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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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quartirt waren. Nachmittag legten wir uns schlafen, ich konnte aber kein
Auge schließen; die Zelte waren längs der Poststraße aufgestellt, die über
einen Bach in den Wald führte. Ich hörte Postglocken. das Rollen eines
Postwagens, blickte durch die Ritze des Zeltes und als ich einen grünen
Schleier bemerkte, warf ich meinen Rock über die Schulter und lief hinaus
dem Wagen entgegen. Nikolai Bestushew lief mir nach, konnte mich aber
nicht einholen; die vor uns aufgestellten Schildwachen warfen sich mir entge¬
gen, um mich aufzuhalten, aber vergeblich, ich schlüpfte durch -- einige
Schritt von den Schildwachen hielt der Postwagen, einen Augenblick später
hielt ich meine Frau in den Armen.

Die Schildwachen blieben unbeweglich stehen; in den ersten Augenblicken
gab ich mich einer unbeschreiblichen Freude hin. Aber wohin sollte ich meine
Frau führen? sie konnte nach der angreifenden Fahrt kaum gehen. Glückli-'
cherweise kam der Platzadjutant Capitän Rosenberg, der mich benachrichtigte,
daß er vom Commandanten den Befehl erhalten habe, mich mit meiner Frau
in einem Bauernhause einzuquartieren und eine Wache daselbst aufzustellen.
Meine Frau hatte nur eine Magd und einen Reisesack mit sich. Fragen
und Antworten über meinen Tobn, meine Verwandten, über das vergangene
und bevorstehende Leben erfüllten die ersten, schnell verrauschten Stunden.
Ich mußte fortgehen, um das Abendbrot auszutheilen, und überredete meine
Frau, während dessen Frau Naryschkin zu besuchen. Als ich mich den Zel¬
ten näherte, kamen mir meine Kameraden sämmtlich entgegen, um mir Glück
zu wünschen; sie umarmten mich und in manchem Auge sah ich Thränen
stehen. Man ließ mich nicht zur Küche gehen, sondern hatte mein Geschäft
bereits verrichtet. Ich wollte meine Frau mit unserer Kost bewirthen, aber
Jakubowitsch hatte ihr bereits eine treffliche Brühe zum Willkommen be-
reitet. Andern Tages rückte ich mit meinem Geleite und meinen Kesseln
weiter; meine Frau holte mich in einem Postwagen ein. Den ganzen Tag
ging ich neben ihrem Wagen und unterhielt mich mit ihr. Ich wollte mich
nicht aufsetzen, weil ich mir das Wort gegeben hatte, aus Tschita nach Pe-
trowsk zu Fuße zu gehen. -- In den ersten Tagen konnte meine Frau
kaum eine Werst mit mir gehen; nach einer Woche, als wir uns dem Ufer
der Selenga näherten, ging sie mir mir schon sechs bis zehn Werst. Das
Wetter war schön; von 10--2 Uhr wärmte die Sonne so tüchtig, daß meine
Frau in einem leichten Sommerkleide gehen konnte. -- Eine Nacht brachten
wir in einem Filzzelte zu, wo wir Briefe von unserem Sohne und unseren
Verwandten lasen; dieses Nachtlager gefiel meiner Frau besonders, weil sie
durch die Rauchöffnung des Zeltes gerade über ihrem Haupte den gestirnten'
Himmel sehen konnte.

Nach einigen Tagen erreichten wir das Ufer der Selenga, die reizendste
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quartirt waren. Nachmittag legten wir uns schlafen, ich konnte aber kein
Auge schließen; die Zelte waren längs der Poststraße aufgestellt, die über
einen Bach in den Wald führte. Ich hörte Postglocken. das Rollen eines
Postwagens, blickte durch die Ritze des Zeltes und als ich einen grünen
Schleier bemerkte, warf ich meinen Rock über die Schulter und lief hinaus
dem Wagen entgegen. Nikolai Bestushew lief mir nach, konnte mich aber
nicht einholen; die vor uns aufgestellten Schildwachen warfen sich mir entge¬
gen, um mich aufzuhalten, aber vergeblich, ich schlüpfte durch — einige
Schritt von den Schildwachen hielt der Postwagen, einen Augenblick später
hielt ich meine Frau in den Armen.

