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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Die ungarischen Volksschulen.

Der Kampf, der hierzulande gegenwärtig auf dem Gebiete des Volks-
Unterrichts entbrannt ist, verdient es aus vielfachen Gründen, daß auch
das Ausland von ihm Notiz nimmt. Ueberall wo Staat und Kirche in
Conflict gerathen, darf die lebhafte Theilnahme Aller vorausgesetzt werden;
tritt dann noch hinzu, daß die Schule den Zankapfel bildet, so steigert sich
das Interesse in dem Maße als aller Fortschritt solidarisch und die Cultur¬
elemente aller Länder in Wechselwirkung stehen. Die Angriffe vollends, welche
in diesem Momente der Volksschulenentwurf unseres Cultusministers erfährt,
bieten ganz sonderbare, auf eine unserer großen politischen Parteien wunder¬
liche Streiflichter werfende Erscheinungen. Derselbe Gesetzentwurf nämlich,
den die katholische Hierarchie mit tiefem Grollen aufnimmt, er muß sich gleich-
Zeitig auch die heftigsten Vorwürfe von protestantischer Seite gefallen lassen,
und wer in erster Reihe unter der Fahne der kirchlichen Autonomie und
Zum Schutze der "confessionellen Schule" gegen Baron Eötvös zu Felde
Sieht, ist kein Anderer, als der protestantische Curator und Führer der Reichs-
tags-Linken, Herr Koloman von Tisza. Es geschieht so das Unglaubliche:
ultramontane Federn posaunen das Lob des Curators der reformirten Kirche
aus und das Haupt der Linken findet seine kräftigsten Stützen in den Zse-
denyi's und Somssich's der äußersten Rechten; unter dem Zujauchzen der
Römlinge wird das in blutigen Kämpfen gegen sie errungene Panier der
protestantischen Autonomie entfaltet, der Gesetzentwurf aber, welcher das
Princip der Lehr- und Lernfreiheit bis auf die Elementarschule herab ver¬
pflanzt und die politische Gemeinde ganz autonom ihre Schulen -- freilich
nicht-confessionelle -- organisiren läßt, stößt auf die heftigste Opposition
Jener, die gewohnt sind, der Deäkpartei gegenüber sich mit dem ausschlie߬
lichen Privileg echten Liberalismus zu brüsten. Zur Beschönigung dieser
Ungeheuerlichkeit greift Tisza zur bekannten, in der reactionären Rüstkammer
stets vorräthigen Waffe, zur Behauptung nämlich: "der geringere oder größere
Grad von Freiheit sei nicht der alleinige Maßstab, um den Werth von In¬
stitutionen und Gesetzen zu schätzen." Wenn irgendwo, gilt aber hier das
lui s'excuse s'aeeuss und die angeführte Behauptung ist wohl die präg¬
nanteste Charakterisirung all' des mittelalterlichen Staubes, den der Führer
der Linken diesmal aufgewirbelt -- zur Rettung des Protestantismus, wie
der Herr Curator vorgibt, in Wirklichkeit aber zur Erniedrigung des echten
protestantischen Geistes, der. im Gegensatz zu seinem jüngsten Interpreten,
den neuzeitlichen Anforderungen des Staats an die Volksschule nicht nur


Die ungarischen Volksschulen.

