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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Verbeugungen zogen die Neugierigen sich von dem Fuhrwerke und dessen
mysteriösem Besitzer wieder zurück. -- Ein kleiner Theil dieses Nomaden¬
stammes ist zum Christenthum bekehrt, lebt in Häusern und treibt Ackerbau;
die Uebrigen sind Götzendiener und werden von ihren Priestern den Scha¬
manen geleitet, welch' letztere den Aberglauben absichtlich erhalten, sich ge¬
legentlich bis zur Ohnmacht verrenken und in dem Zustande völliger Be¬
wußtlosigkeit prophezeien und verwünschen. Die Unreinlichkeit der Burjäten
erreicht den höchsten überhaupt denkbaren Grad: sie haben keine Wäsche,
tragen ihre Pelze auf dem bloßen Körper, eine Fußbekleidung aus Gemsen¬
fell und Winter und Sommer kleine Pelzmützen; ihr Haupthaar rasiren sie
bis auf einen Zopf, der den Scheitel krönt, völlig ab. Kleine Augen, niedrige
und flache Stirn, viereckige Gesichter mit breit hervorstehenden Backenknochen,
.blaßgelbe Gesichtsfarbe sind die Kennzeichen ihres Stammes. Unter sich
nennen sie sich Mendu, der Gruß den wir täglich mit ihnen wechselten,
lautete amur-meuäu.

Bis zur Stadt Werchne-Udinsk nächtigten wir stets in Filzzelten, die gut
gemacht waren und keinen Wind durchließen; an kalten Abenden wurde in
der Mitte des Zelts Feuer angemacht. Im Mittelpunkte des Daches ist
eine Oeffnung mit Klappen angebracht, aus welcher der Rauch entweicht.
Um das Feuer setzt sich die Familie des Burjäten auf Filzdecken nieder;
nackte Kinder wälzen sich zwischen den Erwachsenen, welche Thierfelle mit
den Zähnen zerreißen und zuschneiden, Pfeile drechseln, Kugeln gießen oder
Filz walken. Der Leckerbissen und die hauptsächlichste Nahrung der Wohl¬
habenden ist eine besondere Art von Thee : ein Gemisch von abgefallenen und
verdorbenen Theeblättern, das durch Kirschleim und andere klebrige Stoffe
in Formen gepreßt wird, welche glatten Ziegelsteinen von 1--2 Fuß Länge,
7 Zoll Breite und 3 Zoll Dicke ähnlich sehen; dieser Thee heißt um solcher
Aehnlichkeit willen in Sibirien Ziegelsteinthee. Von diesen Platten schlagen
die Burjäten mit Beilen kleine Stückchen ab, stampfen oder pulverisiren diese
in Mörsern, kochen das Theepulver in einem Kessel, legen etwas Mehl,
Milch oder Butter und Fett dazu und trinken solches Gebräu mit Genuß
aus hölzernen lackirten Schalen, die etwas tiefer und größer als unsere Un¬
tertassen sind. -- Die Burjäten lieben den Tabak leidenschaftlich und rau¬
chen ihn aus kleinen kupfernen Pfeifen. Wenn sie die Pfeifen anrauchen,
ziehen sie allen Rauch ein. Die Pfeifen sind klein, weil der Tabak sehr theuer
ist; gegenwärtig wird derselbe übrigens vielfach in den südlichen Regionen
Sibiriens gebaut. Ohne Zweifel werden diese Nomaden mit der Zeit dem
Beispiele ihrer ansässigen Stammgenossen folgen, diemeist in einem gewissen
Wohlstande leben.

Zwei Wochen vor unserem Ausrücken aus Tschita hatte ich einen Brief


Verbeugungen zogen die Neugierigen sich von dem Fuhrwerke und dessen
mysteriösem Besitzer wieder zurück. — Ein kleiner Theil dieses Nomaden¬
stammes ist zum Christenthum bekehrt, lebt in Häusern und treibt Ackerbau;
die Uebrigen sind Götzendiener und werden von ihren Priestern den Scha¬
manen geleitet, welch' letztere den Aberglauben absichtlich erhalten, sich ge¬
legentlich bis zur Ohnmacht verrenken und in dem Zustande völliger Be¬
wußtlosigkeit prophezeien und verwünschen. Die Unreinlichkeit der Burjäten
erreicht den höchsten überhaupt denkbaren Grad: sie haben keine Wäsche,
tragen ihre Pelze auf dem bloßen Körper, eine Fußbekleidung aus Gemsen¬
fell und Winter und Sommer kleine Pelzmützen; ihr Haupthaar rasiren sie
bis auf einen Zopf, der den Scheitel krönt, völlig ab. Kleine Augen, niedrige
und flache Stirn, viereckige Gesichter mit breit hervorstehenden Backenknochen,
.blaßgelbe Gesichtsfarbe sind die Kennzeichen ihres Stammes. Unter sich
nennen sie sich Mendu, der Gruß den wir täglich mit ihnen wechselten,
lautete amur-meuäu.

