Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

seinen früheren Stand auf den Gebieten, wo der Staat das Recht hat, an¬
zuordnen. Es fällt uns nicht ein den Czechen ihre Sprache und Volkssitte
zu rauben. Ein solcher Versuch wäre nicht deutsch, sondern russisch, er würde
eine höchst berechtigte Empfindung des Volkes kränken, und deshalb wäre
auch der Erfolg zweifelhaft. Volksschule und Gottesdienst sollen die czechische
Sprache behalten, wo dieselbe altheimisch ist, und die Negierung soll für
tüchtige Volkslehrer sorgen; der nationalen Poesie und den gelehrten Arbeiten
der Czechen soll die Theilnahme und Förderung werden, welche jede ernste
wissenschaftliche Thätigkeit vom Staate beanspruchen darf; im Uebrigen aber
muß die Wahrheit zur Geltung kommen, daß das czechische Landvolk und
der Kleinbürger seit Jahrhunderten unter der Herrschaft deutscher Bildung
stehen, daß der große Grundbesitz, der Großhandel, Fabriken, Beamtenthum
Alles, was Industrie und Geist im Leben unserer Zeit verbindet, seit
Jahrhunder tenir Böhmen deutsch sind, außer dem ein großer Theil des Volkes
selbst. Alle höheren Unterrichtsanstalten, wie sie auch heißen mögen, welche
der Staat direct oder indirect leitet, müssen wieder werden, was sie noch
vor kurzem waren, Anstalten, welche in deutscher Sprache lehren. Die czechi-
schen Gymnasien, höheren Real- und Gewerbeschulen sind sofort zu schließen
und neue zu organisiren. Auch in den Schullehrerseminarien muß die
deutsche Sprache diejenige sein, in welcher die Lehrer gebildet werden. Selbst¬
verständlich in jedem Universttätsvortrag. Diese Maßregel hat die beste innere
Berechtigung, denn der östreichische Staat kämpft durch sie ebenso sehr für
moderne Cultur gegen eine bösartige Barbarei, wie im Gegensatz Rußland
durch eine Russificirung der Ostseeprovinzen einen niedrigeren Culturzustand
an die Stelle eines höher entwickelten Volksthums zu setzen bemüht ist.

Diese Erziehungsmaßregel, in Böhmen fest und consequent durchgeführt,
wird ausreichen, um in zwei Generationen den ganzen wüsten Traum eines
politischen Czechenthums zu beseitigen. Wird diese Maßregel nicht durch¬
geführt, so frißt die Krankheit zerstörend weiter. Man sehe z. B. auf die
beiden wissenschaftlichen Institute in Königgrätz, dem Orte, aus welchem
unser Correspondent seine Briefe datirt. Dort ist bei den Knaben, welche
in der nächsten Generation als Geistliche, Lehrer, Aerzte die Vertreter
der Cultur in kleinen Kreisen des Volkes sein sollen, bereits der beste
Stolz, nickt deutsch zu sprechen. In einer kaiserlichen Festung, unter einer
zum großen Theil deutschen Bevölkerung, ist der Idealismus der jungen
Generation in den weitläufigen Lehranstalten, slavisch und russisch zu sein,
und diese Gesinnungstüchtigkeit wird ihnen die theuerste geistige Habe, welche
sie für das Leben mitbringen, in ein Leben, welches wahrscheinlich zu Halb¬
heit und Unheil bestimmt ist, denn ihre wissenschaftliche Bildung wird ebenso
dürftig, als ihre Ansprüche ungemessen. Dort und auf anderen Bildungsanstalten


seinen früheren Stand auf den Gebieten, wo der Staat das Recht hat, an¬
zuordnen. Es fällt uns nicht ein den Czechen ihre Sprache und Volkssitte
zu rauben. Ein solcher Versuch wäre nicht deutsch, sondern russisch, er würde
eine höchst berechtigte Empfindung des Volkes kränken, und deshalb wäre
auch der Erfolg zweifelhaft. Volksschule und Gottesdienst sollen die czechische
Sprache behalten, wo dieselbe altheimisch ist, und die Negierung soll für
tüchtige Volkslehrer sorgen; der nationalen Poesie und den gelehrten Arbeiten
der Czechen soll die Theilnahme und Förderung werden, welche jede ernste
wissenschaftliche Thätigkeit vom Staate beanspruchen darf; im Uebrigen aber
muß die Wahrheit zur Geltung kommen, daß das czechische Landvolk und
der Kleinbürger seit Jahrhunderten unter der Herrschaft deutscher Bildung
stehen, daß der große Grundbesitz, der Großhandel, Fabriken, Beamtenthum
Alles, was Industrie und Geist im Leben unserer Zeit verbindet, seit
Jahrhunder tenir Böhmen deutsch sind, außer dem ein großer Theil des Volkes
selbst. Alle höheren Unterrichtsanstalten, wie sie auch heißen mögen, welche
der Staat direct oder indirect leitet, müssen wieder werden, was sie noch
vor kurzem waren, Anstalten, welche in deutscher Sprache lehren. Die czechi-
schen Gymnasien, höheren Real- und Gewerbeschulen sind sofort zu schließen
und neue zu organisiren. Auch in den Schullehrerseminarien muß die
deutsche Sprache diejenige sein, in welcher die Lehrer gebildet werden. Selbst¬
verständlich in jedem Universttätsvortrag. Diese Maßregel hat die beste innere
Berechtigung, denn der östreichische Staat kämpft durch sie ebenso sehr für
moderne Cultur gegen eine bösartige Barbarei, wie im Gegensatz Rußland
durch eine Russificirung der Ostseeprovinzen einen niedrigeren Culturzustand
an die Stelle eines höher entwickelten Volksthums zu setzen bemüht ist.

