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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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reichen Tizian bewundern gelernt hat, sich in dem naiven Wesen der alt¬
niederländischen Malerschule, in den Ecken und Winkeln der altdeutschen
Bildhauer zurecht zu finden, unwillkürlich wird er zu einer unbilligen Beur¬
theilung der letzteren verleitet und zu dem Glauben an eine untergeordnete
Künstlerkraft im Norden gebracht. Wäre es nicht empfehlenswerther, die
nordische Kunst des 15. Jahrhunderts unmittelbar an die Schilderung der
mittelalterlichen Kunstweise anzuschließen, mit welcher ja namentlich die spä¬
tere Bildhauerei mannigfache Verwandtschaft besitzt, zumal das Eindringen
der italienischen Renaissance in den Norden doch wesentlich in die Zeiten
nach Dürer und Holbein fällt, während der Einfluß der Niederländer auf
die italienischen Maler des 16. Jahrhunderts unbestreitbar ist?

Die zahlreichen Illustrationen, mit welchen Lübke's Buch ausgestattet
ist, sind von ungleichem Werthe. Großes Lob verdienen die architektonischen
Skizzen und die für das Werk neu geschnittenen Abbildungen; dagegen be¬
gegnen wir auch anderen, älteren Werken des gleichen Verlages entnomme¬
nen Holzschnitten, von welchen man kaum sagen kann, daß sie dem Buche zur
Zierde gereichen. Wir sind überzeugt, daß wenigstens zwei Illustrationen
in die nächste Auflage nicht mehr hinübergenommen werden: Dürer's Ritter,
Tod und Teufel, eine doch gar zu dürftige Übertragung des berühmten
Kupferstiches und Rembrandt's geraubter Ganymed, welcher doch wahrlich
nicht geeignet ist, in die Kunstweise des Meisters einzuführen und ohne
Mühe durch die Nachbildung irgend eines anderen Rembrandt'schen Gemäl¬
des ersetzt werden kann.




Der Suez-Canal.

Die Arbeiten am Suez-Canals sind derart vorgeschritten, daß als Zeit¬
punkt der Beendigung derselben der erste October 1869 festgestellt wor¬
den ist.

Dieser Tag wird zu den denkwürdigsten des 19. Jahrhunderts der Ge¬
schichte überhaupt gehören und eine neue Aera für den Verkehr eröffnen. -- Eine
Actiengesellschaft stellte die ersten Fonds ihrem Director Lesseps zur Verfügung,
nachdem eine internationale Commission, bestehend aus Ingenieuren von
England, Oestreich, Frankreich, Spanien, Holland und Preußen, festgestellt
hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den beiden getrennten Meeren vor¬
handen sei. Die auszuführenden Arbeiten waren auf 200 Millionen Francs
veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht wurde.


reichen Tizian bewundern gelernt hat, sich in dem naiven Wesen der alt¬
niederländischen Malerschule, in den Ecken und Winkeln der altdeutschen
Bildhauer zurecht zu finden, unwillkürlich wird er zu einer unbilligen Beur¬
theilung der letzteren verleitet und zu dem Glauben an eine untergeordnete
Künstlerkraft im Norden gebracht. Wäre es nicht empfehlenswerther, die
nordische Kunst des 15. Jahrhunderts unmittelbar an die Schilderung der
mittelalterlichen Kunstweise anzuschließen, mit welcher ja namentlich die spä¬
tere Bildhauerei mannigfache Verwandtschaft besitzt, zumal das Eindringen
der italienischen Renaissance in den Norden doch wesentlich in die Zeiten
nach Dürer und Holbein fällt, während der Einfluß der Niederländer auf
die italienischen Maler des 16. Jahrhunderts unbestreitbar ist?

Die zahlreichen Illustrationen, mit welchen Lübke's Buch ausgestattet
ist, sind von ungleichem Werthe. Großes Lob verdienen die architektonischen
Skizzen und die für das Werk neu geschnittenen Abbildungen; dagegen be¬
gegnen wir auch anderen, älteren Werken des gleichen Verlages entnomme¬
nen Holzschnitten, von welchen man kaum sagen kann, daß sie dem Buche zur
Zierde gereichen. Wir sind überzeugt, daß wenigstens zwei Illustrationen
in die nächste Auflage nicht mehr hinübergenommen werden: Dürer's Ritter,
Tod und Teufel, eine doch gar zu dürftige Übertragung des berühmten
Kupferstiches und Rembrandt's geraubter Ganymed, welcher doch wahrlich
nicht geeignet ist, in die Kunstweise des Meisters einzuführen und ohne
Mühe durch die Nachbildung irgend eines anderen Rembrandt'schen Gemäl¬
des ersetzt werden kann.




Der Suez-Canal.

Die Arbeiten am Suez-Canals sind derart vorgeschritten, daß als Zeit¬
punkt der Beendigung derselben der erste October 1869 festgestellt wor¬
den ist.

Dieser Tag wird zu den denkwürdigsten des 19. Jahrhunderts der Ge¬
schichte überhaupt gehören und eine neue Aera für den Verkehr eröffnen. — Eine
Actiengesellschaft stellte die ersten Fonds ihrem Director Lesseps zur Verfügung,
nachdem eine internationale Commission, bestehend aus Ingenieuren von
England, Oestreich, Frankreich, Spanien, Holland und Preußen, festgestellt
hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den beiden getrennten Meeren vor¬
handen sei. Die auszuführenden Arbeiten waren auf 200 Millionen Francs
veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/165>, abgerufen am 05.02.2025.