Der Kampf, der hierzulande gegenwärtig auf dem Gebiete des Volks-
Unterrichts entbrannt ist, verdient es aus vielfachen Gründen, daß auch
das Ausland von ihm Notiz nimmt. Ueberall wo Staat und Kirche in
Conflict gerathen, darf die lebhafte Theilnahme Aller vorausgesetzt werden;
tritt dann noch hinzu, daß die Schule den Zankapfel bildet, so steigert sich
das Interesse in dem Maße als aller Fortschritt solidarisch und die Cultur¬
elemente aller Länder in Wechselwirkung stehen. Die Angriffe vollends, welche
in diesem Momente der Volksschulenentwurf unseres Cultusministers erfährt,
bieten ganz sonderbare, auf eine unserer großen politischen Parteien wunder¬
liche Streiflichter werfende Erscheinungen. Derselbe Gesetzentwurf nämlich,
den die katholische Hierarchie mit tiefem Grollen aufnimmt, er muß sich gleich-
Zeitig auch die heftigsten Vorwürfe von protestantischer Seite gefallen lassen,
und wer in erster Reihe unter der Fahne der kirchlichen Autonomie und
Zum Schutze der „confessionellen Schule" gegen Baron Eötvös zu Felde
Sieht, ist kein Anderer, als der protestantische Curator und Führer der Reichs-
tags-Linken, Herr Koloman von Tisza. Es geschieht so das Unglaubliche:
ultramontane Federn posaunen das Lob des Curators der reformirten Kirche
aus und das Haupt der Linken findet seine kräftigsten Stützen in den Zse-
denyi's und Somssich's der äußersten Rechten; unter dem Zujauchzen der
Römlinge wird das in blutigen Kämpfen gegen sie errungene Panier der
protestantischen Autonomie entfaltet, der Gesetzentwurf aber, welcher das
Princip der Lehr- und Lernfreiheit bis auf die Elementarschule herab ver¬
pflanzt und die politische Gemeinde ganz autonom ihre Schulen — freilich
nicht-confessionelle — organisiren läßt, stößt auf die heftigste Opposition
Jener, die gewohnt sind, der Deäkpartei gegenüber sich mit dem ausschlie߬
lichen Privileg echten Liberalismus zu brüsten. Zur Beschönigung dieser
Ungeheuerlichkeit greift Tisza zur bekannten, in der reactionären Rüstkammer
stets vorräthigen Waffe, zur Behauptung nämlich: „der geringere oder größere
Grad von Freiheit sei nicht der alleinige Maßstab, um den Werth von In¬
stitutionen und Gesetzen zu schätzen." Wenn irgendwo, gilt aber hier das
lui s'excuse s'aeeuss und die angeführte Behauptung ist wohl die präg¬
nanteste Charakterisirung all' des mittelalterlichen Staubes, den der Führer
der Linken diesmal aufgewirbelt — zur Rettung des Protestantismus, wie
der Herr Curator vorgibt, in Wirklichkeit aber zur Erniedrigung des echten
protestantischen Geistes, der. im Gegensatz zu seinem jüngsten Interpreten,
den neuzeitlichen Anforderungen des Staats an die Volksschule nicht nur


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[0291] Die ungarischen Volksschulen. Der Kampf, der hierzulande gegenwärtig auf dem Gebiete des Volks- Unterrichts entbrannt ist, verdient es aus vielfachen Gründen, daß auch das Ausland von ihm Notiz nimmt. Ueberall wo Staat und Kirche in Conflict gerathen, darf die lebhafte Theilnahme Aller vorausgesetzt werden; tritt dann noch hinzu, daß die Schule den Zankapfel bildet, so steigert sich das Interesse in dem Maße als aller Fortschritt solidarisch und die Cultur¬ elemente aller Länder in Wechselwirkung stehen. Die Angriffe vollends, welche in diesem Momente der Volksschulenentwurf unseres Cultusministers erfährt, bieten ganz sonderbare, auf eine unserer großen politischen Parteien wunder¬ liche Streiflichter werfende Erscheinungen. Derselbe Gesetzentwurf nämlich, den die katholische Hierarchie mit tiefem Grollen aufnimmt, er muß sich gleich- Zeitig auch die heftigsten Vorwürfe von protestantischer Seite gefallen lassen, und wer in erster Reihe unter der Fahne der kirchlichen Autonomie und Zum Schutze der „confessionellen Schule" gegen Baron Eötvös zu Felde Sieht, ist kein Anderer, als der protestantische Curator und Führer der Reichs- tags-Linken, Herr Koloman von Tisza. Es geschieht so das Unglaubliche: ultramontane Federn posaunen das Lob des Curators der reformirten Kirche aus und das Haupt der Linken findet seine kräftigsten Stützen in den Zse- denyi's und Somssich's der äußersten Rechten; unter dem Zujauchzen der Römlinge wird das in blutigen Kämpfen gegen sie errungene Panier der protestantischen Autonomie entfaltet, der Gesetzentwurf aber, welcher das Princip der Lehr- und Lernfreiheit bis auf die Elementarschule herab ver¬ pflanzt und die politische Gemeinde ganz autonom ihre Schulen — freilich nicht-confessionelle — organisiren läßt, stößt auf die heftigste Opposition Jener, die gewohnt sind, der Deäkpartei gegenüber sich mit dem ausschlie߬ lichen Privileg echten Liberalismus zu brüsten. Zur Beschönigung dieser Ungeheuerlichkeit greift Tisza zur bekannten, in der reactionären Rüstkammer stets vorräthigen Waffe, zur Behauptung nämlich: „der geringere oder größere Grad von Freiheit sei nicht der alleinige Maßstab, um den Werth von In¬ stitutionen und Gesetzen zu schätzen." Wenn irgendwo, gilt aber hier das lui s'excuse s'aeeuss und die angeführte Behauptung ist wohl die präg¬ nanteste Charakterisirung all' des mittelalterlichen Staubes, den der Führer der Linken diesmal aufgewirbelt — zur Rettung des Protestantismus, wie der Herr Curator vorgibt, in Wirklichkeit aber zur Erniedrigung des echten protestantischen Geistes, der. im Gegensatz zu seinem jüngsten Interpreten, den neuzeitlichen Anforderungen des Staats an die Volksschule nicht nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/291>, abgerufen am 05.02.2025.