Diese Erziehungsmaßregel, in Böhmen fest und consequent durchgeführt,
wird ausreichen, um in zwei Generationen den ganzen wüsten Traum eines
politischen Czechenthums zu beseitigen. Wird diese Maßregel nicht durch¬
geführt, so frißt die Krankheit zerstörend weiter. Man sehe z. B. auf die
beiden wissenschaftlichen Institute in Königgrätz, dem Orte, aus welchem
unser Correspondent seine Briefe datirt. Dort ist bei den Knaben, welche
in der nächsten Generation als Geistliche, Lehrer, Aerzte die Vertreter
der Cultur in kleinen Kreisen des Volkes sein sollen, bereits der beste
Stolz, nickt deutsch zu sprechen. In einer kaiserlichen Festung, unter einer
zum großen Theil deutschen Bevölkerung, ist der Idealismus der jungen
Generation in den weitläufigen Lehranstalten, slavisch und russisch zu sein,
und diese Gesinnungstüchtigkeit wird ihnen die theuerste geistige Habe, welche
sie für das Leben mitbringen, in ein Leben, welches wahrscheinlich zu Halb¬
heit und Unheil bestimmt ist, denn ihre wissenschaftliche Bildung wird ebenso
dürftig, als ihre Ansprüche ungemessen. Dort und auf anderen Bildungsanstalten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287421"/>
          <p xml:id="ID_354" prev="#ID_353"> seinen früheren Stand auf den Gebieten, wo der Staat das Recht hat, an¬<lb/>
zuordnen. Es fällt uns nicht ein den Czechen ihre Sprache und Volkssitte<lb/>
zu rauben. Ein solcher Versuch wäre nicht deutsch, sondern russisch, er würde<lb/>
eine höchst berechtigte Empfindung des Volkes kränken, und deshalb wäre<lb/>
auch der Erfolg zweifelhaft. Volksschule und Gottesdienst sollen die czechische<lb/>
Sprache behalten, wo dieselbe altheimisch ist, und die Negierung soll für<lb/>
tüchtige Volkslehrer sorgen; der nationalen Poesie und den gelehrten Arbeiten<lb/>
der Czechen soll die Theilnahme und Förderung werden, welche jede ernste<lb/>
wissenschaftliche Thätigkeit vom Staate beanspruchen darf; im Uebrigen aber<lb/>
muß die Wahrheit zur Geltung kommen, daß das czechische Landvolk und<lb/>
der Kleinbürger seit Jahrhunderten unter der Herrschaft deutscher Bildung<lb/>
stehen, daß der große Grundbesitz, der Großhandel, Fabriken, Beamtenthum<lb/>
Alles, was Industrie und Geist im Leben unserer Zeit verbindet, seit<lb/>
Jahrhunder tenir Böhmen deutsch sind, außer dem ein großer Theil des Volkes<lb/>
selbst. Alle höheren Unterrichtsanstalten, wie sie auch heißen mögen, welche<lb/>
der Staat direct oder indirect leitet, müssen wieder werden, was sie noch<lb/>
vor kurzem waren, Anstalten, welche in deutscher Sprache lehren. Die czechi-<lb/>
schen Gymnasien, höheren Real- und Gewerbeschulen sind sofort zu schließen<lb/>
und neue zu organisiren. Auch in den Schullehrerseminarien muß die<lb/>
deutsche Sprache diejenige sein, in welcher die Lehrer gebildet werden. Selbst¬<lb/>
verständlich in jedem Universttätsvortrag. Diese Maßregel hat die beste innere<lb/>
Berechtigung, denn der östreichische Staat kämpft durch sie ebenso sehr für<lb/>
moderne Cultur gegen eine bösartige Barbarei, wie im Gegensatz Rußland<lb/>
durch eine Russificirung der Ostseeprovinzen einen niedrigeren Culturzustand<lb/>
an die Stelle eines höher entwickelten Volksthums zu setzen bemüht ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_355" next="#ID_356"> Diese Erziehungsmaßregel, in Böhmen fest und consequent durchgeführt,<lb/>
wird ausreichen, um in zwei Generationen den ganzen wüsten Traum eines<lb/>
politischen Czechenthums zu beseitigen. Wird diese Maßregel nicht durch¬<lb/>
geführt, so frißt die Krankheit zerstörend weiter. Man sehe z. B. auf die<lb/>
beiden wissenschaftlichen Institute in Königgrätz, dem Orte, aus welchem<lb/>
unser Correspondent seine Briefe datirt. Dort ist bei den Knaben, welche<lb/>
in der nächsten Generation als Geistliche, Lehrer, Aerzte die Vertreter<lb/>
