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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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schützende Verdecke gebunden, unsere Füße sorgsam in wärmendes Heu ge¬
hüllt, wir selbst mit Segenssprüchen begleitet.

Unser Weg führte durch die Städte Tara, Kainsk. Kolywan, Tomsk,
Atschinsk, Krasnojarsk, Kanst, Nishny-Udinsk, Jrkutsk; neun Städte auf
einer Strecke von 3000 Werst (etwa 430 deutschen Meilen). Von Krasnojarsk
an fuhren wir mehrere Stationen weit auf Rädern. Die wellenförmigen Berge
von gelblichrother Kreide hatten den Schnee abgeworfen, der Weg stäubte
bereits. -- Die Hauptstraße von Krasnojarsk war mit gut gebauten stei¬
nernen Häusern von nicht selten zwei Stockwerken eingefaßt; wir hielten auf dem
Markte bei derPolizeiverwaltung an, wo verschiedene Einwohner lange um die Ehre
stritten, uns bei sich beherbergen zu dürfen. Endlich bat ein Greis den Polizeimei¬
ster uns in sein Haus aufnehmen zu dürfen, es war ein Kaufmann Starzow.
Er gab uns seine besten Zimmer, bewirthete uns freigebig und hatte nach
russischer Art ein erquickendes Bad bereiten lassen. Bei unserm Eintritt in
sein Haus stellte er uns seine Söhne und Schwiegertöchter vor; wir führten
mit ihm eine angenehme Unterhaltung über die uns unbekannte Gegend. --
Ich freute mich, daß ich zufällig gerade bei ihm einquartirt war, und hoffte
auf diese Weise hinter ein Geheimniß zu kommen, daß uns schon lange
plagte; aber alle meine Fragen und Anspielungen blieben vergeblich, Starzow
sagte immer, daß er Nichts wüßte. Die Sache war die, daß von Tjumen
an die Postillone und Bauern uns überall gefragt hatten, ob wir nicht Afanassy
Petrowitsch gesehen hätten? Dann erzählten sie, daß der Polizeimeister aus
Tobolsk, Alerejew, und der Kaufmann aus Krasnojarsk, Starzow, diesen
Mann ehrerbietig nach Petersburg begleitet hätten, daß derselbe einen Tag
in Tobolsk geruht und den Generalgouvemeur Kopzewitsch, der an einer halb
geöffneten Thür dagestanden, bemerkt, sogleich erkannt und gefragt habe:
"Nun, Kopzewitsch, Favorit von Gatschina, erkennst du mich noch?" -- Der
Unbekannte sei sehr alt, aber noch frisch gewesen und habe sich durch eine
sehr feine Kleidung ausgezeichnet. Im Volk cursirten die verschiedensten
Gerüchte. Einige behaupteten, Afanassy Petrowitsch sei ein vom Kaiser Paul
verschickter Bojar, Andere hielten ihn für einen leiblichen Bruder dieses Kaisers.
Mein Wirth war wahrscheinlich in das Geheimniß eingeweiht, aber
er schwieg hartnäckig. Als ich später auf meiner Rückreise in seinen Wohn¬
ort kam, fand ich ihn nicht mehr am Leben; seine Kinder wußten nur, daß
er und der Obrist Alexcjew die geheimnißvolle Person nach Petersburg be¬
gleitet hätten.

Den 22. März kamen wir endlich in Jrkutsk an; die letzten 3000 Werst
waren wir mithin noch einmal so langsam gefahren, als die ersten 3000 Werst
von Petersburg bis Tobolsk: dafür war kein einziges Pferd gefallen und
wir hatten ein bis fünfmal wöchentlich genächtigt. In Jrkutsk hatten wir


schützende Verdecke gebunden, unsere Füße sorgsam in wärmendes Heu ge¬
hüllt, wir selbst mit Segenssprüchen begleitet.

Unser Weg führte durch die Städte Tara, Kainsk. Kolywan, Tomsk,
Atschinsk, Krasnojarsk, Kanst, Nishny-Udinsk, Jrkutsk; neun Städte auf
einer Strecke von 3000 Werst (etwa 430 deutschen Meilen). Von Krasnojarsk
an fuhren wir mehrere Stationen weit auf Rädern. Die wellenförmigen Berge
von gelblichrother Kreide hatten den Schnee abgeworfen, der Weg stäubte
bereits. — Die Hauptstraße von Krasnojarsk war mit gut gebauten stei¬
nernen Häusern von nicht selten zwei Stockwerken eingefaßt; wir hielten auf dem
Markte bei derPolizeiverwaltung an, wo verschiedene Einwohner lange um die Ehre
stritten, uns bei sich beherbergen zu dürfen. Endlich bat ein Greis den Polizeimei¬
ster uns in sein Haus aufnehmen zu dürfen, es war ein Kaufmann Starzow.
Er gab uns seine besten Zimmer, bewirthete uns freigebig und hatte nach
russischer Art ein erquickendes Bad bereiten lassen. Bei unserm Eintritt in
sein Haus stellte er uns seine Söhne und Schwiegertöchter vor; wir führten
mit ihm eine angenehme Unterhaltung über die uns unbekannte Gegend. —
Ich freute mich, daß ich zufällig gerade bei ihm einquartirt war, und hoffte
auf diese Weise hinter ein Geheimniß zu kommen, daß uns schon lange
plagte; aber alle meine Fragen und Anspielungen blieben vergeblich, Starzow
sagte immer, daß er Nichts wüßte. Die Sache war die, daß von Tjumen
an die Postillone und Bauern uns überall gefragt hatten, ob wir nicht Afanassy
Petrowitsch gesehen hätten? Dann erzählten sie, daß der Polizeimeister aus
Tobolsk, Alerejew, und der Kaufmann aus Krasnojarsk, Starzow, diesen
Mann ehrerbietig nach Petersburg begleitet hätten, daß derselbe einen Tag
in Tobolsk geruht und den Generalgouvemeur Kopzewitsch, der an einer halb
geöffneten Thür dagestanden, bemerkt, sogleich erkannt und gefragt habe:
„Nun, Kopzewitsch, Favorit von Gatschina, erkennst du mich noch?" — Der
Unbekannte sei sehr alt, aber noch frisch gewesen und habe sich durch eine
sehr feine Kleidung ausgezeichnet. Im Volk cursirten die verschiedensten
Gerüchte. Einige behaupteten, Afanassy Petrowitsch sei ein vom Kaiser Paul
verschickter Bojar, Andere hielten ihn für einen leiblichen Bruder dieses Kaisers.
Mein Wirth war wahrscheinlich in das Geheimniß eingeweiht, aber
er schwieg hartnäckig. Als ich später auf meiner Rückreise in seinen Wohn¬
ort kam, fand ich ihn nicht mehr am Leben; seine Kinder wußten nur, daß
er und der Obrist Alexcjew die geheimnißvolle Person nach Petersburg be¬
gleitet hätten.

