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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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großem Nutzen bet Regen und Kälte. Noch bat ich meine Frau, die Wittwe
und die Tochter Nyle'jew's zu besuchen und sie nicht zu vergessen. -- Die
festgesetzte Stunde des Wiedersehens war bald zu Ende, wir trennten uns
in der festen Hoffnung auf Wiedervereinigung, gleichviel wann und wo.
Dann kehrte ich mit schnellem Schritt in meine Käsematte zurück, ich be¬
merkte kaum das Grün, freute mich nicht der Blumen im Garten, die Luft
war trübe von dem Rauch der in weitem Umkreis brennenden Wälder --
sogar die Sonne sah aus wie eine glühende eiserne runde Platte.

Die Abfertigung meiner zur Ansiedelung und zum Soldatendienst in Si¬
birien bestimmten Kameraden nahm unterdessen unaufhörlich ihren langsamen
Fortgang; alle drei Tage wurden nur vier Mann abgeschickt, damit der
Postenlauf nicht gehemmt werde. -- Im September bekamen wir die Erlaub¬
niß, bis zu unserer Abfertigung unsere nächsten Verwandten eine Stunde
in der Woche sehen zu dürfen. Meine Frau besuchte mich jede Mittwoch.
-- Auch meine Brüder durften mich zuweilen sehen, einer derselben kam
aus Esthland angereiht. Mein jüngster Bruder, der Cadett im 1. Cadetten-
corps, erschien gleichfalls, er weinte bitterlich und bedauerte unter Anderm,
daß ich durch meine Verurtheilung das Recht verloren, jemals das Georgen¬
kreuz zu verdienen. Er theilte mir ferner mit, daß die Cadetten darauf stolz
seien, mehrere Namen früherer Zöglinge ihres Instituts in der Zahl der
Verurtheilten zu finden, und mich bedauerten, daß ich nicht desselben ehren¬
vollen Looses wie Nyle'jew theilhaftig geworden.

So vergingen sieben Monate in steter Erwartung meiner Abreise nach
Sibirien. Ein ganzes Jahr der Einkerkerkerung in den Kasematten lag bereits
hinter mir und noch immer mußte ich warten. Im Winter wurden die leer¬
gewordenen Nummern unseres Gefängnisses von Polen besetzt, die Kenntniß
von der geheimen Gesellschaft in Rußland gehabt hatten. Diese Polen ver¬
standen ihre Sache so gut zu führen, die Haltung der polnischen revolutio¬
nären Gesellschaft so gut zu verdecken, daß nur Wenige, Graf Mochinsky,
Kryschanowsky und Janusch-Kewitsch nach Sibirien verbannt wurden. Ge¬
genüber meiner Nummer hatte die Stelle von Bobrischtschew-Puschkin I. ein
Obrist Worzel eingenommen. Er war mit den Schicksal der übrigen Ver¬
urtheilten nicht bekannt, da er mehrere Monate in einer anderen Festung
zugebracht hatte. singend und in französischer Sprache erkundigte er sich
bei mir, seinem gegenüber eingeschlossenen Nachbarn, nach seinen Bekannten,
-- er nannte Pestel, S. Murawjew, Wolkonsky -- singend mußte ich ihm
antworten: xsuäu, xenäu, exiI6 g. UMtseKinick. -- Nach Neujahr 1827
wurden die Abfertigungen wieder neu aufgenommen. Mein Mantelsack war
schon.lange bereit. Mein Schwager war nach Petersburg gekommen und hatte
Rennthierfelle gekauft, aus denen meine Frau mir einen Ueberrock nähen ließ.


großem Nutzen bet Regen und Kälte. Noch bat ich meine Frau, die Wittwe
und die Tochter Nyle'jew's zu besuchen und sie nicht zu vergessen. — Die
festgesetzte Stunde des Wiedersehens war bald zu Ende, wir trennten uns
in der festen Hoffnung auf Wiedervereinigung, gleichviel wann und wo.
Dann kehrte ich mit schnellem Schritt in meine Käsematte zurück, ich be¬
merkte kaum das Grün, freute mich nicht der Blumen im Garten, die Luft
war trübe von dem Rauch der in weitem Umkreis brennenden Wälder —
sogar die Sonne sah aus wie eine glühende eiserne runde Platte.

Die Abfertigung meiner zur Ansiedelung und zum Soldatendienst in Si¬
birien bestimmten Kameraden nahm unterdessen unaufhörlich ihren langsamen
Fortgang; alle drei Tage wurden nur vier Mann abgeschickt, damit der
Postenlauf nicht gehemmt werde. — Im September bekamen wir die Erlaub¬
niß, bis zu unserer Abfertigung unsere nächsten Verwandten eine Stunde
in der Woche sehen zu dürfen. Meine Frau besuchte mich jede Mittwoch.
— Auch meine Brüder durften mich zuweilen sehen, einer derselben kam
aus Esthland angereiht. Mein jüngster Bruder, der Cadett im 1. Cadetten-
corps, erschien gleichfalls, er weinte bitterlich und bedauerte unter Anderm,
daß ich durch meine Verurtheilung das Recht verloren, jemals das Georgen¬
kreuz zu verdienen. Er theilte mir ferner mit, daß die Cadetten darauf stolz
seien, mehrere Namen früherer Zöglinge ihres Instituts in der Zahl der
Verurtheilten zu finden, und mich bedauerten, daß ich nicht desselben ehren¬
vollen Looses wie Nyle'jew theilhaftig geworden.

