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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Armee und die Bureaukratie in Betracht und für beide ist die provisorische
Regierung nicht nur den schlechtesten Traditionen der Monarchie Jsabella's
gefolgt, sondern drüber hinausgegangen. Was die Beamten betrifft, so bestand
bisher in Spanien derselbe Gebrauch wie in Amerika, daß mit der Regierung
auch ein großer Theil der Beamten wechselte; in den Vereinigten Staaten
wird diese schlimme Procedur indeß nur alle vier Jahr einmal vorgenommen,
wenn ein neuer Präsident kommt, und sie belastet die Staatscasse nicht, weil die
Beamten jederzeit widerruflich sind. In Spanien wurden die Beamten mehr oder
minder bei jedem Ministerium gewechselt und die abtretenden auf Halbsold gesetzt,
wodurch ein Haufen unzufriedener Müßiggänger geschaffen und den Finanzen eine
schwere Last aufgebürdet ward. Diesem Gebrauch, das ^.rreZIo genannt, hat die
provisorische Regierung nicht nur gehuldigt, indem sie einen Massenwechsel ein¬
treten ließ, sondern sie hat auch durch Decret das Gesetz aufgehoben, welches bisher
das Avancement im Civildienste regelte. Nur das verdient Anerkennung, daß sie
in dem provisorischen Wahlgesetz die Beamten, mit Ausnahme der in Madrid
wohnenden, für nicht wählbar erklärt hat. Noch bedenklicher ist das Ver¬
fahren mit der Armee. Die dringlichste Reform, welche allein den Finanzen
dauernde Erleichterung schaffen könnte, wäre eine starke Reduction der Streit¬
kräfte zu Lande wie zu Wasser, und eine solche würde ohne alle Gefahr vor¬
genommen werden, da Niemand Spanien anzugreifen oder zu schädigen beab¬
sichtigt: die See und die Pyrenäen schützen das Land hinlänglich. Statt
dessen hat die provisorische Regierung alle Chargen der Armee um einen
Grad avcmciren lassen, gleichviel ob sie für oder gegen Jsabella gefochten,
als ob Spanien noch nicht genug Generäle und Obersten hätte; und Serrano
hat Prim zum Generalcapitän der ganzen Armee gemacht. Diese Massen¬
promotion ohne allen Grund ist doch nur durch das Bestreben zu erklären,
die Prätorianer bei guter Laune zu erhalten, und Prim scheint sich recht¬
zeitig die Armee gewinnen zu wollen. Nach seiner Ernennung hat er die
Soldaten in einer Ansprache ermahnt, sich nicht um Politik zu kümmern,
sondern Disciplin zu halten und ihren Obern zu gehorchen. Diese Ermah¬
nung nimmt sich etwas eigenthümlich im Munde eines Generals aus, der
soeben durch politischen Aufstand ans Ruder gekommen ist; aber sie zeigt
wenigstens, daß Prim weiß worauf es ankommt und daß er sein Werkzeug
vorbereitet. Die Armee ist thatsächlich schon Meister in Spanien und wer
sie in der Hand hat beherrscht das Land, welches es ruhig über sich ergehen
lassen müßte, falls das Heer morgen Jsabella zurückriefe. Wenn, was sehr wohl
möglich, ehe die Cortes eine Verfassung ins Leben gerufen, irgendwo ein
Localaufstand ausbräche, den die Armee niederzuwerfen hätte, wenn in Folge
der Anarchie das Land nach einer Rettung der Gesellschaft, die Priester nach
Herstellung der Religion rufen sollten, so wäre die Dictatur fertig; die Ele-


Armee und die Bureaukratie in Betracht und für beide ist die provisorische
Regierung nicht nur den schlechtesten Traditionen der Monarchie Jsabella's
gefolgt, sondern drüber hinausgegangen. Was die Beamten betrifft, so bestand
bisher in Spanien derselbe Gebrauch wie in Amerika, daß mit der Regierung
auch ein großer Theil der Beamten wechselte; in den Vereinigten Staaten
wird diese schlimme Procedur indeß nur alle vier Jahr einmal vorgenommen,
wenn ein neuer Präsident kommt, und sie belastet die Staatscasse nicht, weil die
Beamten jederzeit widerruflich sind. In Spanien wurden die Beamten mehr oder
minder bei jedem Ministerium gewechselt und die abtretenden auf Halbsold gesetzt,
wodurch ein Haufen unzufriedener Müßiggänger geschaffen und den Finanzen eine
schwere Last aufgebürdet ward. Diesem Gebrauch, das ^.rreZIo genannt, hat die
provisorische Regierung nicht nur gehuldigt, indem sie einen Massenwechsel ein¬
treten ließ, sondern sie hat auch durch Decret das Gesetz aufgehoben, welches bisher
das Avancement im Civildienste regelte. Nur das verdient Anerkennung, daß sie
in dem provisorischen Wahlgesetz die Beamten, mit Ausnahme der in Madrid
wohnenden, für nicht wählbar erklärt hat. Noch bedenklicher ist das Ver¬
fahren mit der Armee. Die dringlichste Reform, welche allein den Finanzen
dauernde Erleichterung schaffen könnte, wäre eine starke Reduction der Streit¬
kräfte zu Lande wie zu Wasser, und eine solche würde ohne alle Gefahr vor¬
genommen werden, da Niemand Spanien anzugreifen oder zu schädigen beab¬
