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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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in Gegenwart des Eigenthümers, Herrn Capitän Tiffen von Wester-
land, geöffnet und darin außer einigen roh zugeschlagener Feuersteinspitzen
einen Hammer, eine Speerspitze und einen Meißel von Feuerstein gefunden zu
haben, außerdem Scherben dreier Thongefäße, ein sehr kleines Stück Bern¬
stein und einen sehr orydirten Bronzeknopf, dessen Form zu der Annahme
verleitet, daß ein alter Hüne sich damit seinen Hemdkragen zusammen¬
geknöpft habe. Die Steingeräthe dieses Fundes haben nichts Ausgezeich¬
netes, und kann man dergleichen zu Kiel bei einem Händler mit Anti¬
quitäten in ausgezeichneten Exemplaren für wenige Schillinge kaufen. In
dem Bewußtsein, durch diesen Fund keinen Neid, nicht der Götter, nicht der
Friesen erregt zu haben, benutze ich die dargebotene Gelegenheit eine Ange¬
legenheit von allgemeinem Interesse zu besprechen.

Die Gräberfunde aus der deutschen Heidenzeit haben lange für unsere
Alterthumswissenschaft verhältnißmäßig geringe Bedeutung gehabt; sie wurden
als Kuriositäten in den Sammlungen aufbewahrt, oft fast werthlos, wenn die
Angabe der Fundorte fehlte; der Gelehrte wußte wenig aus ihnen zu machen,
stand doch nicht einmal fest, welchem Volksthum sie ihren Ursprung ver¬
dankten, ob sie slavisch, celtisch, germanisch waren. Seit man vollends im
scandinavischen Norden eine Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, auf einander
folgende Perioden in der Entwickelung des Menschengeschlechts aus den Grab¬
funden erkennen wollte, wurden sie dem deutschen Gelehrten, dem die Anfänge
unserer durch Schriftdenkmale beglaubigten Geschichte ohnedies genug zu thun
machten, ganz verleidet. Erst in der neuesten Zeit ist die Bedeutung der Grab¬
alterthümer für die wissenschaftliche Forschung eine größere geworden. Nicht
sowohl durch die Entdeckung der Pfahlbauten, welche neue unsichere Perspec-
tiven in eine unmeßbare Urzeit des Menschengeschlechts eröffneten, wohl aber
durch einige andere Beobachtungen. Zunächst hat man unter ihnen, und nicht
blos im südlichen Deutschland und am Rhein, sondern auch im deutschen
Norden eine Anzahl von Geräthschaften aus Metall und Glas gesunden,
welche auf eine weit ältere und innigere Verbindung mit der antiken Cultur
des Mittelmeers schließen lassen, als man den Völkern Germaniens bisher
zuschrieb. Dann hat man in nicht wenigen Schmucksachen und Geräthen
aus Bronze, in Thongefäßen, ja sogar an den Steinwaffen die Ausbildung
einer sehr eigenthümlichen und offenbar heimischen Kunstfertigkeit erkannt,
welche ein neues Licht auf die vorchristlichen Culturverhältnisse in Deutsch¬
land wirst, und endlich hat man auf ausgegrabenen Schmucksachen, aus
Halszierrathen. Spangen. Armringen, Speerspitzen deutsche Runenschrift gefun¬
den, welcheodas Volksthum. ja in einzelnen Fällen sogar den Stamm und
die Zeit der Eingrabung sicher stellt. Seitdem eröffnet das Sammeln und
kritische Untersuchen dieser Reste auch ernster Wissenschaft neue Aussicht.


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in Gegenwart des Eigenthümers, Herrn Capitän Tiffen von Wester-
land, geöffnet und darin außer einigen roh zugeschlagener Feuersteinspitzen
einen Hammer, eine Speerspitze und einen Meißel von Feuerstein gefunden zu
haben, außerdem Scherben dreier Thongefäße, ein sehr kleines Stück Bern¬
stein und einen sehr orydirten Bronzeknopf, dessen Form zu der Annahme
verleitet, daß ein alter Hüne sich damit seinen Hemdkragen zusammen¬
geknöpft habe. Die Steingeräthe dieses Fundes haben nichts Ausgezeich¬
netes, und kann man dergleichen zu Kiel bei einem Händler mit Anti¬
quitäten in ausgezeichneten Exemplaren für wenige Schillinge kaufen. In
dem Bewußtsein, durch diesen Fund keinen Neid, nicht der Götter, nicht der
Friesen erregt zu haben, benutze ich die dargebotene Gelegenheit eine Ange¬
legenheit von allgemeinem Interesse zu besprechen.

Die Gräberfunde aus der deutschen Heidenzeit haben lange für unsere
Alterthumswissenschaft verhältnißmäßig geringe Bedeutung gehabt; sie wurden
als Kuriositäten in den Sammlungen aufbewahrt, oft fast werthlos, wenn die
Angabe der Fundorte fehlte; der Gelehrte wußte wenig aus ihnen zu machen,
stand doch nicht einmal fest, welchem Volksthum sie ihren Ursprung ver¬
dankten, ob sie slavisch, celtisch, germanisch waren. Seit man vollends im
scandinavischen Norden eine Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, auf einander
folgende Perioden in der Entwickelung des Menschengeschlechts aus den Grab¬
funden erkennen wollte, wurden sie dem deutschen Gelehrten, dem die Anfänge
unserer durch Schriftdenkmale beglaubigten Geschichte ohnedies genug zu thun
machten, ganz verleidet. Erst in der neuesten Zeit ist die Bedeutung der Grab¬
alterthümer für die wissenschaftliche Forschung eine größere geworden. Nicht
sowohl durch die Entdeckung der Pfahlbauten, welche neue unsichere Perspec-
tiven in eine unmeßbare Urzeit des Menschengeschlechts eröffneten, wohl aber
durch einige andere Beobachtungen. Zunächst hat man unter ihnen, und nicht
blos im südlichen Deutschland und am Rhein, sondern auch im deutschen
Norden eine Anzahl von Geräthschaften aus Metall und Glas gesunden,
welche auf eine weit ältere und innigere Verbindung mit der antiken Cultur
des Mittelmeers schließen lassen, als man den Völkern Germaniens bisher
zuschrieb. Dann hat man in nicht wenigen Schmucksachen und Geräthen
aus Bronze, in Thongefäßen, ja sogar an den Steinwaffen die Ausbildung
einer sehr eigenthümlichen und offenbar heimischen Kunstfertigkeit erkannt,
welche ein neues Licht auf die vorchristlichen Culturverhältnisse in Deutsch¬
land wirst, und endlich hat man auf ausgegrabenen Schmucksachen, aus
Halszierrathen. Spangen. Armringen, Speerspitzen deutsche Runenschrift gefun¬
den, welcheodas Volksthum. ja in einzelnen Fällen sogar den Stamm und
die Zeit der Eingrabung sicher stellt. Seitdem eröffnet das Sammeln und
kritische Untersuchen dieser Reste auch ernster Wissenschaft neue Aussicht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/171>, abgerufen am 05.02.2025.