Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.nur Leichen fahren, aber nicht Feldjäger!" --und drohend und fluchend trieb Am 22. Februar früh Morgens kamen wir in Tobolsk im Hause des nur Leichen fahren, aber nicht Feldjäger!" —und drohend und fluchend trieb Am 22. Februar früh Morgens kamen wir in Tobolsk im Hause des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287552"/> <p xml:id="ID_738" prev="#ID_737"> nur Leichen fahren, aber nicht Feldjäger!" —und drohend und fluchend trieb<lb/> er den Postillon zu wahnsinniger Eile an. Ich mußte bisweilen mit dem<lb/> Aermel meines Pelzes Mund und Nase bedecken, das schnelle Fahren bei<lb/> der strengen Kälte hemmte mir den Athem. Durch solche Chikanen brachte<lb/> der schändliche habsüchtige Mensch es dahin, daß allein bis Tobolsk sieben<lb/> Pferde todt zu Boden stürzten. Er hoffte dadurch die PostHalter zu einem<lb/> theilweisen Nachlaß des Norspanngeldes zu zwingen. — Ich remonstrirte<lb/> und schalt vergebens und konnte oft kaum an mich halten, wenn ich sah, daß<lb/> der Postillon auf solche Weise sein bestes, feurigstes Pferd verlor und<lb/> schluchzend die Stränge desselben durchschnitt. Ich wollte, daß der Feldjäger<lb/> auf der nächsten Station ihm einen Revers ausstelle, nach welchem der<lb/> Eigenthümer 20 Rubel Silber Entschädigung erhielt, obgleich das Pferd 40<lb/> Rubel werth war. „Ach was" rief der Feldjäger, „wie können Sie sich<lb/> für einen Betrüger und Taugenichts verwenden, der mir mit Absicht ein<lb/> krankes Pferd vorgespannt hat; das ist eine alte Finte dieser Canaillen" und<lb/> dabei blieb es. Doch auf den Stationen, die von Tataren gehalten wur¬<lb/> den und jenseit Tjumen immer zahlreicher wurden, konnte der Feldjäger<lb/> Nichts ausrichten; man verlangte von ihm die volle Zahl der Vorspann¬<lb/> gelder und fuhr so schnell, daß er den Fuhrleuten Nichts anhaben konnte.<lb/> Kaum näherten wir uns einer Station, so hoben die Fuhrleute uns sogleich<lb/> aus den Schlitten, damit die Pferde keine Minute stehen blieben und eine<lb/> Stunde lang zur Erholung umher geführt werden konnten. Mit Schaden¬<lb/> freude und Lächeln sahen sie auf den jFeldjäger; die Postillone waren ge¬<lb/> wandt und ihrer Sache sicher, ihre Pferde leicht und rasch wie der Wind.</p><lb/> <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Am 22. Februar früh Morgens kamen wir in Tobolsk im Hause des<lb/> Polizeimeisters an; hier empfing uns ein Polizeibeamter, der uns ersuchte,<lb/> nicht aus den Schlitten zu steigen, sondern zum Polizeihof zu fahren. Wir<lb/> waren überrascht über diesen höflichen Empfang, der zu der Wohnungsan¬<lb/> weisung einen schroffen Contrast bildete: wir erhielten ein Zimmer im Poli¬<lb/> zeizuchthause. Unterdessen hatte man unsere Postschlitten nicht weggeschickt,<lb/> unsere Reisesacke nicht herausgetragen. Wir waren so schnell gereist, daß<lb/> wir unsere Kameraden eingeholt hatten, die zwei Tage vor uns aus Peters¬<lb/> burg abgefertigt worden waren; bis man sie weiter erpedirte. wurden wir<lb/> in der Polizei aufgehalten, dann aber in die Wohnung des Polizeimeisters<lb/> Alex^jew geführt, wo wir zwei Tage in dessen Gastzimmern ruhten und auf<lb/> Befehl des Civilgouverneurs Bantysch-Kamensky außerordentlich gut be¬<lb/> wirthet wurden. Zum Frühstück reichte man uns allein zwölf verschiedene<lb/> Fischgattungen aus den fischreichen Flüssen Sibiriens. Diese Ruhe und<lb/> Pflege war uns nothwendig und wurde in vollen Zügen genossen. Am<lb/> Morgen des dritten Tages mußten wir unsere Reise fortsetzen; statt des</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0280]
