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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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leeres Wort, wenn der Wähler kaum des Lesens und Schreibens kundig, daß
die wichtigste demokratische Errungenschaft der 1848er Gesetze so lange ein
todter Buchstabe bleibt, als Hunderttausende an die Wahlurne treten, die
nie einen Elementarunterricht genossen! Da hatte die Linke unseres 1848 er
Reichstags -- und auch sie zählte Protestanten genug in ihrer Mitte-- ganz
andere Ansichten; nicht nur würdigte sie Räzmändy's Frage, ob denn auch
die Erhalter einer protestantischen Schule zu Gunsten der Gemeindeschulen
besteuert werden sollten, nicht der geringsten Beachtung, sie verlangte geradezu,
daß die Errichtung konfessioneller Schulen überhaupt nicht mehr gestattet
werden sollte. Wo ist nun der Grund zu suchen, daß die Männer der heu¬
tigen Linken, die so gern an das Jahr 1848 erinnern, ihren Sitzen treuer
geblieben als ihrer damaligen Ueberzeugung? Hat vielleicht das Bedürfniß
nach confessionellen Schulen während der abgelaufenen zwei Decennien zu-,
jenes nach Simultanschulen abgenommen? Oder macht etwa die Stellung,
welche Ungarn seit dem erfolgten Ausgleich in der europäischen Staatenfamilie
einnimmt, es ihm überflüssig, für die Bildung der gesammten Nation bis zu
ihren niedersten Schichten herab und ohne Unterschied der Konfession zu sor¬
gen, und sollte diese staatliche Pflicht nicht vielmehr durch den Zuwachs an
Macht und Einfluß erhöht worden sein? Und selbst wenn der streng con-
fessionelle Standpunkt festgehalten wird, wie will v. Tisza es rechtfertigen, die
Erhalter einer protestantischen Schule von der Unterstützung der Gemeinde¬
schule zu befreien, da ja die Gemeindeschule eben dem Postulate der Gleich¬
berechtigung der Confessionen nachkommt und wie sie an dem einen Ort dem
Katholiken als neutrales Asyl dient, so wird sie es an einem andern dem
Protestanten?*) Herr v. Tisza hat sich durch seine Angriffe gegen den Schul¬
gesetzentwurf an der Freiheit, an der der Schule und des Gewissens, ver¬
sündigt und büßt dafür in allen seinen weiteren Folgerungen hart genug.

So hat er einige seiner Hauptgesichtspunkte dahin angegeben: der Staat
soll dort, wo die confessionelle Schule einer verhältnißmäßig geringen Aus¬
hilfssumme (etwa der Gesammtkosten) zu ihrer Erhaltung benöthigt, ihr
diesen Beitrag gewähren: solche Schulen sollen dafür auch von Kindern an¬
derer Confessionen besucht werden, unter denselben Bedingungen wie von den
Kindern der die Schule erhaltenden Eltern, nur daß für ihren religiösen Un¬
terricht die eigene Konfession zu sorgen hat; welcher Einfluß auf diese Schu¬
len der Confession gewahrt bleiben, welchen Rechtskreis die Staatsregierung



") Hie und da hören wir gleichwohl, daß Baron Eötvös seinen Gegnern die Concession
machen will, die Erhalter einer confessionellen Schule von der Besteuerung zu Gunsten der
Gemeindeschule zu befreien. Um des lieben Friedens willen und um die hochwichtige Erle¬
digung nicht weiter htnausjuschiebcn, mag der Cultusminister sich dazu herbeilassen -- auf
eine principielle Rechtfertigung darf diese Concession nimmer rechnen.

leeres Wort, wenn der Wähler kaum des Lesens und Schreibens kundig, daß
die wichtigste demokratische Errungenschaft der 1848er Gesetze so lange ein
todter Buchstabe bleibt, als Hunderttausende an die Wahlurne treten, die
nie einen Elementarunterricht genossen! Da hatte die Linke unseres 1848 er
Reichstags — und auch sie zählte Protestanten genug in ihrer Mitte— ganz
andere Ansichten; nicht nur würdigte sie Räzmändy's Frage, ob denn auch
die Erhalter einer protestantischen Schule zu Gunsten der Gemeindeschulen
besteuert werden sollten, nicht der geringsten Beachtung, sie verlangte geradezu,
daß die Errichtung konfessioneller Schulen überhaupt nicht mehr gestattet
werden sollte. Wo ist nun der Grund zu suchen, daß die Männer der heu¬
tigen Linken, die so gern an das Jahr 1848 erinnern, ihren Sitzen treuer
geblieben als ihrer damaligen Ueberzeugung? Hat vielleicht das Bedürfniß
nach confessionellen Schulen während der abgelaufenen zwei Decennien zu-,
jenes nach Simultanschulen abgenommen? Oder macht etwa die Stellung,
welche Ungarn seit dem erfolgten Ausgleich in der europäischen Staatenfamilie
einnimmt, es ihm überflüssig, für die Bildung der gesammten Nation bis zu
ihren niedersten Schichten herab und ohne Unterschied der Konfession zu sor¬
gen, und sollte diese staatliche Pflicht nicht vielmehr durch den Zuwachs an
Macht und Einfluß erhöht worden sein? Und selbst wenn der streng con-
fessionelle Standpunkt festgehalten wird, wie will v. Tisza es rechtfertigen, die
Erhalter einer protestantischen Schule von der Unterstützung der Gemeinde¬
schule zu befreien, da ja die Gemeindeschule eben dem Postulate der Gleich¬
berechtigung der Confessionen nachkommt und wie sie an dem einen Ort dem
Katholiken als neutrales Asyl dient, so wird sie es an einem andern dem
Protestanten?*) Herr v. Tisza hat sich durch seine Angriffe gegen den Schul¬
gesetzentwurf an der Freiheit, an der der Schule und des Gewissens, ver¬
sündigt und büßt dafür in allen seinen weiteren Folgerungen hart genug.