Bis zur Stadt Werchne-Udinsk nächtigten wir stets in Filzzelten, die gut
gemacht waren und keinen Wind durchließen; an kalten Abenden wurde in
der Mitte des Zelts Feuer angemacht. Im Mittelpunkte des Daches ist
eine Oeffnung mit Klappen angebracht, aus welcher der Rauch entweicht.
Um das Feuer setzt sich die Familie des Burjäten auf Filzdecken nieder;
nackte Kinder wälzen sich zwischen den Erwachsenen, welche Thierfelle mit
den Zähnen zerreißen und zuschneiden, Pfeile drechseln, Kugeln gießen oder
Filz walken. Der Leckerbissen und die hauptsächlichste Nahrung der Wohl¬
habenden ist eine besondere Art von Thee : ein Gemisch von abgefallenen und
verdorbenen Theeblättern, das durch Kirschleim und andere klebrige Stoffe
in Formen gepreßt wird, welche glatten Ziegelsteinen von 1—2 Fuß Länge,
7 Zoll Breite und 3 Zoll Dicke ähnlich sehen; dieser Thee heißt um solcher
Aehnlichkeit willen in Sibirien Ziegelsteinthee. Von diesen Platten schlagen
die Burjäten mit Beilen kleine Stückchen ab, stampfen oder pulverisiren diese
in Mörsern, kochen das Theepulver in einem Kessel, legen etwas Mehl,
Milch oder Butter und Fett dazu und trinken solches Gebräu mit Genuß
aus hölzernen lackirten Schalen, die etwas tiefer und größer als unsere Un¬
tertassen sind. — Die Burjäten lieben den Tabak leidenschaftlich und rau¬
chen ihn aus kleinen kupfernen Pfeifen. Wenn sie die Pfeifen anrauchen,
ziehen sie allen Rauch ein. Die Pfeifen sind klein, weil der Tabak sehr theuer
ist; gegenwärtig wird derselbe übrigens vielfach in den südlichen Regionen
Sibiriens gebaut. Ohne Zweifel werden diese Nomaden mit der Zeit dem
Beispiele ihrer ansässigen Stammgenossen folgen, diemeist in einem gewissen
Wohlstande leben.

Zwei Wochen vor unserem Ausrücken aus Tschita hatte ich einen Brief


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[0370] Verbeugungen zogen die Neugierigen sich von dem Fuhrwerke und dessen mysteriösem Besitzer wieder zurück. — Ein kleiner Theil dieses Nomaden¬ stammes ist zum Christenthum bekehrt, lebt in Häusern und treibt Ackerbau; die Uebrigen sind Götzendiener und werden von ihren Priestern den Scha¬ manen geleitet, welch' letztere den Aberglauben absichtlich erhalten, sich ge¬ legentlich bis zur Ohnmacht verrenken und in dem Zustande völliger Be¬ wußtlosigkeit prophezeien und verwünschen. Die Unreinlichkeit der Burjäten erreicht den höchsten überhaupt denkbaren Grad: sie haben keine Wäsche, tragen ihre Pelze auf dem bloßen Körper, eine Fußbekleidung aus Gemsen¬ fell und Winter und Sommer kleine Pelzmützen; ihr Haupthaar rasiren sie bis auf einen Zopf, der den Scheitel krönt, völlig ab. Kleine Augen, niedrige und flache Stirn, viereckige Gesichter mit breit hervorstehenden Backenknochen, .blaßgelbe Gesichtsfarbe sind die Kennzeichen ihres Stammes. Unter sich nennen sie sich Mendu, der Gruß den wir täglich mit ihnen wechselten, lautete amur-meuäu. Bis zur Stadt Werchne-Udinsk nächtigten wir stets in Filzzelten, die gut gemacht waren und keinen Wind durchließen; an kalten Abenden wurde in der Mitte des Zelts Feuer angemacht. Im Mittelpunkte des Daches ist eine Oeffnung mit Klappen angebracht, aus welcher der Rauch entweicht. Um das Feuer setzt sich die Familie des Burjäten auf Filzdecken nieder; nackte Kinder wälzen sich zwischen den Erwachsenen, welche Thierfelle mit den Zähnen zerreißen und zuschneiden, Pfeile drechseln, Kugeln gießen oder Filz walken. Der Leckerbissen und die hauptsächlichste Nahrung der Wohl¬ habenden ist eine besondere Art von Thee : ein Gemisch von abgefallenen und verdorbenen Theeblättern, das durch Kirschleim und andere klebrige Stoffe in Formen gepreßt wird, welche glatten Ziegelsteinen von 1—2 Fuß Länge, 7 Zoll Breite und 3 Zoll Dicke ähnlich sehen; dieser Thee heißt um solcher Aehnlichkeit willen in Sibirien Ziegelsteinthee. Von diesen Platten schlagen die Burjäten mit Beilen kleine Stückchen ab, stampfen oder pulverisiren diese in Mörsern, kochen das Theepulver in einem Kessel, legen etwas Mehl, Milch oder Butter und Fett dazu und trinken solches Gebräu mit Genuß aus hölzernen lackirten Schalen, die etwas tiefer und größer als unsere Un¬ tertassen sind. — Die Burjäten lieben den Tabak leidenschaftlich und rau¬ chen ihn aus kleinen kupfernen Pfeifen. Wenn sie die Pfeifen anrauchen, ziehen sie allen Rauch ein. Die Pfeifen sind klein, weil der Tabak sehr theuer ist; gegenwärtig wird derselbe übrigens vielfach in den südlichen Regionen Sibiriens gebaut. Ohne Zweifel werden diese Nomaden mit der Zeit dem Beispiele ihrer ansässigen Stammgenossen folgen, diemeist in einem gewissen Wohlstande leben. Zwei Wochen vor unserem Ausrücken aus Tschita hatte ich einen Brief

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/370>, abgerufen am 06.02.2025.