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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Amerikaner die südstaatlichen Gesandten vom Bord des Trent weggeführt
hatten, da schlug England keinen Schiedsspruch darüber vor, ob nicht Amerika
im Unrecht gewesen, sondern verlangte einfach und kategorisch in Washington
Freilassung, mit dem Entschluß diese Forderung mit jedem Mittel durchzu¬
setzen. Und derselbe Lord Stanley, der eben mit Johnson die Convention
unterzeichnet, antwortete als Seward verlangte, England solle auch die Frage
einem Schiedsspruch unterwerfen, ob es berechtigt gewesen die-Südstaaten
als kriegführende Partei anzuerkennen: das sei nicht möglich, eine solche
Frage müsse jeder souveräne Staat für sich entscheiden, gab also damit seiner
jetzigen neuesten Theorie eines internationalen Amphiktyonengerichts im
Voraus ein Dementi.

Lord Stanley hat das merkwürdige Schicksal gehabt, seine Politik fast
ebenso, wenn nicht noch mehr von seinen Parteigegnern, als von seinen
Parteigenossen bewundert zu sehen. Es ist also, wenn wie wahrscheinlich
demnächst ein Cabinetswechsel eintritt, keine Aussicht auf eine positivere aus¬
wärtige Politik, Gladstone interessirt sich überhaupt für auswärtige Politik nicht
oder hat doch wenigstens keine bestimmten Ansichten darüber, Lord Kimberley,
der unter ihm Stanley's Nachfolger werden soll, hat zwar früher als Unter-
staatssecretär und Gesandter in Petersburg eine praktische Schule durchge¬
macht, wird aber, auch wenn er wollte, doch schwerlich eine unabhängige
Politik verfolgen können, zumal er Bright zum College" haben wird.

Wir beklagen diesen Stand der Dinge aufrichtig, nicht blos im euro¬
päischen, sondern im speciell deutschen Interesse. Die Natur der Verhältnisse
weist auf eine Verbindung der Mächte des mittleren Europa, England, Scan-
dinavien, Deutschland und Italien gegen das Vordringen der übermächtigen
Flankenreiche, Rußland und Frankreich hin. Wir müssen uns aber an den Ge¬
danken gewöhnen bei einem Kriege mit Frankreich England, dessen erstes In¬
teresse die Erhaltung der Integrität Deutschlands sein sollte, in der Reihe
der Großmächte nicht mitzuzählen. Lord Stanley's Sympathien für die
deutsche Einheit, die derselbe in seiner neultchen Wahlrede ausgesprochen hat,
können wir gern acceptiren, wenn wir dabei nur im Auge behalten, daß solche
Aeußerungen, hinter denen kein Entschluß eventuell selbst einzugreifen steht,
ohne großen Eindruck in Paris bleiben müssen. Das Einzige worauf man allen¬
falls rechnen kann ist, daß England Belgiens Neutralität schützen wird und
auch dies wohl nur, weil die Königin hierfür ihr ganzes Gewicht in die
Wagschale werfen würde und ihr dafür die Specialgarantie, welche England
übernommen, zur Seite steht. Was Rußland betrifft, so ist es jetzt Mode in
England geworden, den Krimkrieg zu verurtheilen als ein Abenteuer, zu
dem man sich von Frankreich habe drängen lassen und welches seinen Zweck
ganz verfehlte, während es doch aus der Hand liegt, daß nur das den Zweck


Amerikaner die südstaatlichen Gesandten vom Bord des Trent weggeführt
hatten, da schlug England keinen Schiedsspruch darüber vor, ob nicht Amerika
im Unrecht gewesen, sondern verlangte einfach und kategorisch in Washington
Freilassung, mit dem Entschluß diese Forderung mit jedem Mittel durchzu¬
setzen. Und derselbe Lord Stanley, der eben mit Johnson die Convention
unterzeichnet, antwortete als Seward verlangte, England solle auch die Frage
einem Schiedsspruch unterwerfen, ob es berechtigt gewesen die-Südstaaten
als kriegführende Partei anzuerkennen: das sei nicht möglich, eine solche
Frage müsse jeder souveräne Staat für sich entscheiden, gab also damit seiner
jetzigen neuesten Theorie eines internationalen Amphiktyonengerichts im
Voraus ein Dementi.

Lord Stanley hat das merkwürdige Schicksal gehabt, seine Politik fast
ebenso, wenn nicht noch mehr von seinen Parteigegnern, als von seinen
Parteigenossen bewundert zu sehen. Es ist also, wenn wie wahrscheinlich
demnächst ein Cabinetswechsel eintritt, keine Aussicht auf eine positivere aus¬
wärtige Politik, Gladstone interessirt sich überhaupt für auswärtige Politik nicht
oder hat doch wenigstens keine bestimmten Ansichten darüber, Lord Kimberley,
der unter ihm Stanley's Nachfolger werden soll, hat zwar früher als Unter-
staatssecretär und Gesandter in Petersburg eine praktische Schule durchge¬
macht, wird aber, auch wenn er wollte, doch schwerlich eine unabhängige
Politik verfolgen können, zumal er Bright zum College» haben wird.