So vergingen sieben Monate in steter Erwartung meiner Abreise nach
Sibirien. Ein ganzes Jahr der Einkerkerkerung in den Kasematten lag bereits
hinter mir und noch immer mußte ich warten. Im Winter wurden die leer¬
gewordenen Nummern unseres Gefängnisses von Polen besetzt, die Kenntniß
von der geheimen Gesellschaft in Rußland gehabt hatten. Diese Polen ver¬
standen ihre Sache so gut zu führen, die Haltung der polnischen revolutio¬
nären Gesellschaft so gut zu verdecken, daß nur Wenige, Graf Mochinsky,
Kryschanowsky und Janusch-Kewitsch nach Sibirien verbannt wurden. Ge¬
genüber meiner Nummer hatte die Stelle von Bobrischtschew-Puschkin I. ein
Obrist Worzel eingenommen. Er war mit den Schicksal der übrigen Ver¬
urtheilten nicht bekannt, da er mehrere Monate in einer anderen Festung
zugebracht hatte. singend und in französischer Sprache erkundigte er sich
bei mir, seinem gegenüber eingeschlossenen Nachbarn, nach seinen Bekannten,
— er nannte Pestel, S. Murawjew, Wolkonsky — singend mußte ich ihm
antworten: xsuäu, xenäu, exiI6 g. UMtseKinick. — Nach Neujahr 1827
wurden die Abfertigungen wieder neu aufgenommen. Mein Mantelsack war
schon.lange bereit. Mein Schwager war nach Petersburg gekommen und hatte
Rennthierfelle gekauft, aus denen meine Frau mir einen Ueberrock nähen ließ.


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[0274] großem Nutzen bet Regen und Kälte. Noch bat ich meine Frau, die Wittwe und die Tochter Nyle'jew's zu besuchen und sie nicht zu vergessen. — Die festgesetzte Stunde des Wiedersehens war bald zu Ende, wir trennten uns in der festen Hoffnung auf Wiedervereinigung, gleichviel wann und wo. Dann kehrte ich mit schnellem Schritt in meine Käsematte zurück, ich be¬ merkte kaum das Grün, freute mich nicht der Blumen im Garten, die Luft war trübe von dem Rauch der in weitem Umkreis brennenden Wälder — sogar die Sonne sah aus wie eine glühende eiserne runde Platte. Die Abfertigung meiner zur Ansiedelung und zum Soldatendienst in Si¬ birien bestimmten Kameraden nahm unterdessen unaufhörlich ihren langsamen Fortgang; alle drei Tage wurden nur vier Mann abgeschickt, damit der Postenlauf nicht gehemmt werde. — Im September bekamen wir die Erlaub¬ niß, bis zu unserer Abfertigung unsere nächsten Verwandten eine Stunde in der Woche sehen zu dürfen. Meine Frau besuchte mich jede Mittwoch. — Auch meine Brüder durften mich zuweilen sehen, einer derselben kam aus Esthland angereiht. Mein jüngster Bruder, der Cadett im 1. Cadetten- corps, erschien gleichfalls, er weinte bitterlich und bedauerte unter Anderm, daß ich durch meine Verurtheilung das Recht verloren, jemals das Georgen¬ kreuz zu verdienen. Er theilte mir ferner mit, daß die Cadetten darauf stolz seien, mehrere Namen früherer Zöglinge ihres Instituts in der Zahl der Verurtheilten zu finden, und mich bedauerten, daß ich nicht desselben ehren¬ vollen Looses wie Nyle'jew theilhaftig geworden. So vergingen sieben Monate in steter Erwartung meiner Abreise nach Sibirien. Ein ganzes Jahr der Einkerkerkerung in den Kasematten lag bereits hinter mir und noch immer mußte ich warten. Im Winter wurden die leer¬ gewordenen Nummern unseres Gefängnisses von Polen besetzt, die Kenntniß von der geheimen Gesellschaft in Rußland gehabt hatten. Diese Polen ver¬ standen ihre Sache so gut zu führen, die Haltung der polnischen revolutio¬ nären Gesellschaft so gut zu verdecken, daß nur Wenige, Graf Mochinsky, Kryschanowsky und Janusch-Kewitsch nach Sibirien verbannt wurden. Ge¬ genüber meiner Nummer hatte die Stelle von Bobrischtschew-Puschkin I. ein Obrist Worzel eingenommen. Er war mit den Schicksal der übrigen Ver¬ urtheilten nicht bekannt, da er mehrere Monate in einer anderen Festung zugebracht hatte. singend und in französischer Sprache erkundigte er sich bei mir, seinem gegenüber eingeschlossenen Nachbarn, nach seinen Bekannten, — er nannte Pestel, S. Murawjew, Wolkonsky — singend mußte ich ihm antworten: xsuäu, xenäu, exiI6 g. UMtseKinick. — Nach Neujahr 1827 wurden die Abfertigungen wieder neu aufgenommen. Mein Mantelsack war schon.lange bereit. Mein Schwager war nach Petersburg gekommen und hatte Rennthierfelle gekauft, aus denen meine Frau mir einen Ueberrock nähen ließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/274>, abgerufen am 06.02.2025.