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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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sequenzmachereien und Doctrinen ist auf diesem Gebiet freilich überhaupt Nichts
auszurichten: denn unleugbar steht der ständische Charakter des Ausschusses
wiederum zu der Bezahltheit seiner Directoren in Widerspruch. Wir müssen
> indessen gestehen, daß wir jeden Streit über diesen Punkt für müßig halten;
wollen und können die Hannoveraner die Beamten ihrer Landesdirection
bezahlen, so mögen sie es thun, für die übrigen preußischen Provinzen ist
damit kein Präjudiz geschaffen; wenn die localen wirthschaftlichen Zustände
Hannovers nicht dazu angethan sind, die Einrichtung von Ehrenämtern zu be¬
günstigen, so kann das immer noch in anderen Theilen der Monarchie der
Fall sein.

Damit kommen wir freilich zu dem wichtigsten Punkte der gesammten
Frage. Einer in Preußen weitverbreiteten Meinung nach ist der Begriff "Pro¬
vinz" überhaupt vom Uebel und wird mit ihm bei Einführung von Decen-
tralisation und Selbstverwaltung nicht zu operiren sein. Weil man bei dieser
Umgestaltung aus einem Punkte zu curiren gedenkt, erklärt man, Provinzen
seien künstlich geschaffene Begriffe, die man am besten beseitigte, um auf
Kreise und Gemeinden zu recurriren, welche wirkliche und naturgemäße Ein¬
heiten seien. Wir müssen gestehen, uns weder eine heilsame Art der Selbst¬
verwaltung denken zu können, die in allen Theilen der Monarchie nach den
gleichen Grundsätzen verführe, noch eine solche für wünschenswert!) zu halten.
Ueber Provinzen im Allgemeinen abzusprechen, ist schon an und für sich ein
gefährliches Unternehmen; möglich, daß einzelne derselben in Preußen ohne
innere Berechtigung sind -- damit ist aber noch nicht bewiesen, daß das bei
allen der Fall sei. Wo solche Provinzen vorhanden sind -- und daß die neu
annectirten Länder ausgesprochene landschaftliche Eigenthümlichkeiten besitzen
scheint uns zweifellos -- ist aller Grund vorhanden, dieselben zu conserviren:
oder wir entschließen uns, auf das französische Muster des uniformirten
alles individuellen Lebens baren Departements-Staats loszusteuern. Daß
innerhalb eines solchen für Selbstverwaltung kein Platz vorhanden ist, hat
eine achzigjährige Geschichte zur Genüge ausgewiesen. Wir haben nicht
einmal nöthig, auf Preußens deutsche Aufgabe hinzuweisen, um die Be¬
deutung hervorzuheben, welche der Begriff "Provinz" für den preußischen
Staat hat, mindestens seit dem Jahre 1866 hat -- uns gilt für ausgemacht,
daß die Zufriedenheit der neuen Länder ebenso durch eine freie Ent¬
wickelung ihres individuellen Lebens bedingt ist, wie die Anziehungskraft,
die Preußen auf die übrigen deutschen Staaten ausübt. -- Aber selbst ohne
Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts und im bloßen Interesse der Selbstver¬
waltung betrachtet, erscheint uns ein möglichst großer Spielraum für die
Provincielle Individualität dringend geboten. Unserer Meinung nach ist
Selbstverwaltung nur möglich, wenn die "SelbstthätigM der Nation geweckt


sequenzmachereien und Doctrinen ist auf diesem Gebiet freilich überhaupt Nichts
auszurichten: denn unleugbar steht der ständische Charakter des Ausschusses
wiederum zu der Bezahltheit seiner Directoren in Widerspruch. Wir müssen
> indessen gestehen, daß wir jeden Streit über diesen Punkt für müßig halten;
wollen und können die Hannoveraner die Beamten ihrer Landesdirection
bezahlen, so mögen sie es thun, für die übrigen preußischen Provinzen ist
damit kein Präjudiz geschaffen; wenn die localen wirthschaftlichen Zustände
Hannovers nicht dazu angethan sind, die Einrichtung von Ehrenämtern zu be¬
günstigen, so kann das immer noch in anderen Theilen der Monarchie der
Fall sein.

