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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Privilegien und vertragsmäßigen Rechte nur insoweit in Wirksamkeit bleiben
könnten, als sie mit dem Wesen der neuen Verfassung und ihren nothwen¬
digen Consequenzen sich vereinbar zeigen würden. Die Seestädte behielten
sich hierüber besondere Erklärungen vor. Diese Erklärung wurde seitens der
Stadt Wismar unter dem Is. August 1848 dahin abgegeben, daß die Stadt
den Anschluß an die künftige Landesverfassung von folgenden Bedingungen
abhängig mache: 1) daß aus der Geltung dieser Verfassung für die Stadt
niemals ein Recht der Staatsgewalt hergeleitet werde, die bisherigen poli¬
tischen Sonderrechte der Stadt ihr ohne ihre Zustimmung, also anders denn
im Wege der Vereinbarung zu entziehen; 2) daß der Stadt zugleich mit den
Rechten, deren sie sich auf dem eben bezeichneten Wege entäußere, auch die
entsprechenden Lasten und Verpflichtungen abgenommen werden; 3) daß sie
für alle Rechte von pecuniären Werth, die sie aufgebe, vollständige Ent¬
schädigung erhalte; und 4) daß die Frage, ob und wieweit der Stadt hier¬
nach Entschädigung gebühre, auch nur im Wege der Vereinbarung, eventuell
durch einen von beiden Theilen gemeinsam zu erwirkenden Schiedsspruch be¬
stimmt werde. Außerdem ward der Antrag hinzugefügt, daß ein Theil der
Schulden Wismars auf das Land übertragen werde. Ein großherzogliches
Rescript vom 22. August 1848 erklärte die Aufgebung der mit der neuen
Verfassung unverträglichen Sonderrechte für selbstverständlich. Wenn aber
der Magistrat seine Bereitwilligkeit dazu an gewisse Voraussetzungen knüpfe
und für einen Theil, der aufzugebenden Rechte Vergütung beanspruche, so
werde eine nähere Bezeichnung dieser Rechte und des Maßes der Vergütung
nöthig, um der neuen Vertretung, mit welcher die das ganze Land um¬
fassende konstitutionelle Verfassung vereinbart werden solle, von den An¬
sprüchen der Stadt die richtige Anschauung zu geben. Es erschien demnächst
ein großherzoglicher Commissarius, um über diesen Gegenstand mit städtischen
Deputirten zu verhandeln. Die letzteren aber weigerten sich, bindende Er¬
klärungen abzugeben und suchten dem Kommissar die Verpflichtung zuzu¬
schieben, die Vorrechte bestimmt zu bezeichnen, deren Aufgebung gefordert
werde. Die Verhandlungen führten zu keinem Resultat. Aber die gro߬
herzogliche Regierung war sich bewußt, daß in Ansehung der Seestädte allen
auf dem außerordentlichen Landtage gestellten Bedingungen genügt worden
sei. Sie schritt daher, nach erfolgter Vereinbarung des neuen Staatsgrund¬
gesetzes unter dem 10. Oct. 1849 zu dessen Publication und machte der
Stadt Wismar davon Anzeige, indem sie dieselbe zugleich aufforderte, ihre
Ansprüche wegen der Einbuße etwaiger Sonderrechte zusammenzustellen und
Deputirte für Verhandlungen mit einem landesherrlichen Commissarius zu
ernennen. Der Rath forderte den Bürgerausschuß zur gemeinsamen Er¬
hebung eines Protestes gegen die neue Verfassung auf, was dieser durch die


Privilegien und vertragsmäßigen Rechte nur insoweit in Wirksamkeit bleiben
könnten, als sie mit dem Wesen der neuen Verfassung und ihren nothwen¬
digen Consequenzen sich vereinbar zeigen würden. Die Seestädte behielten
sich hierüber besondere Erklärungen vor. Diese Erklärung wurde seitens der
Stadt Wismar unter dem Is. August 1848 dahin abgegeben, daß die Stadt
den Anschluß an die künftige Landesverfassung von folgenden Bedingungen
abhängig mache: 1) daß aus der Geltung dieser Verfassung für die Stadt
niemals ein Recht der Staatsgewalt hergeleitet werde, die bisherigen poli¬
tischen Sonderrechte der Stadt ihr ohne ihre Zustimmung, also anders denn
im Wege der Vereinbarung zu entziehen; 2) daß der Stadt zugleich mit den
Rechten, deren sie sich auf dem eben bezeichneten Wege entäußere, auch die
entsprechenden Lasten und Verpflichtungen abgenommen werden; 3) daß sie
für alle Rechte von pecuniären Werth, die sie aufgebe, vollständige Ent¬
schädigung erhalte; und 4) daß die Frage, ob und wieweit der Stadt hier¬
nach Entschädigung gebühre, auch nur im Wege der Vereinbarung, eventuell
durch einen von beiden Theilen gemeinsam zu erwirkenden Schiedsspruch be¬
stimmt werde. Außerdem ward der Antrag hinzugefügt, daß ein Theil der
Schulden Wismars auf das Land übertragen werde. Ein großherzogliches
Rescript vom 22. August 1848 erklärte die Aufgebung der mit der neuen
Verfassung unverträglichen Sonderrechte für selbstverständlich. Wenn aber
der Magistrat seine Bereitwilligkeit dazu an gewisse Voraussetzungen knüpfe
und für einen Theil, der aufzugebenden Rechte Vergütung beanspruche, so
werde eine nähere Bezeichnung dieser Rechte und des Maßes der Vergütung
nöthig, um der neuen Vertretung, mit welcher die das ganze Land um¬
fassende konstitutionelle Verfassung vereinbart werden solle, von den An¬
sprüchen der Stadt die richtige Anschauung zu geben. Es erschien demnächst
ein großherzoglicher Commissarius, um über diesen Gegenstand mit städtischen
Deputirten zu verhandeln. Die letzteren aber weigerten sich, bindende Er¬
klärungen abzugeben und suchten dem Kommissar die Verpflichtung zuzu¬
schieben, die Vorrechte bestimmt zu bezeichnen, deren Aufgebung gefordert
werde. Die Verhandlungen führten zu keinem Resultat. Aber die gro߬
herzogliche Regierung war sich bewußt, daß in Ansehung der Seestädte allen
auf dem außerordentlichen Landtage gestellten Bedingungen genügt worden
sei. Sie schritt daher, nach erfolgter Vereinbarung des neuen Staatsgrund¬
gesetzes unter dem 10. Oct. 1849 zu dessen Publication und machte der
Stadt Wismar davon Anzeige, indem sie dieselbe zugleich aufforderte, ihre
Ansprüche wegen der Einbuße etwaiger Sonderrechte zusammenzustellen und
Deputirte für Verhandlungen mit einem landesherrlichen Commissarius zu
ernennen. Der Rath forderte den Bürgerausschuß zur gemeinsamen Er¬
hebung eines Protestes gegen die neue Verfassung auf, was dieser durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/34>, abgerufen am 05.02.2025.