So hat er einige seiner Hauptgesichtspunkte dahin angegeben: der Staat
soll dort, wo die confessionelle Schule einer verhältnißmäßig geringen Aus¬
hilfssumme (etwa der Gesammtkosten) zu ihrer Erhaltung benöthigt, ihr
diesen Beitrag gewähren: solche Schulen sollen dafür auch von Kindern an¬
derer Confessionen besucht werden, unter denselben Bedingungen wie von den
Kindern der die Schule erhaltenden Eltern, nur daß für ihren religiösen Un¬
terricht die eigene Konfession zu sorgen hat; welcher Einfluß auf diese Schu¬
len der Confession gewahrt bleiben, welchen Rechtskreis die Staatsregierung



") Hie und da hören wir gleichwohl, daß Baron Eötvös seinen Gegnern die Concession
machen will, die Erhalter einer confessionellen Schule von der Besteuerung zu Gunsten der
Gemeindeschule zu befreien. Um des lieben Friedens willen und um die hochwichtige Erle¬
digung nicht weiter htnausjuschiebcn, mag der Cultusminister sich dazu herbeilassen — auf
eine principielle Rechtfertigung darf diese Concession nimmer rechnen.
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[0294] leeres Wort, wenn der Wähler kaum des Lesens und Schreibens kundig, daß die wichtigste demokratische Errungenschaft der 1848er Gesetze so lange ein todter Buchstabe bleibt, als Hunderttausende an die Wahlurne treten, die nie einen Elementarunterricht genossen! Da hatte die Linke unseres 1848 er Reichstags — und auch sie zählte Protestanten genug in ihrer Mitte— ganz andere Ansichten; nicht nur würdigte sie Räzmändy's Frage, ob denn auch die Erhalter einer protestantischen Schule zu Gunsten der Gemeindeschulen besteuert werden sollten, nicht der geringsten Beachtung, sie verlangte geradezu, daß die Errichtung konfessioneller Schulen überhaupt nicht mehr gestattet werden sollte. Wo ist nun der Grund zu suchen, daß die Männer der heu¬ tigen Linken, die so gern an das Jahr 1848 erinnern, ihren Sitzen treuer geblieben als ihrer damaligen Ueberzeugung? Hat vielleicht das Bedürfniß nach confessionellen Schulen während der abgelaufenen zwei Decennien zu-, jenes nach Simultanschulen abgenommen? Oder macht etwa die Stellung, welche Ungarn seit dem erfolgten Ausgleich in der europäischen Staatenfamilie einnimmt, es ihm überflüssig, für die Bildung der gesammten Nation bis zu ihren niedersten Schichten herab und ohne Unterschied der Konfession zu sor¬ gen, und sollte diese staatliche Pflicht nicht vielmehr durch den Zuwachs an Macht und Einfluß erhöht worden sein? Und selbst wenn der streng con- fessionelle Standpunkt festgehalten wird, wie will v. Tisza es rechtfertigen, die Erhalter einer protestantischen Schule von der Unterstützung der Gemeinde¬ schule zu befreien, da ja die Gemeindeschule eben dem Postulate der Gleich¬ berechtigung der Confessionen nachkommt und wie sie an dem einen Ort dem Katholiken als neutrales Asyl dient, so wird sie es an einem andern dem Protestanten?*) Herr v. Tisza hat sich durch seine Angriffe gegen den Schul¬ gesetzentwurf an der Freiheit, an der der Schule und des Gewissens, ver¬ sündigt und büßt dafür in allen seinen weiteren Folgerungen hart genug. So hat er einige seiner Hauptgesichtspunkte dahin angegeben: der Staat soll dort, wo die confessionelle Schule einer verhältnißmäßig geringen Aus¬ hilfssumme (etwa der Gesammtkosten) zu ihrer Erhaltung benöthigt, ihr diesen Beitrag gewähren: solche Schulen sollen dafür auch von Kindern an¬ derer Confessionen besucht werden, unter denselben Bedingungen wie von den Kindern der die Schule erhaltenden Eltern, nur daß für ihren religiösen Un¬ terricht die eigene Konfession zu sorgen hat; welcher Einfluß auf diese Schu¬ len der Confession gewahrt bleiben, welchen Rechtskreis die Staatsregierung ") Hie und da hören wir gleichwohl, daß Baron Eötvös seinen Gegnern die Concession machen will, die Erhalter einer confessionellen Schule von der Besteuerung zu Gunsten der Gemeindeschule zu befreien. Um des lieben Friedens willen und um die hochwichtige Erle¬ digung nicht weiter htnausjuschiebcn, mag der Cultusminister sich dazu herbeilassen — auf eine principielle Rechtfertigung darf diese Concession nimmer rechnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/294>, abgerufen am 06.02.2025.