der Cultur in kleinen Kreisen des Volkes sein sollen, bereits der beste<lb/>
Stolz, nickt deutsch zu sprechen. In einer kaiserlichen Festung, unter einer<lb/>
zum großen Theil deutschen Bevölkerung, ist der Idealismus der jungen<lb/>
Generation in den weitläufigen Lehranstalten, slavisch und russisch zu sein,<lb/>
und diese Gesinnungstüchtigkeit wird ihnen die theuerste geistige Habe, welche<lb/>
sie für das Leben mitbringen, in ein Leben, welches wahrscheinlich zu Halb¬<lb/>
heit und Unheil bestimmt ist, denn ihre wissenschaftliche Bildung wird ebenso<lb/>
dürftig, als ihre Ansprüche ungemessen. Dort und auf anderen Bildungsanstalten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0149] seinen früheren Stand auf den Gebieten, wo der Staat das Recht hat, an¬ zuordnen. Es fällt uns nicht ein den Czechen ihre Sprache und Volkssitte zu rauben. Ein solcher Versuch wäre nicht deutsch, sondern russisch, er würde eine höchst berechtigte Empfindung des Volkes kränken, und deshalb wäre auch der Erfolg zweifelhaft. Volksschule und Gottesdienst sollen die czechische Sprache behalten, wo dieselbe altheimisch ist, und die Negierung soll für tüchtige Volkslehrer sorgen; der nationalen Poesie und den gelehrten Arbeiten der Czechen soll die Theilnahme und Förderung werden, welche jede ernste wissenschaftliche Thätigkeit vom Staate beanspruchen darf; im Uebrigen aber muß die Wahrheit zur Geltung kommen, daß das czechische Landvolk und der Kleinbürger seit Jahrhunderten unter der Herrschaft deutscher Bildung stehen, daß der große Grundbesitz, der Großhandel, Fabriken, Beamtenthum Alles, was Industrie und Geist im Leben unserer Zeit verbindet, seit Jahrhunder tenir Böhmen deutsch sind, außer dem ein großer Theil des Volkes selbst. Alle höheren Unterrichtsanstalten, wie sie auch heißen mögen, welche der Staat direct oder indirect leitet, müssen wieder werden, was sie noch vor kurzem waren, Anstalten, welche in deutscher Sprache lehren. Die czechi- schen Gymnasien, höheren Real- und Gewerbeschulen sind sofort zu schließen und neue zu organisiren. Auch in den Schullehrerseminarien muß die deutsche Sprache diejenige sein, in welcher die Lehrer gebildet werden. Selbst¬ verständlich in jedem Universttätsvortrag. Diese Maßregel hat die beste innere Berechtigung, denn der östreichische Staat kämpft durch sie ebenso sehr für moderne Cultur gegen eine bösartige Barbarei, wie im Gegensatz Rußland durch eine Russificirung der Ostseeprovinzen einen niedrigeren Culturzustand an die Stelle eines höher entwickelten Volksthums zu setzen bemüht ist. Diese Erziehungsmaßregel, in Böhmen fest und consequent durchgeführt, wird ausreichen, um in zwei Generationen den ganzen wüsten Traum eines politischen Czechenthums zu beseitigen. Wird diese Maßregel nicht durch¬ geführt, so frißt die Krankheit zerstörend weiter. Man sehe z. B. auf die beiden wissenschaftlichen Institute in Königgrätz, dem Orte, aus welchem unser Correspondent seine Briefe datirt. Dort ist bei den Knaben, welche in der nächsten Generation als Geistliche, Lehrer, Aerzte die Vertreter der Cultur in kleinen Kreisen des Volkes sein sollen, bereits der beste Stolz, nickt deutsch zu sprechen. In einer kaiserlichen Festung, unter einer zum großen Theil deutschen Bevölkerung, ist der Idealismus der jungen Generation in den weitläufigen Lehranstalten, slavisch und russisch zu sein, und diese Gesinnungstüchtigkeit wird ihnen die theuerste geistige Habe, welche sie für das Leben mitbringen, in ein Leben, welches wahrscheinlich zu Halb¬ heit und Unheil bestimmt ist, denn ihre wissenschaftliche Bildung wird ebenso dürftig, als ihre Ansprüche ungemessen. Dort und auf anderen Bildungsanstalten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/149
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/149>, abgerufen am 05.02.2025.