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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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gesetze ein unabhängiges Dasein gewinnen, das Ornament, den Schmuck in
einen bescheideneren Rahmen zurückdrängen.

Ein gelegentliches Wort Lübke's in der Einleitung deutet darauf hin,
daß er einer ähnlichen Auffassung zuneigt und läßt hoffen, daß die nächste,
gewiß bald erscheinende Auflage bereits die Durchführung derselben bringt.
Für diese nächste Auflage hätten wir noch mehrere Wünsche auf dem
Herzen. Zunächst einen weniger conservativen Standpunkt in einzelnen
Theilen der antiken Kunstgeschichte. Es ist begreiflich, daß Lübke, dessen
Forschungen sich vorzugsweise auf dem Gebiete der mittelalterlichen Kunst
und der Architektur bewegen, bei Schilderung der ihm nicht so unmittel¬
bar nahe liegenden antiken Kunst -- es kann heutzutage aus sachlichen
Gründen kein Gelehrter antike und neuere Kunst gleichmäßig bewältigen --
eine gewisse Vorsicht anwendet. Geht aber diese Vorsicht nicht zu weit, wenn
z. B. die allein richtige, von allen Archäologen anerkannte Deutung des
Apoll von Belvedere als des Aegisschüttlers schüchtern und nur als "wahr¬
scheinlich" in eine Anmerkung verwiesen, das Kunstwerk selbst in den Kreis
römischer Kunst eingestellt wird und die Diana von Versailles zum nächsten
Nachbar erhält, da doch insbesondere seit der Auffindung des Steinhäuser'-
schen Kopfes an dem griechischen Original des Apoll von Belvedere nicht
gezweifelt werden kann, die Verwandtschaft mit der pergamenischen Kunst
ganz klar ist? In dem Abschnitte über altchristliche Kunst ist es uns auf.
gefallen, daß das grundlegende Werk über die Katakomben von Rossi nir¬
gends citirt ist, wie überhaupt die literarischen Nachweisungen noch nicht
gleichmäßig behandelt erscheinen. Auch über die Auswahl der Beispiele,
welche aus der Reihe zahlreicher Werke des einen, oder anderen Meisters
namentlich hervorgehoben werden, ließe sich hier und da streiten. Daß auch
auf die Zugänglichkeit einzelner Werke Rücksicht genommen werden muß, ist
selbstverständlich. Dann durste aber z. B. der vortreffliche Rembrandt (das
Gleichniß von den Arbeitern im Weinberge), welchen das Städel'sche Museum
in Frankfurt besitzt, nicht fehlen. Sollen aber wirklich stets nur die hervor¬
ragendsten Werke eines Künstlers betont werden, so vermissen wir wieder
z. B. Paul Veronese's Familie des Darius und Murillo's Moses, der das
Wasser aus dem Felsen schlägt. Das sind übrigens nur Kleinigkeiten, da
schließlich bei der Auswahl der charakteristischen Werke doch immer der sub-
jective Geschmack des Autors maßgebend bleibt. Wichtiger ist ein anderer
Punkt. Dem Herkommen gemäß handelt Lübke die italienische Renaissance¬
kunst bis zum Schlüsse des 16. Jahrhunderts ab und wendet sich dann
erst zu der nordischen Kunst des Is. und 16. zurück. Wir kennen die
Gründe, welche sür diese Anordnung sprechen. Immerhin wird es aber dem
Leser schwer, nachdem er von Raphael und Michelangelo gehört, den färben-


gesetze ein unabhängiges Dasein gewinnen, das Ornament, den Schmuck in
einen bescheideneren Rahmen zurückdrängen.

Ein gelegentliches Wort Lübke's in der Einleitung deutet darauf hin,
daß er einer ähnlichen Auffassung zuneigt und läßt hoffen, daß die nächste,
gewiß bald erscheinende Auflage bereits die Durchführung derselben bringt.
Für diese nächste Auflage hätten wir noch mehrere Wünsche auf dem
Herzen. Zunächst einen weniger conservativen Standpunkt in einzelnen
Theilen der antiken Kunstgeschichte. Es ist begreiflich, daß Lübke, dessen
Forschungen sich vorzugsweise auf dem Gebiete der mittelalterlichen Kunst
und der Architektur bewegen, bei Schilderung der ihm nicht so unmittel¬
bar nahe liegenden antiken Kunst — es kann heutzutage aus sachlichen
Gründen kein Gelehrter antike und neuere Kunst gleichmäßig bewältigen —
eine gewisse Vorsicht anwendet. Geht aber diese Vorsicht nicht zu weit, wenn
z. B. die allein richtige, von allen Archäologen anerkannte Deutung des
Apoll von Belvedere als des Aegisschüttlers schüchtern und nur als „wahr¬
scheinlich" in eine Anmerkung verwiesen, das Kunstwerk selbst in den Kreis
römischer Kunst eingestellt wird und die Diana von Versailles zum nächsten
Nachbar erhält, da doch insbesondere seit der Auffindung des Steinhäuser'-
schen Kopfes an dem griechischen Original des Apoll von Belvedere nicht
gezweifelt werden kann, die Verwandtschaft mit der pergamenischen Kunst
ganz klar ist? In dem Abschnitte über altchristliche Kunst ist es uns auf.
gefallen, daß das grundlegende Werk über die Katakomben von Rossi nir¬
gends citirt ist, wie überhaupt die literarischen Nachweisungen noch nicht
gleichmäßig behandelt erscheinen. Auch über die Auswahl der Beispiele,
welche aus der Reihe zahlreicher Werke des einen, oder anderen Meisters
namentlich hervorgehoben werden, ließe sich hier und da streiten. Daß auch
auf die Zugänglichkeit einzelner Werke Rücksicht genommen werden muß, ist
selbstverständlich. Dann durste aber z. B. der vortreffliche Rembrandt (das
Gleichniß von den Arbeitern im Weinberge), welchen das Städel'sche Museum
in Frankfurt besitzt, nicht fehlen. Sollen aber wirklich stets nur die hervor¬
ragendsten Werke eines Künstlers betont werden, so vermissen wir wieder
z. B. Paul Veronese's Familie des Darius und Murillo's Moses, der das
Wasser aus dem Felsen schlägt. Das sind übrigens nur Kleinigkeiten, da
schließlich bei der Auswahl der charakteristischen Werke doch immer der sub-
jective Geschmack des Autors maßgebend bleibt. Wichtiger ist ein anderer
Punkt. Dem Herkommen gemäß handelt Lübke die italienische Renaissance¬
kunst bis zum Schlüsse des 16. Jahrhunderts ab und wendet sich dann
erst zu der nordischen Kunst des Is. und 16. zurück. Wir kennen die
Gründe, welche sür diese Anordnung sprechen. Immerhin wird es aber dem
Leser schwer, nachdem er von Raphael und Michelangelo gehört, den färben-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/164>, abgerufen am 05.02.2025.