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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Die englische ^arlamcntsrefo-rin und ihre Aussichten.
Die Geschichte der Bill von 1867.

In dem Ministerium welches im Juli 1866 ins Amt trat, war Disraeli un-
streitig die leitende Persönlichkeit. Daß der Sohn eines jüdischen Literaten im
aristokratischen England nicht nur eine politische Rolle spielen, sondern sich
zum Führer der Tories aufschwingen konnte, ist eine höchst merkwürdige Er¬
scheinung , um so mehr als er bis dahin seinen Namen mit keiner einzigen
bedeutenden Maßregel verknüpft, vielmehr beidemal vorher als Schatzkanzler
durch seine Taktik rasch zum Sturz des Toryministeriums geführt hatte:
1882 fiel die Verwaltung Lord Derby's durch Disraeli's Budget. 1859 durch
seine Reformbill. Dennoch blieb er der Partei unentbehrlich durch sein stra¬
tegisches Geschick und seine Beredsamkeit. Gladstone war durch die Reform¬
frage gefallen, an Disraeli war es sie jetzt wiederaufzunehmen; alle Welt
verlangte, daß die Sache zum Abschluß gebracht werde und auch Lord Derby
forderte bald nachdem das Cabinet gebildet war seinen Paladin auf, Bedacht
zu nehmen, die Frage in großem Stil (in no niKMräly sxirit) durchzuführen.
Sehen wir nun, welche Stellung Disraeli bisher zur Parlamentsreform ge¬
nommen.

Der charakteristische Zug selner Bill von 1859 war die Gleichstellung
von Stadt und Land (KorouZn loci countz^ sullraZe); dagegen bekämpfte
er aufs Aeußerste die Herabsetzung der Wahlqualification in den Städten.
Zwar die bedeutendsten Mitglieder des Cabinets Henley und Walpole hiel-
ten diese Position für falsch und traten aus, als Disraeli bei seinem
Vorschlage beharrte. Ihrer Ansicht nach war es verkehrt Stadt und Land
gleichzustellen, wogegen sie zugaben, daß eine Herabsetzung der Wahlquali¬
fication in Städten wünschenswert!) sei; als solche schlugen sie vor den
Satz von 6 Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung oder 8 Pfd. Sterl. Miethe an die
Stelle des bisherigen von 10 Pfd. Sterl. Miethe treten zu lassen. Dies,
meinten sie, würde keine willkürliche Fixirung sein, sondern einen wirklichen


Grenzboten IV. 18K3, 26
Die englische ^arlamcntsrefo-rin und ihre Aussichten.
Die Geschichte der Bill von 1867.

In dem Ministerium welches im Juli 1866 ins Amt trat, war Disraeli un-
streitig die leitende Persönlichkeit. Daß der Sohn eines jüdischen Literaten im
aristokratischen England nicht nur eine politische Rolle spielen, sondern sich
zum Führer der Tories aufschwingen konnte, ist eine höchst merkwürdige Er¬
scheinung , um so mehr als er bis dahin seinen Namen mit keiner einzigen
bedeutenden Maßregel verknüpft, vielmehr beidemal vorher als Schatzkanzler
durch seine Taktik rasch zum Sturz des Toryministeriums geführt hatte:
1882 fiel die Verwaltung Lord Derby's durch Disraeli's Budget. 1859 durch
seine Reformbill. Dennoch blieb er der Partei unentbehrlich durch sein stra¬
tegisches Geschick und seine Beredsamkeit. Gladstone war durch die Reform¬
frage gefallen, an Disraeli war es sie jetzt wiederaufzunehmen; alle Welt
verlangte, daß die Sache zum Abschluß gebracht werde und auch Lord Derby
forderte bald nachdem das Cabinet gebildet war seinen Paladin auf, Bedacht
zu nehmen, die Frage in großem Stil (in no niKMräly sxirit) durchzuführen.
Sehen wir nun, welche Stellung Disraeli bisher zur Parlamentsreform ge¬
nommen.

Der charakteristische Zug selner Bill von 1859 war die Gleichstellung
von Stadt und Land (KorouZn loci countz^ sullraZe); dagegen bekämpfte
er aufs Aeußerste die Herabsetzung der Wahlqualification in den Städten.
Zwar die bedeutendsten Mitglieder des Cabinets Henley und Walpole hiel-
ten diese Position für falsch und traten aus, als Disraeli bei seinem
Vorschlage beharrte. Ihrer Ansicht nach war es verkehrt Stadt und Land
gleichzustellen, wogegen sie zugaben, daß eine Herabsetzung der Wahlquali¬
fication in Städten wünschenswert!) sei; als solche schlugen sie vor den
Satz von 6 Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung oder 8 Pfd. Sterl. Miethe an die
Stelle des bisherigen von 10 Pfd. Sterl. Miethe treten zu lassen. Dies,
meinten sie, würde keine willkürliche Fixirung sein, sondern einen wirklichen


Grenzboten IV. 18K3, 26
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[0221] Die englische ^arlamcntsrefo-rin und ihre Aussichten. Die Geschichte der Bill von 1867. In dem Ministerium welches im Juli 1866 ins Amt trat, war Disraeli un- streitig die leitende Persönlichkeit. Daß der Sohn eines jüdischen Literaten im aristokratischen England nicht nur eine politische Rolle spielen, sondern sich zum Führer der Tories aufschwingen konnte, ist eine höchst merkwürdige Er¬ scheinung , um so mehr als er bis dahin seinen Namen mit keiner einzigen bedeutenden Maßregel verknüpft, vielmehr beidemal vorher als Schatzkanzler durch seine Taktik rasch zum Sturz des Toryministeriums geführt hatte: 1882 fiel die Verwaltung Lord Derby's durch Disraeli's Budget. 1859 durch seine Reformbill. Dennoch blieb er der Partei unentbehrlich durch sein stra¬ tegisches Geschick und seine Beredsamkeit. Gladstone war durch die Reform¬ frage gefallen, an Disraeli war es sie jetzt wiederaufzunehmen; alle Welt verlangte, daß die Sache zum Abschluß gebracht werde und auch Lord Derby forderte bald nachdem das Cabinet gebildet war seinen Paladin auf, Bedacht zu nehmen, die Frage in großem Stil (in no niKMräly sxirit) durchzuführen. Sehen wir nun, welche Stellung Disraeli bisher zur Parlamentsreform ge¬ nommen. Der charakteristische Zug selner Bill von 1859 war die Gleichstellung von Stadt und Land (KorouZn loci countz^ sullraZe); dagegen bekämpfte er aufs Aeußerste die Herabsetzung der Wahlqualification in den Städten. Zwar die bedeutendsten Mitglieder des Cabinets Henley und Walpole hiel- ten diese Position für falsch und traten aus, als Disraeli bei seinem Vorschlage beharrte. Ihrer Ansicht nach war es verkehrt Stadt und Land gleichzustellen, wogegen sie zugaben, daß eine Herabsetzung der Wahlquali¬ fication in Städten wünschenswert!) sei; als solche schlugen sie vor den Satz von 6 Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung oder 8 Pfd. Sterl. Miethe an die Stelle des bisherigen von 10 Pfd. Sterl. Miethe treten zu lassen. Dies, meinten sie, würde keine willkürliche Fixirung sein, sondern einen wirklichen Grenzboten IV. 18K3, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/221>, abgerufen am 05.02.2025.