Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

staatlichen Versicherungsgewerbes gegen besonderen Entgelt und die Aus¬
sicht über den concurrirenden Privatgewerbebetrieb in den Händen derselben
Beamten liegt.

Die Debatte über diesen Gegenstand gehört zu den interessantesten Par¬
tien des Handelstags. Eisen seu et-Chemnitz bezeichnete den Vortrag des
Referenten als oratio xro äomo; er seinerseits wolle auch das Interesse der
Versicherten wahren. Redner sucht durch Zahlen nachzuweisen, daß die be¬
stehenden Versicherungs-Anstalten der Nachfrage nicht genügen, und will da¬
raus die hohen Dividenden der Versicherungsanstalten und die erschwerenden
Bestimmungen erklären, durch welche das Versicherungswesen benachteiligt
werde. Aus demselben Grunde legt er eine Lanze ein für die Staatsanstal¬
ten, die seiner Erfahrung nach günstigere Bedingungen böten, und redet
selbst einer "theilweise obligatorischen Verpflichtung" das Wort. Gegen das
Zahlenwerk in dieser durch lebendige Darstellung fesselnden Rede erhebt der
genannte Generaldirector Knoblauch, eine der ersten Autoritäten auf diesem
Gebiet, zugleich sehr gewandter Redner, gewaltige Bedenken. Ueberhaupt ge¬
staltet sich der Vortrag des Letzteren, der gekommen war die Klage gegen
das Verhalten des Staats zu begründen, mehr und mehr zu einer Verthei¬
digung der Versicherungsanstalten gegen die Angriffe des Vorredners, der
großentheils alte, längst beseitigte Mißbräuche im Auge habe. Eisen stuck
erklärte daraus, er freue sich dieser Belehrung, die ihm die Möglichkeit zeige,
mit seinem alten Freunde wieder einmal einen Versicherungsvertrag abzu¬
schließen. Dr. Soetbeer ist ebenfalls für Zwangsversicherung im Interesse
der Hypothekengläubiger. Dagegen construirt Dr. Meyer die Nothwendig¬
keit der freiesten Bewegung auch auf diesem Gebiete des Wirthschaftslebens
aus der Theorie. Den Vorredner weist er auf Ereignisse wie den Ham¬
burger Brand und auf deren Folgen für eine communale Versicherungs¬
anstalt hin; würde z. B. Bremen von einem ähnlichen Unglück betroffen,
so würde der Schaden sich auf etwa 60 Anstalten vertheilen. Auch der
Referent bekämpft im Schlußwort die Eisenstu et'schen Anträge. Der erste
davon wurde denn auch abgelehnt; den zweiten, auf die Staatsanstalten
bezüglichen, vermochte der Antragsteller nur dadurch vor dem gleichen
Schicksal zu retten, daß er besondere Abstimmung über die Worte: "selbst
mit theilweiser obligatorischer Verpflichtung" beantragte und so dem Antrage
die Spitze abbrach. Mit der dadurch bedingten geringen Modifikation wurde
die Vorlage des Ausschusses mit großer Majorität angenommen. Darüber
war es Abend geworden, sodnß der Präsident nur nochdas Resultat der Neuwahl
des bleibenden Ausschusses verkünden konnte. Zur Erledigung der wichtigen
Zollfragen blieb sonach nur der vierte Tag übrig. Wir erwähnten schon
oben, daß die Tagesordnung auf Zucker und Eisen beschränkt werden mußte.


staatlichen Versicherungsgewerbes gegen besonderen Entgelt und die Aus¬
sicht über den concurrirenden Privatgewerbebetrieb in den Händen derselben
Beamten liegt.

