sind und nimmt allenthalben einen lebhaften Fortgang. Das Bild, welches vorstehend von dem augenblicklichen öffentlichen Zu¬ stand in Hessen gegeben wurde, wäre unvollständig, wenn nicht noch mit ein paar Worten die kirchlichen Zustände des Landes berührt würden. Daß ^Herr v. Dalwigk, sich über das bisherige Landesrecht kurzer Hand hinweg¬ setzend, mit dem Mainzer Bischof einen Vertrag über die Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche abschloß, ist bekannt und in ganz Deutschland hin¬ länglich gewürdigt. Die ultramontane Partei, die anfangs nur einen Theil der Bureaukratie zum Gegner gehabt hatte, während die Bevölkerung im Ganzen gleichgültig war, eroberte allmälig in den Ministerien die einflu߬ reichsten Stellen für ihre Parteigenossen und hatte darum bis zum Jahre 1839 die beinahe unbestrittene Herrschaft im Lande. Mit dem Erwachen des nationalen Lebens in jenem Jahre organisirte sich die liberale Partei, um den Kampf mit den Mtramontanen aufzunehmen. Die protestantische Geistlichkeit hielt sich in beinah vollständiger Passivität. So ging es bis in das Jahr 1866. Damals, als der politische Kampf sich nach einer ganz an¬ deren Seite hingezogen hatte, traten nun die drei protestantischen Superin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/382>, abgerufen am 06.02.2025.