sichtigt: die See und die Pyrenäen schützen das Land hinlänglich. Statt
dessen hat die provisorische Regierung alle Chargen der Armee um einen
Grad avcmciren lassen, gleichviel ob sie für oder gegen Jsabella gefochten,
als ob Spanien noch nicht genug Generäle und Obersten hätte; und Serrano
hat Prim zum Generalcapitän der ganzen Armee gemacht. Diese Massen¬
promotion ohne allen Grund ist doch nur durch das Bestreben zu erklären,
die Prätorianer bei guter Laune zu erhalten, und Prim scheint sich recht¬
zeitig die Armee gewinnen zu wollen. Nach seiner Ernennung hat er die
Soldaten in einer Ansprache ermahnt, sich nicht um Politik zu kümmern,
sondern Disciplin zu halten und ihren Obern zu gehorchen. Diese Ermah¬
nung nimmt sich etwas eigenthümlich im Munde eines Generals aus, der
soeben durch politischen Aufstand ans Ruder gekommen ist; aber sie zeigt
wenigstens, daß Prim weiß worauf es ankommt und daß er sein Werkzeug
vorbereitet. Die Armee ist thatsächlich schon Meister in Spanien und wer
sie in der Hand hat beherrscht das Land, welches es ruhig über sich ergehen
lassen müßte, falls das Heer morgen Jsabella zurückriefe. Wenn, was sehr wohl
möglich, ehe die Cortes eine Verfassung ins Leben gerufen, irgendwo ein
Localaufstand ausbräche, den die Armee niederzuwerfen hätte, wenn in Folge
der Anarchie das Land nach einer Rettung der Gesellschaft, die Priester nach
Herstellung der Religion rufen sollten, so wäre die Dictatur fertig; die Ele-


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[0366] Armee und die Bureaukratie in Betracht und für beide ist die provisorische Regierung nicht nur den schlechtesten Traditionen der Monarchie Jsabella's gefolgt, sondern drüber hinausgegangen. Was die Beamten betrifft, so bestand bisher in Spanien derselbe Gebrauch wie in Amerika, daß mit der Regierung auch ein großer Theil der Beamten wechselte; in den Vereinigten Staaten wird diese schlimme Procedur indeß nur alle vier Jahr einmal vorgenommen, wenn ein neuer Präsident kommt, und sie belastet die Staatscasse nicht, weil die Beamten jederzeit widerruflich sind. In Spanien wurden die Beamten mehr oder minder bei jedem Ministerium gewechselt und die abtretenden auf Halbsold gesetzt, wodurch ein Haufen unzufriedener Müßiggänger geschaffen und den Finanzen eine schwere Last aufgebürdet ward. Diesem Gebrauch, das ^.rreZIo genannt, hat die provisorische Regierung nicht nur gehuldigt, indem sie einen Massenwechsel ein¬ treten ließ, sondern sie hat auch durch Decret das Gesetz aufgehoben, welches bisher das Avancement im Civildienste regelte. Nur das verdient Anerkennung, daß sie in dem provisorischen Wahlgesetz die Beamten, mit Ausnahme der in Madrid wohnenden, für nicht wählbar erklärt hat. Noch bedenklicher ist das Ver¬ fahren mit der Armee. Die dringlichste Reform, welche allein den Finanzen dauernde Erleichterung schaffen könnte, wäre eine starke Reduction der Streit¬ kräfte zu Lande wie zu Wasser, und eine solche würde ohne alle Gefahr vor¬ genommen werden, da Niemand Spanien anzugreifen oder zu schädigen beab¬ sichtigt: die See und die Pyrenäen schützen das Land hinlänglich. Statt dessen hat die provisorische Regierung alle Chargen der Armee um einen Grad avcmciren lassen, gleichviel ob sie für oder gegen Jsabella gefochten, als ob Spanien noch nicht genug Generäle und Obersten hätte; und Serrano hat Prim zum Generalcapitän der ganzen Armee gemacht. Diese Massen¬ promotion ohne allen Grund ist doch nur durch das Bestreben zu erklären, die Prätorianer bei guter Laune zu erhalten, und Prim scheint sich recht¬ zeitig die Armee gewinnen zu wollen. Nach seiner Ernennung hat er die Soldaten in einer Ansprache ermahnt, sich nicht um Politik zu kümmern, sondern Disciplin zu halten und ihren Obern zu gehorchen. Diese Ermah¬ nung nimmt sich etwas eigenthümlich im Munde eines Generals aus, der soeben durch politischen Aufstand ans Ruder gekommen ist; aber sie zeigt wenigstens, daß Prim weiß worauf es ankommt und daß er sein Werkzeug vorbereitet. Die Armee ist thatsächlich schon Meister in Spanien und wer sie in der Hand hat beherrscht das Land, welches es ruhig über sich ergehen lassen müßte, falls das Heer morgen Jsabella zurückriefe. Wenn, was sehr wohl möglich, ehe die Cortes eine Verfassung ins Leben gerufen, irgendwo ein Localaufstand ausbräche, den die Armee niederzuwerfen hätte, wenn in Folge der Anarchie das Land nach einer Rettung der Gesellschaft, die Priester nach Herstellung der Religion rufen sollten, so wäre die Dictatur fertig; die Ele-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/366>, abgerufen am 05.02.2025.