Die Debatte über diesen Gegenstand gehört zu den interessantesten Par¬
tien des Handelstags. Eisen seu et-Chemnitz bezeichnete den Vortrag des
Referenten als oratio xro äomo; er seinerseits wolle auch das Interesse der
Versicherten wahren. Redner sucht durch Zahlen nachzuweisen, daß die be¬
stehenden Versicherungs-Anstalten der Nachfrage nicht genügen, und will da¬
raus die hohen Dividenden der Versicherungsanstalten und die erschwerenden
Bestimmungen erklären, durch welche das Versicherungswesen benachteiligt
werde. Aus demselben Grunde legt er eine Lanze ein für die Staatsanstal¬
ten, die seiner Erfahrung nach günstigere Bedingungen böten, und redet
selbst einer „theilweise obligatorischen Verpflichtung" das Wort. Gegen das
Zahlenwerk in dieser durch lebendige Darstellung fesselnden Rede erhebt der
genannte Generaldirector Knoblauch, eine der ersten Autoritäten auf diesem
Gebiet, zugleich sehr gewandter Redner, gewaltige Bedenken. Ueberhaupt ge¬
staltet sich der Vortrag des Letzteren, der gekommen war die Klage gegen
das Verhalten des Staats zu begründen, mehr und mehr zu einer Verthei¬
digung der Versicherungsanstalten gegen die Angriffe des Vorredners, der
großentheils alte, längst beseitigte Mißbräuche im Auge habe. Eisen stuck
erklärte daraus, er freue sich dieser Belehrung, die ihm die Möglichkeit zeige,
mit seinem alten Freunde wieder einmal einen Versicherungsvertrag abzu¬
schließen. Dr. Soetbeer ist ebenfalls für Zwangsversicherung im Interesse
der Hypothekengläubiger. Dagegen construirt Dr. Meyer die Nothwendig¬
keit der freiesten Bewegung auch auf diesem Gebiete des Wirthschaftslebens
aus der Theorie. Den Vorredner weist er auf Ereignisse wie den Ham¬
burger Brand und auf deren Folgen für eine communale Versicherungs¬
anstalt hin; würde z. B. Bremen von einem ähnlichen Unglück betroffen,
so würde der Schaden sich auf etwa 60 Anstalten vertheilen. Auch der
Referent bekämpft im Schlußwort die Eisenstu et'schen Anträge. Der erste
davon wurde denn auch abgelehnt; den zweiten, auf die Staatsanstalten
bezüglichen, vermochte der Antragsteller nur dadurch vor dem gleichen
Schicksal zu retten, daß er besondere Abstimmung über die Worte: „selbst
mit theilweiser obligatorischer Verpflichtung" beantragte und so dem Antrage
die Spitze abbrach. Mit der dadurch bedingten geringen Modifikation wurde
die Vorlage des Ausschusses mit großer Majorität angenommen. Darüber
war es Abend geworden, sodnß der Präsident nur nochdas Resultat der Neuwahl
des bleibenden Ausschusses verkünden konnte. Zur Erledigung der wichtigen
Zollfragen blieb sonach nur der vierte Tag übrig. Wir erwähnten schon
oben, daß die Tagesordnung auf Zucker und Eisen beschränkt werden mußte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287528"/>
            <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664"> staatlichen Versicherungsgewerbes gegen besonderen Entgelt und die Aus¬<lb/>
sicht über den concurrirenden Privatgewerbebetrieb in den Händen derselben<lb/>
Beamten liegt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_666"> Die Debatte über diesen Gegenstand gehört zu den interessantesten Par¬<lb/>
tien des Handelstags. Eisen seu et-Chemnitz bezeichnete den Vortrag des<lb/>
Referenten als oratio xro äomo; er seinerseits wolle auch das Interesse der<lb/>
Versicherten wahren. Redner sucht durch Zahlen nachzuweisen, daß die be¬<lb/>
stehenden Versicherungs-Anstalten der Nachfrage nicht genügen, und will da¬<lb/>
raus die hohen Dividenden der Versicherungsanstalten und die erschwerenden<lb/>
Bestimmungen erklären, durch welche das Versicherungswesen benachteiligt<lb/>
werde. Aus demselben Grunde legt er eine Lanze ein für die Staatsanstal¬<lb/>
ten, die seiner Erfahrung nach günstigere Bedingungen böten, und redet<lb/>
selbst einer &#x201E;theilweise obligatorischen Verpflichtung" das Wort. Gegen das<lb/>
Zahlenwerk in dieser durch lebendige Darstellung fesselnden Rede erhebt der<lb/>
genannte Generaldirector Knoblauch, eine der ersten Autoritäten auf diesem<lb/>
Gebiet, zugleich sehr gewandter Redner, gewaltige Bedenken. Ueberhaupt ge¬<lb/>
staltet sich der Vortrag des Letzteren, der gekommen war die Klage gegen<lb/>
das Verhalten des Staats zu begründen, mehr und mehr zu einer Verthei¬<lb/>
digung der Versicherungsanstalten gegen die Angriffe des Vorredners, der<lb/>
großentheils alte, längst beseitigte Mißbräuche im Auge habe. Eisen stuck<lb/>
erklärte daraus, er freue sich dieser Belehrung, die ihm die Möglichkeit zeige,<lb/>
