Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.oder vielmehr gelassen werden würde, von den Einrichtungen, Gewohnheiten In den maßgebenden liberalen Kreisen Preußens wurde die Sache von oder vielmehr gelassen werden würde, von den Einrichtungen, Gewohnheiten In den maßgebenden liberalen Kreisen Preußens wurde die Sache von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287578"/> <p xml:id="ID_790" prev="#ID_789"> oder vielmehr gelassen werden würde, von den Einrichtungen, Gewohnheiten<lb/> und „Eigenthümlichkeiten", in die sie sich einmal hineingelebt hatten, alles<lb/> das zu bewahren, was der Aufbewahrung fähig und mit der nothwendigen<lb/> Staatseinheit vereinbar war. Uns schien die Stellung der neuen Provinzen<lb/> zum altpreußischen Staat — schon bevor jene Frage auftauchte — für die<lb/> Richtung präjudicirlich zu sein, in welcher an der Lösung der deutschen Frage<lb/> überhaupt fortgearbeitet werden sollte. Assimilirt, nicht über den hergebrach¬<lb/> ten alten Leisten geschlagen mußten die im I. 1866 eroberten Provinzen<lb/> werden, wenn der preußische Staat durch ihre Einschmelzung eine erhöhte<lb/> Fähigkeit zur Erfüllung seiner deutschen Aufgabe gewinnen sollte. Durch<lb/> das, was im particularistischen Lager „Verpreußung" genannt wird, konnte<lb/> weder dem preußischen Staat der Gegenwart, noch jenem preußisch-deutschen<lb/> Staat gedient werden, zu welchem das I. 1866 den Grundstein gelegt hat.<lb/> Die Gefahr, daß der Spielraum, den man den Gewohnheiten und Provin-<lb/> cialtraditionen der neuen Landestheile ließ, zu weit gesteckt werde und die<lb/> Staatseinheit gefährde, war von vorn herein ausgeschlossen; der büreaukra¬<lb/> tische Charakter des berliner Regierungsapparats, der wesentlich centralistische<lb/> Zug der Zeit, die für die Gebildeten allmächtige „moderne Staatsidee" —<lb/> das ließ sich mit Gewißheit voraussehen — mußten dafür sorgen, daß diese<lb/> Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Die größere Gefahr war offenbar die<lb/> einer wohl oder übel gemeinten Uniformirung, die die moralische „Ver¬<lb/> preußung" der Hessen, Hannoveraner u. s. w. nur erschwert und zugleich<lb/> dazu beigetragen hätte, die süße Gewohnheit bureaukratischen Herkommens<lb/> in allen Theilen der Monarchie zu verewigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_791" next="#ID_792"> In den maßgebenden liberalen Kreisen Preußens wurde die Sache von<lb/> vorn herein anders angesehen: man dachte nicht sowohl an die den neuen<lb/> Mitbürgern lieb gewordenen alten Gewohnheiten, als an das lang gefühlte<lb/> Reformbedürfniß am eigenen Heerde. Die Nothwendigkeit einer Reorgani¬<lb/> sation der Verwaltung der neuen Provinzen wurde vorzugsweise unter dem<lb/> Gesichtspunkt der günstigen Gelegenheit betrachtet, welche sie zu einer Neu¬<lb/> gestaltung der Kreis- und Provincialverfassung in den alten Provinzen und<lb/> damit im gesammten Staate bot. Wir wollen unerörtert lassen, ob diese Auf¬<lb/> fassung der betreffenden Frage gerecht wurde oder ob sie an dem Punkt, um den<lb/> es sich hier handelt, vorüberging — genug, daß ihre Verwirklichung an den<lb/> ein Mal gegebenen Thatsachen scheiterte. Mit der Einfügung der neuen Pro¬<lb/> vinzen in den preußischen Staat ließ sich nicht lange fackeln, für die gewünschte<lb/> Reorganisation an Haupt und Gliedern fehlte es aber an den nöthigen<lb/> Vorarbeiten und die berufensten Stimmen versicherten, nach den bisher gemach¬<lb/> ten Ersahrungen sei an eine Erledigung auch innerhalb der nächsten Jahre<lb/> nicht zu denken. Das war entscheidend. Am 22. August 1867, noch vor</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0306]
oder vielmehr gelassen werden würde, von den Einrichtungen, Gewohnheiten
und „Eigenthümlichkeiten", in die sie sich einmal hineingelebt hatten, alles
das zu bewahren, was der Aufbewahrung fähig und mit der nothwendigen
Staatseinheit vereinbar war. Uns schien die Stellung der neuen Provinzen
zum altpreußischen Staat — schon bevor jene Frage auftauchte — für die
Richtung präjudicirlich zu sein, in welcher an der Lösung der deutschen Frage
überhaupt fortgearbeitet werden sollte. Assimilirt, nicht über den hergebrach¬
ten alten Leisten geschlagen mußten die im I. 1866 eroberten Provinzen
werden, wenn der preußische Staat durch ihre Einschmelzung eine erhöhte
Fähigkeit zur Erfüllung seiner deutschen Aufgabe gewinnen sollte. Durch
das, was im particularistischen Lager „Verpreußung" genannt wird, konnte
weder dem preußischen Staat der Gegenwart, noch jenem preußisch-deutschen
Staat gedient werden, zu welchem das I. 1866 den Grundstein gelegt hat.
Die Gefahr, daß der Spielraum, den man den Gewohnheiten und Provin-
cialtraditionen der neuen Landestheile ließ, zu weit gesteckt werde und die
Staatseinheit gefährde, war von vorn herein ausgeschlossen; der büreaukra¬
tische Charakter des berliner Regierungsapparats, der wesentlich centralistische
Zug der Zeit, die für die Gebildeten allmächtige „moderne Staatsidee" —
das ließ sich mit Gewißheit voraussehen — mußten dafür sorgen, daß diese
Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Die größere Gefahr war offenbar die
einer wohl oder übel gemeinten Uniformirung, die die moralische „Ver¬
preußung" der Hessen, Hannoveraner u. s. w. nur erschwert und zugleich
dazu beigetragen hätte, die süße Gewohnheit bureaukratischen Herkommens
in allen Theilen der Monarchie zu verewigen.
In den maßgebenden liberalen Kreisen Preußens wurde die Sache von
vorn herein anders angesehen: man dachte nicht sowohl an die den neuen
Mitbürgern lieb gewordenen alten Gewohnheiten, als an das lang gefühlte
Reformbedürfniß am eigenen Heerde. Die Nothwendigkeit einer Reorgani¬
sation der Verwaltung der neuen Provinzen wurde vorzugsweise unter dem
Gesichtspunkt der günstigen Gelegenheit betrachtet, welche sie zu einer Neu¬
gestaltung der Kreis- und Provincialverfassung in den alten Provinzen und
damit im gesammten Staate bot. Wir wollen unerörtert lassen, ob diese Auf¬
fassung der betreffenden Frage gerecht wurde oder ob sie an dem Punkt, um den
es sich hier handelt, vorüberging — genug, daß ihre Verwirklichung an den
ein Mal gegebenen Thatsachen scheiterte. Mit der Einfügung der neuen Pro¬
vinzen in den preußischen Staat ließ sich nicht lange fackeln, für die gewünschte
Reorganisation an Haupt und Gliedern fehlte es aber an den nöthigen
Vorarbeiten und die berufensten Stimmen versicherten, nach den bisher gemach¬
ten Ersahrungen sei an eine Erledigung auch innerhalb der nächsten Jahre
nicht zu denken. Das war entscheidend. Am 22. August 1867, noch vor
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