Den 22. März kamen wir endlich in Jrkutsk an; die letzten 3000 Werst
waren wir mithin noch einmal so langsam gefahren, als die ersten 3000 Werst
von Petersburg bis Tobolsk: dafür war kein einziges Pferd gefallen und
wir hatten ein bis fünfmal wöchentlich genächtigt. In Jrkutsk hatten wir


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[0282] schützende Verdecke gebunden, unsere Füße sorgsam in wärmendes Heu ge¬ hüllt, wir selbst mit Segenssprüchen begleitet. Unser Weg führte durch die Städte Tara, Kainsk. Kolywan, Tomsk, Atschinsk, Krasnojarsk, Kanst, Nishny-Udinsk, Jrkutsk; neun Städte auf einer Strecke von 3000 Werst (etwa 430 deutschen Meilen). Von Krasnojarsk an fuhren wir mehrere Stationen weit auf Rädern. Die wellenförmigen Berge von gelblichrother Kreide hatten den Schnee abgeworfen, der Weg stäubte bereits. — Die Hauptstraße von Krasnojarsk war mit gut gebauten stei¬ nernen Häusern von nicht selten zwei Stockwerken eingefaßt; wir hielten auf dem Markte bei derPolizeiverwaltung an, wo verschiedene Einwohner lange um die Ehre stritten, uns bei sich beherbergen zu dürfen. Endlich bat ein Greis den Polizeimei¬ ster uns in sein Haus aufnehmen zu dürfen, es war ein Kaufmann Starzow. Er gab uns seine besten Zimmer, bewirthete uns freigebig und hatte nach russischer Art ein erquickendes Bad bereiten lassen. Bei unserm Eintritt in sein Haus stellte er uns seine Söhne und Schwiegertöchter vor; wir führten mit ihm eine angenehme Unterhaltung über die uns unbekannte Gegend. — Ich freute mich, daß ich zufällig gerade bei ihm einquartirt war, und hoffte auf diese Weise hinter ein Geheimniß zu kommen, daß uns schon lange plagte; aber alle meine Fragen und Anspielungen blieben vergeblich, Starzow sagte immer, daß er Nichts wüßte. Die Sache war die, daß von Tjumen an die Postillone und Bauern uns überall gefragt hatten, ob wir nicht Afanassy Petrowitsch gesehen hätten? Dann erzählten sie, daß der Polizeimeister aus Tobolsk, Alerejew, und der Kaufmann aus Krasnojarsk, Starzow, diesen Mann ehrerbietig nach Petersburg begleitet hätten, daß derselbe einen Tag in Tobolsk geruht und den Generalgouvemeur Kopzewitsch, der an einer halb geöffneten Thür dagestanden, bemerkt, sogleich erkannt und gefragt habe: „Nun, Kopzewitsch, Favorit von Gatschina, erkennst du mich noch?" — Der Unbekannte sei sehr alt, aber noch frisch gewesen und habe sich durch eine sehr feine Kleidung ausgezeichnet. Im Volk cursirten die verschiedensten Gerüchte. Einige behaupteten, Afanassy Petrowitsch sei ein vom Kaiser Paul verschickter Bojar, Andere hielten ihn für einen leiblichen Bruder dieses Kaisers. Mein Wirth war wahrscheinlich in das Geheimniß eingeweiht, aber er schwieg hartnäckig. Als ich später auf meiner Rückreise in seinen Wohn¬ ort kam, fand ich ihn nicht mehr am Leben; seine Kinder wußten nur, daß er und der Obrist Alexcjew die geheimnißvolle Person nach Petersburg be¬ gleitet hätten. Den 22. März kamen wir endlich in Jrkutsk an; die letzten 3000 Werst waren wir mithin noch einmal so langsam gefahren, als die ersten 3000 Werst von Petersburg bis Tobolsk: dafür war kein einziges Pferd gefallen und wir hatten ein bis fünfmal wöchentlich genächtigt. In Jrkutsk hatten wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/282>, abgerufen am 06.02.2025.