mit seinem alten Freunde wieder einmal einen Versicherungsvertrag abzu¬<lb/>
schließen. Dr. Soetbeer ist ebenfalls für Zwangsversicherung im Interesse<lb/>
der Hypothekengläubiger. Dagegen construirt Dr. Meyer die Nothwendig¬<lb/>
keit der freiesten Bewegung auch auf diesem Gebiete des Wirthschaftslebens<lb/>
aus der Theorie. Den Vorredner weist er auf Ereignisse wie den Ham¬<lb/>
burger Brand und auf deren Folgen für eine communale Versicherungs¬<lb/>
anstalt hin; würde z. B. Bremen von einem ähnlichen Unglück betroffen,<lb/>
so würde der Schaden sich auf etwa 60 Anstalten vertheilen. Auch der<lb/>
Referent bekämpft im Schlußwort die Eisenstu et'schen Anträge. Der erste<lb/>
davon wurde denn auch abgelehnt; den zweiten, auf die Staatsanstalten<lb/>
bezüglichen, vermochte der Antragsteller nur dadurch vor dem gleichen<lb/>
Schicksal zu retten, daß er besondere Abstimmung über die Worte: &#x201E;selbst<lb/>
mit theilweiser obligatorischer Verpflichtung" beantragte und so dem Antrage<lb/>
die Spitze abbrach. Mit der dadurch bedingten geringen Modifikation wurde<lb/>
die Vorlage des Ausschusses mit großer Majorität angenommen. Darüber<lb/>
war es Abend geworden, sodnß der Präsident nur nochdas Resultat der Neuwahl<lb/>
des bleibenden Ausschusses verkünden konnte. Zur Erledigung der wichtigen<lb/>
Zollfragen blieb sonach nur der vierte Tag übrig. Wir erwähnten schon<lb/>
oben, daß die Tagesordnung auf Zucker und Eisen beschränkt werden mußte.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] staatlichen Versicherungsgewerbes gegen besonderen Entgelt und die Aus¬ sicht über den concurrirenden Privatgewerbebetrieb in den Händen derselben Beamten liegt. Die Debatte über diesen Gegenstand gehört zu den interessantesten Par¬ tien des Handelstags. Eisen seu et-Chemnitz bezeichnete den Vortrag des Referenten als oratio xro äomo; er seinerseits wolle auch das Interesse der Versicherten wahren. Redner sucht durch Zahlen nachzuweisen, daß die be¬ stehenden Versicherungs-Anstalten der Nachfrage nicht genügen, und will da¬ raus die hohen Dividenden der Versicherungsanstalten und die erschwerenden Bestimmungen erklären, durch welche das Versicherungswesen benachteiligt werde. Aus demselben Grunde legt er eine Lanze ein für die Staatsanstal¬ ten, die seiner Erfahrung nach günstigere Bedingungen böten, und redet selbst einer „theilweise obligatorischen Verpflichtung" das Wort. Gegen das Zahlenwerk in dieser durch lebendige Darstellung fesselnden Rede erhebt der genannte Generaldirector Knoblauch, eine der ersten Autoritäten auf diesem Gebiet, zugleich sehr gewandter Redner, gewaltige Bedenken. Ueberhaupt ge¬ staltet sich der Vortrag des Letzteren, der gekommen war die Klage gegen das Verhalten des Staats zu begründen, mehr und mehr zu einer Verthei¬ digung der Versicherungsanstalten gegen die Angriffe des Vorredners, der großentheils alte, längst beseitigte Mißbräuche im Auge habe. Eisen stuck erklärte daraus, er freue sich dieser Belehrung, die ihm die Möglichkeit zeige, mit seinem alten Freunde wieder einmal einen Versicherungsvertrag abzu¬ schließen. Dr. Soetbeer ist ebenfalls für Zwangsversicherung im Interesse der Hypothekengläubiger. Dagegen construirt Dr. Meyer die Nothwendig¬ keit der freiesten Bewegung auch auf diesem Gebiete des Wirthschaftslebens aus der Theorie. Den Vorredner weist er auf Ereignisse wie den Ham¬ burger Brand und auf deren Folgen für eine communale Versicherungs¬ anstalt hin; würde z. B. Bremen von einem ähnlichen Unglück betroffen, so würde der Schaden sich auf etwa 60 Anstalten vertheilen. Auch der Referent bekämpft im Schlußwort die Eisenstu et'schen Anträge. Der erste davon wurde denn auch abgelehnt; den zweiten, auf die Staatsanstalten bezüglichen, vermochte der Antragsteller nur dadurch vor dem gleichen Schicksal zu retten, daß er besondere Abstimmung über die Worte: „selbst mit theilweiser obligatorischer Verpflichtung" beantragte und so dem Antrage die Spitze abbrach. Mit der dadurch bedingten geringen Modifikation wurde die Vorlage des Ausschusses mit großer Majorität angenommen. Darüber war es Abend geworden, sodnß der Präsident nur nochdas Resultat der Neuwahl des bleibenden Ausschusses verkünden konnte. Zur Erledigung der wichtigen Zollfragen blieb sonach nur der vierte Tag übrig. Wir erwähnten schon oben, daß die Tagesordnung auf Zucker und Eisen beschränkt werden mußte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/256>, abgerufen am 06.02.2025.