Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.an den Rath erlassene Aufforderung zu einer gemeinsamenMnerkennung Die städtischen Sonderrechte, welche dem Magistrat so großen Werth Grenjboten IV. 18S8. 4
an den Rath erlassene Aufforderung zu einer gemeinsamenMnerkennung Die städtischen Sonderrechte, welche dem Magistrat so großen Werth Grenjboten IV. 18S8. 4
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287307"/> <p xml:id="ID_59" prev="#ID_58"> an den Rath erlassene Aufforderung zu einer gemeinsamenMnerkennung<lb/> der neuen Verfassung erwiderte. Gegen den Widerspruch des Bürgeraus¬<lb/> schusses legte nun der Rath für sich allein den Protest ein, worauf der<lb/> letztere dem Staatsministerium seine Mißbilligung dieses Schrittes erklärte.<lb/> Bei der Vernichtung des Staatsgrundgesetzes durch die in Freienwalde zu¬<lb/> sammengetretenen Schiedsrichter wurde auch auf diesen Protest Gewicht ge¬<lb/> legt. Seit der factischen Wiederherstellung der alten Verfassung nahm<lb/> Wismar wieder seine alte Stelle außerhalb derselben ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_60" next="#ID_61"> Die städtischen Sonderrechte, welche dem Magistrat so großen Werth<lb/> zu haben schienen, daß er lieber das Staatsgrundgesetz zurückwies und zu<lb/> dessen Vernichtung mitwirkte, als daß er jene Rechte aufgab, finden ihren<lb/> Ursprung theils in der früheren hansestädtischen Verbindung, welche der<lb/> Stadt dem Landesherrn gegenüber eine große Selbständigkeit verlieh, theils<lb/> in der förmlichen oder factischen Erwerbung während der schwedischen Herr¬<lb/> schaft. Die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten unterliegt zwar der<lb/> landesherrlichen Oberaufsicht, wird aber im Uebrigen von dem Rath unter<lb/> Mitwirkung eines nach mehrfachem Wechsel der Organisation seit dem Jahre<lb/> 1853 aus Grund einer Eintheilung der Bürgerschaft in gewisse Berufsclassen<lb/> gewählten Bürgerausschusses ganz unabhängig besorgt. Die Mitglieder des<lb/> Raths werden unter Betheiligung des Bürgerausschusses gewählt, ein Be¬<lb/> stätigungsrecht besitzt die Regierung nicht. Der Magistrat hat die volle Ge¬<lb/> richtsbarkeit in Civil- und Criminalsachen, welche er durch ein Niedergericht<lb/> und ein Obergericht übt. Letzteres fungirt unter Zuziehung von drei Pastoren<lb/> zugleich als Ehegericht. Dem für die Untersuchung bestimmter schwererer<lb/> Verbrechen begründeten großherzoglichen Criminalcollegium zu Bützow, welches<lb/> nach der neuen Criminalproceßordnung auch Spruchgericht erster Instanz ist,<lb/> hat Wismar sich im Vertragswege zwar unterstellt, jedoch mit dem Vor¬<lb/> behalt, in einzelnen Fällen die Untersuchung und Aburtheilung den eigenen<lb/> Gerichten zu überweisen. Die. Verhältnisse zum großherzoglichen Oberappel¬<lb/> lationsgericht und die Beiträge zu dessen Erhaltung sind gleichfalls im Ver¬<lb/> tragswege geordnet. Die Stadt besitzt das Polizeirecht in vollem Umfange,<lb/> eine Einmischung der großherzoglichen Gensdarmen in das städtische Polizei¬<lb/> wesen kann nur auf besondere Requisition der Stadtbehörden erfolgen. Die<lb/> Kirchen und Schulen der Stadt stehen unter städtischem Patronat und in<lb/> den Kirchengemeinden ist ein besonderes wismarsches Gesangbuch in Ge¬<lb/> brauch. Die Stadt übt ferner ein unbeschränktes Besteuerungsrecht über<lb/> ihre Angehörigen, nur daß bei dessen Anwendung der „fremde Mann" ohne<lb/> landesherrliche Genehmigung nicht ergriffen werden darf. Hinsichtlich neuer<lb/> Landessteuern beansprucht die Stadt das Recht der Zustimmung, da sie, als<lb/> auf Landtagen nicht vertreten, sich durch Landtagsbeschlüsse nicht gebunden</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenjboten IV. 18S8. 4</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
an den Rath erlassene Aufforderung zu einer gemeinsamenMnerkennung
der neuen Verfassung erwiderte. Gegen den Widerspruch des Bürgeraus¬
schusses legte nun der Rath für sich allein den Protest ein, worauf der
letztere dem Staatsministerium seine Mißbilligung dieses Schrittes erklärte.