Wir beklagen diesen Stand der Dinge aufrichtig, nicht blos im euro¬
päischen, sondern im speciell deutschen Interesse. Die Natur der Verhältnisse
weist auf eine Verbindung der Mächte des mittleren Europa, England, Scan-
dinavien, Deutschland und Italien gegen das Vordringen der übermächtigen
Flankenreiche, Rußland und Frankreich hin. Wir müssen uns aber an den Ge¬
danken gewöhnen bei einem Kriege mit Frankreich England, dessen erstes In¬
teresse die Erhaltung der Integrität Deutschlands sein sollte, in der Reihe
der Großmächte nicht mitzuzählen. Lord Stanley's Sympathien für die
deutsche Einheit, die derselbe in seiner neultchen Wahlrede ausgesprochen hat,
können wir gern acceptiren, wenn wir dabei nur im Auge behalten, daß solche
Aeußerungen, hinter denen kein Entschluß eventuell selbst einzugreifen steht,
ohne großen Eindruck in Paris bleiben müssen. Das Einzige worauf man allen¬
falls rechnen kann ist, daß England Belgiens Neutralität schützen wird und
auch dies wohl nur, weil die Königin hierfür ihr ganzes Gewicht in die
Wagschale werfen würde und ihr dafür die Specialgarantie, welche England
übernommen, zur Seite steht. Was Rußland betrifft, so ist es jetzt Mode in
England geworden, den Krimkrieg zu verurtheilen als ein Abenteuer, zu
dem man sich von Frankreich habe drängen lassen und welches seinen Zweck
ganz verfehlte, während es doch aus der Hand liegt, daß nur das den Zweck


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[0351] Amerikaner die südstaatlichen Gesandten vom Bord des Trent weggeführt hatten, da schlug England keinen Schiedsspruch darüber vor, ob nicht Amerika im Unrecht gewesen, sondern verlangte einfach und kategorisch in Washington Freilassung, mit dem Entschluß diese Forderung mit jedem Mittel durchzu¬ setzen. Und derselbe Lord Stanley, der eben mit Johnson die Convention unterzeichnet, antwortete als Seward verlangte, England solle auch die Frage einem Schiedsspruch unterwerfen, ob es berechtigt gewesen die-Südstaaten als kriegführende Partei anzuerkennen: das sei nicht möglich, eine solche Frage müsse jeder souveräne Staat für sich entscheiden, gab also damit seiner jetzigen neuesten Theorie eines internationalen Amphiktyonengerichts im Voraus ein Dementi. Lord Stanley hat das merkwürdige Schicksal gehabt, seine Politik fast ebenso, wenn nicht noch mehr von seinen Parteigegnern, als von seinen Parteigenossen bewundert zu sehen. Es ist also, wenn wie wahrscheinlich demnächst ein Cabinetswechsel eintritt, keine Aussicht auf eine positivere aus¬ wärtige Politik, Gladstone interessirt sich überhaupt für auswärtige Politik nicht oder hat doch wenigstens keine bestimmten Ansichten darüber, Lord Kimberley, der unter ihm Stanley's Nachfolger werden soll, hat zwar früher als Unter- staatssecretär und Gesandter in Petersburg eine praktische Schule durchge¬ macht, wird aber, auch wenn er wollte, doch schwerlich eine unabhängige Politik verfolgen können, zumal er Bright zum College» haben wird. Wir beklagen diesen Stand der Dinge aufrichtig, nicht blos im euro¬ päischen, sondern im speciell deutschen Interesse. Die Natur der Verhältnisse weist auf eine Verbindung der Mächte des mittleren Europa, England, Scan- dinavien, Deutschland und Italien gegen das Vordringen der übermächtigen Flankenreiche, Rußland und Frankreich hin. Wir müssen uns aber an den Ge¬ danken gewöhnen bei einem Kriege mit Frankreich England, dessen erstes In¬ teresse die Erhaltung der Integrität Deutschlands sein sollte, in der Reihe der Großmächte nicht mitzuzählen. Lord Stanley's Sympathien für die deutsche Einheit, die derselbe in seiner neultchen Wahlrede ausgesprochen hat, können wir gern acceptiren, wenn wir dabei nur im Auge behalten, daß solche Aeußerungen, hinter denen kein Entschluß eventuell selbst einzugreifen steht, ohne großen Eindruck in Paris bleiben müssen. Das Einzige worauf man allen¬ falls rechnen kann ist, daß England Belgiens Neutralität schützen wird und auch dies wohl nur, weil die Königin hierfür ihr ganzes Gewicht in die Wagschale werfen würde und ihr dafür die Specialgarantie, welche England übernommen, zur Seite steht. Was Rußland betrifft, so ist es jetzt Mode in England geworden, den Krimkrieg zu verurtheilen als ein Abenteuer, zu dem man sich von Frankreich habe drängen lassen und welches seinen Zweck ganz verfehlte, während es doch aus der Hand liegt, daß nur das den Zweck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/351>, abgerufen am 05.02.2025.