Die Schildwachen blieben unbeweglich stehen; in den ersten Augenblicken
gab ich mich einer unbeschreiblichen Freude hin. Aber wohin sollte ich meine
Frau führen? sie konnte nach der angreifenden Fahrt kaum gehen. Glückli-'
cherweise kam der Platzadjutant Capitän Rosenberg, der mich benachrichtigte,
daß er vom Commandanten den Befehl erhalten habe, mich mit meiner Frau
in einem Bauernhause einzuquartieren und eine Wache daselbst aufzustellen.
Meine Frau hatte nur eine Magd und einen Reisesack mit sich. Fragen
und Antworten über meinen Tobn, meine Verwandten, über das vergangene
und bevorstehende Leben erfüllten die ersten, schnell verrauschten Stunden.
Ich mußte fortgehen, um das Abendbrot auszutheilen, und überredete meine
Frau, während dessen Frau Naryschkin zu besuchen. Als ich mich den Zel¬
ten näherte, kamen mir meine Kameraden sämmtlich entgegen, um mir Glück
zu wünschen; sie umarmten mich und in manchem Auge sah ich Thränen
stehen. Man ließ mich nicht zur Küche gehen, sondern hatte mein Geschäft
bereits verrichtet. Ich wollte meine Frau mit unserer Kost bewirthen, aber
Jakubowitsch hatte ihr bereits eine treffliche Brühe zum Willkommen be-
reitet. Andern Tages rückte ich mit meinem Geleite und meinen Kesseln
weiter; meine Frau holte mich in einem Postwagen ein. Den ganzen Tag
ging ich neben ihrem Wagen und unterhielt mich mit ihr. Ich wollte mich
nicht aufsetzen, weil ich mir das Wort gegeben hatte, aus Tschita nach Pe-
trowsk zu Fuße zu gehen. — In den ersten Tagen konnte meine Frau
kaum eine Werst mit mir gehen; nach einer Woche, als wir uns dem Ufer
der Selenga näherten, ging sie mir mir schon sechs bis zehn Werst. Das
Wetter war schön; von 10—2 Uhr wärmte die Sonne so tüchtig, daß meine
Frau in einem leichten Sommerkleide gehen konnte. — Eine Nacht brachten
wir in einem Filzzelte zu, wo wir Briefe von unserem Sohne und unseren
Verwandten lasen; dieses Nachtlager gefiel meiner Frau besonders, weil sie
durch die Rauchöffnung des Zeltes gerade über ihrem Haupte den gestirnten'
Himmel sehen konnte.

Nach einigen Tagen erreichten wir das Ufer der Selenga, die reizendste
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[0373] quartirt waren. Nachmittag legten wir uns schlafen, ich konnte aber kein Auge schließen; die Zelte waren längs der Poststraße aufgestellt, die über einen Bach in den Wald führte. Ich hörte Postglocken. das Rollen eines Postwagens, blickte durch die Ritze des Zeltes und als ich einen grünen Schleier bemerkte, warf ich meinen Rock über die Schulter und lief hinaus dem Wagen entgegen. Nikolai Bestushew lief mir nach, konnte mich aber nicht einholen; die vor uns aufgestellten Schildwachen warfen sich mir entge¬ gen, um mich aufzuhalten, aber vergeblich, ich schlüpfte durch — einige Schritt von den Schildwachen hielt der Postwagen, einen Augenblick später hielt ich meine Frau in den Armen. Die Schildwachen blieben unbeweglich stehen; in den ersten Augenblicken gab ich mich einer unbeschreiblichen Freude hin. Aber wohin sollte ich meine Frau führen? sie konnte nach der angreifenden Fahrt kaum gehen. Glückli-' cherweise kam der Platzadjutant Capitän Rosenberg, der mich benachrichtigte, daß er vom Commandanten den Befehl erhalten habe, mich mit meiner Frau in einem Bauernhause einzuquartieren und eine Wache daselbst aufzustellen. Meine Frau hatte nur eine Magd und einen Reisesack mit sich. Fragen und Antworten über meinen Tobn, meine Verwandten, über das vergangene und bevorstehende Leben erfüllten die ersten, schnell verrauschten Stunden. Ich mußte fortgehen, um das Abendbrot auszutheilen, und überredete meine Frau, während dessen Frau Naryschkin zu besuchen. Als ich mich den Zel¬ ten näherte, kamen mir meine Kameraden sämmtlich entgegen, um mir Glück zu wünschen; sie umarmten mich und in manchem Auge sah ich Thränen stehen. Man ließ mich nicht zur Küche gehen, sondern hatte mein Geschäft bereits verrichtet. Ich wollte meine Frau mit unserer Kost bewirthen, aber Jakubowitsch hatte ihr bereits eine treffliche Brühe zum Willkommen be- reitet. Andern Tages rückte ich mit meinem Geleite und meinen Kesseln weiter; meine Frau holte mich in einem Postwagen ein. Den ganzen Tag ging ich neben ihrem Wagen und unterhielt mich mit ihr. Ich wollte mich nicht aufsetzen, weil ich mir das Wort gegeben hatte, aus Tschita nach Pe- trowsk zu Fuße zu gehen. — In den ersten Tagen konnte meine Frau kaum eine Werst mit mir gehen; nach einer Woche, als wir uns dem Ufer der Selenga näherten, ging sie mir mir schon sechs bis zehn Werst. Das Wetter war schön; von 10—2 Uhr wärmte die Sonne so tüchtig, daß meine Frau in einem leichten Sommerkleide gehen konnte. — Eine Nacht brachten wir in einem Filzzelte zu, wo wir Briefe von unserem Sohne und unseren Verwandten lasen; dieses Nachtlager gefiel meiner Frau besonders, weil sie durch die Rauchöffnung des Zeltes gerade über ihrem Haupte den gestirnten' Himmel sehen konnte. Nach einigen Tagen erreichten wir das Ufer der Selenga, die reizendste ' 44"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/373>, abgerufen am 06.02.2025.