Bei der Vernichtung des Staatsgrundgesetzes durch die in Freienwalde zu¬
sammengetretenen Schiedsrichter wurde auch auf diesen Protest Gewicht ge¬
legt. Seit der factischen Wiederherstellung der alten Verfassung nahm
Wismar wieder seine alte Stelle außerhalb derselben ein.
Die städtischen Sonderrechte, welche dem Magistrat so großen Werth
zu haben schienen, daß er lieber das Staatsgrundgesetz zurückwies und zu
dessen Vernichtung mitwirkte, als daß er jene Rechte aufgab, finden ihren
Ursprung theils in der früheren hansestädtischen Verbindung, welche der
Stadt dem Landesherrn gegenüber eine große Selbständigkeit verlieh, theils
in der förmlichen oder factischen Erwerbung während der schwedischen Herr¬
schaft. Die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten unterliegt zwar der
landesherrlichen Oberaufsicht, wird aber im Uebrigen von dem Rath unter
Mitwirkung eines nach mehrfachem Wechsel der Organisation seit dem Jahre
1853 aus Grund einer Eintheilung der Bürgerschaft in gewisse Berufsclassen
gewählten Bürgerausschusses ganz unabhängig besorgt. Die Mitglieder des
Raths werden unter Betheiligung des Bürgerausschusses gewählt, ein Be¬
stätigungsrecht besitzt die Regierung nicht. Der Magistrat hat die volle Ge¬
richtsbarkeit in Civil- und Criminalsachen, welche er durch ein Niedergericht
und ein Obergericht übt. Letzteres fungirt unter Zuziehung von drei Pastoren
zugleich als Ehegericht. Dem für die Untersuchung bestimmter schwererer
Verbrechen begründeten großherzoglichen Criminalcollegium zu Bützow, welches
nach der neuen Criminalproceßordnung auch Spruchgericht erster Instanz ist,
hat Wismar sich im Vertragswege zwar unterstellt, jedoch mit dem Vor¬
behalt, in einzelnen Fällen die Untersuchung und Aburtheilung den eigenen
Gerichten zu überweisen. Die. Verhältnisse zum großherzoglichen Oberappel¬
lationsgericht und die Beiträge zu dessen Erhaltung sind gleichfalls im Ver¬
tragswege geordnet. Die Stadt besitzt das Polizeirecht in vollem Umfange,
eine Einmischung der großherzoglichen Gensdarmen in das städtische Polizei¬
wesen kann nur auf besondere Requisition der Stadtbehörden erfolgen. Die
Kirchen und Schulen der Stadt stehen unter städtischem Patronat und in
den Kirchengemeinden ist ein besonderes wismarsches Gesangbuch in Ge¬
brauch. Die Stadt übt ferner ein unbeschränktes Besteuerungsrecht über
ihre Angehörigen, nur daß bei dessen Anwendung der „fremde Mann" ohne
landesherrliche Genehmigung nicht ergriffen werden darf. Hinsichtlich neuer
Landessteuern beansprucht die Stadt das Recht der Zustimmung, da sie, als
auf Landtagen nicht vertreten, sich durch Landtagsbeschlüsse nicht gebunden
Grenjboten IV. 18S8. 4
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