nur Leichen fahren, aber nicht Feldjäger!" —und drohend und fluchend trieb
er den Postillon zu wahnsinniger Eile an. Ich mußte bisweilen mit dem
Aermel meines Pelzes Mund und Nase bedecken, das schnelle Fahren bei
der strengen Kälte hemmte mir den Athem. Durch solche Chikanen brachte
der schändliche habsüchtige Mensch es dahin, daß allein bis Tobolsk sieben
Pferde todt zu Boden stürzten. Er hoffte dadurch die PostHalter zu einem
theilweisen Nachlaß des Norspanngeldes zu zwingen. — Ich remonstrirte
und schalt vergebens und konnte oft kaum an mich halten, wenn ich sah, daß
der Postillon auf solche Weise sein bestes, feurigstes Pferd verlor und
schluchzend die Stränge desselben durchschnitt. Ich wollte, daß der Feldjäger
auf der nächsten Station ihm einen Revers ausstelle, nach welchem der
Eigenthümer 20 Rubel Silber Entschädigung erhielt, obgleich das Pferd 40
Rubel werth war. „Ach was" rief der Feldjäger, „wie können Sie sich
für einen Betrüger und Taugenichts verwenden, der mir mit Absicht ein
krankes Pferd vorgespannt hat; das ist eine alte Finte dieser Canaillen" und
dabei blieb es. Doch auf den Stationen, die von Tataren gehalten wur¬
den und jenseit Tjumen immer zahlreicher wurden, konnte der Feldjäger
Nichts ausrichten; man verlangte von ihm die volle Zahl der Vorspann¬
gelder und fuhr so schnell, daß er den Fuhrleuten Nichts anhaben konnte.
Kaum näherten wir uns einer Station, so hoben die Fuhrleute uns sogleich
aus den Schlitten, damit die Pferde keine Minute stehen blieben und eine
Stunde lang zur Erholung umher geführt werden konnten. Mit Schaden¬
freude und Lächeln sahen sie auf den jFeldjäger; die Postillone waren ge¬
wandt und ihrer Sache sicher, ihre Pferde leicht und rasch wie der Wind.
Am 22. Februar früh Morgens kamen wir in Tobolsk im Hause des
Polizeimeisters an; hier empfing uns ein Polizeibeamter, der uns ersuchte,
nicht aus den Schlitten zu steigen, sondern zum Polizeihof zu fahren. Wir
waren überrascht über diesen höflichen Empfang, der zu der Wohnungsan¬
weisung einen schroffen Contrast bildete: wir erhielten ein Zimmer im Poli¬
zeizuchthause. Unterdessen hatte man unsere Postschlitten nicht weggeschickt,
unsere Reisesacke nicht herausgetragen. Wir waren so schnell gereist, daß
wir unsere Kameraden eingeholt hatten, die zwei Tage vor uns aus Peters¬
burg abgefertigt worden waren; bis man sie weiter erpedirte. wurden wir
in der Polizei aufgehalten, dann aber in die Wohnung des Polizeimeisters
Alex^jew geführt, wo wir zwei Tage in dessen Gastzimmern ruhten und auf
Befehl des Civilgouverneurs Bantysch-Kamensky außerordentlich gut be¬
wirthet wurden. Zum Frühstück reichte man uns allein zwölf verschiedene
Fischgattungen aus den fischreichen Flüssen Sibiriens. Diese Ruhe und
Pflege war uns nothwendig und wurde in vollen Zügen genossen. Am
Morgen des dritten Tages mußten wir unsere Reise fortsetzen; statt des
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