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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Regiment führen, so haben die Maßregeln der provisorischen Regierung bis
jetzt dies Resultat doch sehr erschwert; ihr Verfahren läßt in der That nur
eine doppelte Auslegung zu: entweder geht ihren Mitgliedern die elementarste
Kenntniß dessen ab, was solche Zeitläufte fordern, und dann muß das Land
der Anarchie und Dictatur verfallen, oder diese Planlosigkeit ist nur schein¬
bar und hinter ihr steht der Plan eines ehrgeizigen Mannes, welcher darauf
rechnet, aus der Zerrüttung seine Herrschaft zu bauen.

Das Urtheil könnte auf den ersten Blick hart oder zu schnell erscheinen,
aber die Thatsachen rechtfertigen es -- die Hauptfrage ist die dynastische:
wer soll an der Spitze des Staates stehen? Hierüber hat sich der leitende
Mann der provisorischen Negierung, Prim, in seinem bekannten Briefe an
Girardin folgendermaßen ausgesprochen: "Wir wußten, was wir stürzten:
eine Willkürherrschaft, die fortwährend die Verfassung verletzte; wir wußten
was wir an die Stelle setzen wollten, eine liberale constitutionell monarchische
Regierung, aber wir wollen die Entscheidung hierüber der Nationalsouveräne-
tät überlassen. Sie (Girardin, welcher die Republik einführen will) verwech¬
seln das Wesentliche mit dem Zufälligen; ich bin und bleibe der Vertheidiger
eines Princips, ich bin nicht der Vertreter dieses oder jenes Prinzen. Sie
sagen, es werde sich kein Souverän für Spanien finden; aber die Geschichte
ist voll von Ueberraschungen dieser Art und was mich betrifft, so hege ich
das Zutrauen, daß Spanien einen Fürsten finden wird, welcher seiner wür¬
dig ist." -- Das ist entweder die Sprache eines Ideologen ohne Einsicht
und Erfahrung oder die eines klugen Mannes, welcher die Menge mit Re¬
densarten abspeist und auf seine Zeit wartet. Bei einem planvoll angelegten
Aufstand wie der spanische war, mußten die Führer, wenn sie wirklich eine
geordnete freie Regierung einführen wollten, sich zuerst darüber verständigen,
wer Jsabella folgen sollte. Da dies nicht geschehen und die provisorische
Regierung noch immer schweigt, so muß entweder unter ihren Mitgliedern
Uneinigkeit herrschen, oder dieselben sämmtlich nicht wissen was beginnen.
Daß die Betheuerung, man dürfe nicht der Entscheidung des Volkes vor¬
greifen, nur Affectation ist, liegt auf der Hand; eine provisorische Regierung
soll doch mindestens so viel Führung gewähren, als ein Ministerium, und
was würde man wohl von einem solchen sagen, wenn es in einer Lebensfrage des
Staates ohne allen Plan vor die Legislative träte, damit diese entscheide?
Und dies thut doch das spanische Triumvirat; nach der Erklärung seines
hervorragendsten Mitglieds hofft es auf einen der Glücksfälle an denen
die Geschichte so reich sein soll. Die Zahl solcher Ueberraschungen scheint
uns im Gegentheil sehr gering, in unserm Jahrhundert wüßten wir höchstens
zwei Beispiele einer erfolgreichen neuen Dynastie: Bernadotte in Schweden
und Leopold von Coburg in Belgien. Aber in diesen beiden Fällen waren


Grenzboten IV. 1368. 43

Regiment führen, so haben die Maßregeln der provisorischen Regierung bis
jetzt dies Resultat doch sehr erschwert; ihr Verfahren läßt in der That nur
eine doppelte Auslegung zu: entweder geht ihren Mitgliedern die elementarste
Kenntniß dessen ab, was solche Zeitläufte fordern, und dann muß das Land
der Anarchie und Dictatur verfallen, oder diese Planlosigkeit ist nur schein¬
bar und hinter ihr steht der Plan eines ehrgeizigen Mannes, welcher darauf
rechnet, aus der Zerrüttung seine Herrschaft zu bauen.

Das Urtheil könnte auf den ersten Blick hart oder zu schnell erscheinen,
aber die Thatsachen rechtfertigen es — die Hauptfrage ist die dynastische:
wer soll an der Spitze des Staates stehen? Hierüber hat sich der leitende
Mann der provisorischen Negierung, Prim, in seinem bekannten Briefe an
Girardin folgendermaßen ausgesprochen: „Wir wußten, was wir stürzten:
eine Willkürherrschaft, die fortwährend die Verfassung verletzte; wir wußten
was wir an die Stelle setzen wollten, eine liberale constitutionell monarchische
Regierung, aber wir wollen die Entscheidung hierüber der Nationalsouveräne-
tät überlassen. Sie (Girardin, welcher die Republik einführen will) verwech¬
seln das Wesentliche mit dem Zufälligen; ich bin und bleibe der Vertheidiger
eines Princips, ich bin nicht der Vertreter dieses oder jenes Prinzen. Sie
sagen, es werde sich kein Souverän für Spanien finden; aber die Geschichte
ist voll von Ueberraschungen dieser Art und was mich betrifft, so hege ich
das Zutrauen, daß Spanien einen Fürsten finden wird, welcher seiner wür¬
dig ist." — Das ist entweder die Sprache eines Ideologen ohne Einsicht
und Erfahrung oder die eines klugen Mannes, welcher die Menge mit Re¬
densarten abspeist und auf seine Zeit wartet. Bei einem planvoll angelegten
Aufstand wie der spanische war, mußten die Führer, wenn sie wirklich eine
geordnete freie Regierung einführen wollten, sich zuerst darüber verständigen,
wer Jsabella folgen sollte. Da dies nicht geschehen und die provisorische
Regierung noch immer schweigt, so muß entweder unter ihren Mitgliedern
Uneinigkeit herrschen, oder dieselben sämmtlich nicht wissen was beginnen.
Daß die Betheuerung, man dürfe nicht der Entscheidung des Volkes vor¬
greifen, nur Affectation ist, liegt auf der Hand; eine provisorische Regierung
soll doch mindestens so viel Führung gewähren, als ein Ministerium, und
was würde man wohl von einem solchen sagen, wenn es in einer Lebensfrage des
Staates ohne allen Plan vor die Legislative träte, damit diese entscheide?
Und dies thut doch das spanische Triumvirat; nach der Erklärung seines
hervorragendsten Mitglieds hofft es auf einen der Glücksfälle an denen
die Geschichte so reich sein soll. Die Zahl solcher Ueberraschungen scheint
uns im Gegentheil sehr gering, in unserm Jahrhundert wüßten wir höchstens
zwei Beispiele einer erfolgreichen neuen Dynastie: Bernadotte in Schweden
und Leopold von Coburg in Belgien. Aber in diesen beiden Fällen waren


Grenzboten IV. 1368. 43
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/363>, abgerufen am 05.02.2025.