Damit kommen wir freilich zu dem wichtigsten Punkte der gesammten
Frage. Einer in Preußen weitverbreiteten Meinung nach ist der Begriff „Pro¬
vinz" überhaupt vom Uebel und wird mit ihm bei Einführung von Decen-
tralisation und Selbstverwaltung nicht zu operiren sein. Weil man bei dieser
Umgestaltung aus einem Punkte zu curiren gedenkt, erklärt man, Provinzen
seien künstlich geschaffene Begriffe, die man am besten beseitigte, um auf
Kreise und Gemeinden zu recurriren, welche wirkliche und naturgemäße Ein¬
heiten seien. Wir müssen gestehen, uns weder eine heilsame Art der Selbst¬
verwaltung denken zu können, die in allen Theilen der Monarchie nach den
gleichen Grundsätzen verführe, noch eine solche für wünschenswert!) zu halten.
Ueber Provinzen im Allgemeinen abzusprechen, ist schon an und für sich ein
gefährliches Unternehmen; möglich, daß einzelne derselben in Preußen ohne
innere Berechtigung sind — damit ist aber noch nicht bewiesen, daß das bei
allen der Fall sei. Wo solche Provinzen vorhanden sind — und daß die neu
annectirten Länder ausgesprochene landschaftliche Eigenthümlichkeiten besitzen
scheint uns zweifellos — ist aller Grund vorhanden, dieselben zu conserviren:
oder wir entschließen uns, auf das französische Muster des uniformirten
alles individuellen Lebens baren Departements-Staats loszusteuern. Daß
innerhalb eines solchen für Selbstverwaltung kein Platz vorhanden ist, hat
eine achzigjährige Geschichte zur Genüge ausgewiesen. Wir haben nicht
einmal nöthig, auf Preußens deutsche Aufgabe hinzuweisen, um die Be¬
deutung hervorzuheben, welche der Begriff „Provinz" für den preußischen
Staat hat, mindestens seit dem Jahre 1866 hat — uns gilt für ausgemacht,
daß die Zufriedenheit der neuen Länder ebenso durch eine freie Ent¬
wickelung ihres individuellen Lebens bedingt ist, wie die Anziehungskraft,
die Preußen auf die übrigen deutschen Staaten ausübt. — Aber selbst ohne
Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts und im bloßen Interesse der Selbstver¬
waltung betrachtet, erscheint uns ein möglichst großer Spielraum für die
Provincielle Individualität dringend geboten. Unserer Meinung nach ist
Selbstverwaltung nur möglich, wenn die "SelbstthätigM der Nation geweckt


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[0311] sequenzmachereien und Doctrinen ist auf diesem Gebiet freilich überhaupt Nichts auszurichten: denn unleugbar steht der ständische Charakter des Ausschusses wiederum zu der Bezahltheit seiner Directoren in Widerspruch. Wir müssen > indessen gestehen, daß wir jeden Streit über diesen Punkt für müßig halten; wollen und können die Hannoveraner die Beamten ihrer Landesdirection bezahlen, so mögen sie es thun, für die übrigen preußischen Provinzen ist damit kein Präjudiz geschaffen; wenn die localen wirthschaftlichen Zustände Hannovers nicht dazu angethan sind, die Einrichtung von Ehrenämtern zu be¬ günstigen, so kann das immer noch in anderen Theilen der Monarchie der Fall sein. Damit kommen wir freilich zu dem wichtigsten Punkte der gesammten Frage. Einer in Preußen weitverbreiteten Meinung nach ist der Begriff „Pro¬ vinz" überhaupt vom Uebel und wird mit ihm bei Einführung von Decen- tralisation und Selbstverwaltung nicht zu operiren sein. Weil man bei dieser Umgestaltung aus einem Punkte zu curiren gedenkt, erklärt man, Provinzen seien künstlich geschaffene Begriffe, die man am besten beseitigte, um auf Kreise und Gemeinden zu recurriren, welche wirkliche und naturgemäße Ein¬ heiten seien. Wir müssen gestehen, uns weder eine heilsame Art der Selbst¬ verwaltung denken zu können, die in allen Theilen der Monarchie nach den gleichen Grundsätzen verführe, noch eine solche für wünschenswert!) zu halten. Ueber Provinzen im Allgemeinen abzusprechen, ist schon an und für sich ein gefährliches Unternehmen; möglich, daß einzelne derselben in Preußen ohne innere Berechtigung sind — damit ist aber noch nicht bewiesen, daß das bei allen der Fall sei. Wo solche Provinzen vorhanden sind — und daß die neu annectirten Länder ausgesprochene landschaftliche Eigenthümlichkeiten besitzen scheint uns zweifellos — ist aller Grund vorhanden, dieselben zu conserviren: oder wir entschließen uns, auf das französische Muster des uniformirten alles individuellen Lebens baren Departements-Staats loszusteuern. Daß innerhalb eines solchen für Selbstverwaltung kein Platz vorhanden ist, hat eine achzigjährige Geschichte zur Genüge ausgewiesen. Wir haben nicht einmal nöthig, auf Preußens deutsche Aufgabe hinzuweisen, um die Be¬ deutung hervorzuheben, welche der Begriff „Provinz" für den preußischen Staat hat, mindestens seit dem Jahre 1866 hat — uns gilt für ausgemacht, daß die Zufriedenheit der neuen Länder ebenso durch eine freie Ent¬ wickelung ihres individuellen Lebens bedingt ist, wie die Anziehungskraft, die Preußen auf die übrigen deutschen Staaten ausübt. — Aber selbst ohne Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts und im bloßen Interesse der Selbstver¬ waltung betrachtet, erscheint uns ein möglichst großer Spielraum für die Provincielle Individualität dringend geboten. Unserer Meinung nach ist Selbstverwaltung nur möglich, wenn die "SelbstthätigM der Nation geweckt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/311>, abgerufen am 06.02.2025.