Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.der Fahne des Aufstandes strömenden Offiziere und Soldaten wußten nicht, der Fahne des Aufstandes strömenden Offiziere und Soldaten wußten nicht, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287400"/> <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308" next="#ID_310"> der Fahne des Aufstandes strömenden Offiziere und Soldaten wußten nicht,<lb/> an wen sie sich wenden, bei wem sie sich melden sollten, die schon vor¬<lb/> handenen Truppen standen passiv da, und doch hatten sie bereits fünf<lb/> Attaquen der Garde zu Pferde Widerstand geleistet und weder Bitten, noch<lb/> Drohungen, noch Versprechungen nachgegeben, selbst den Metropoliten zu¬<lb/> rückgewiesen. Wie von einem Bann gefesselt standen dieselben Leute, die sich<lb/> so entschieden gezeigt hatten, unthätig da, als sie mit verhältnißmäßig leichter<lb/> Mühe die Kanonen nehmen konnten, die gegen sie geladen waren. Die Ka¬<lb/> nonen standen unter der Bedeckung eines Zuges der Chevaliergarde, der von<lb/> dem Lieutenant I. A. Annenhoff, einem Mitgliede der geheimen Gesellschaft,<lb/> geführt wurde und doch dachte Niemand daran, von diesem Umstände Nutzen<lb/> zu ziehen. Ohne Schwierigkeit hätte ferner das Jsmailow'sche Regiment, in<lb/> welchem zahlreiche Mitglieder der Gesellschaft und Mitverschworene dienten,<lb/> der Sache des Aufstandes gewonnen werden können. In der Nacht nach<lb/> dem 14. December erschoß sich' der Capitän Bogdanowitsch, weil er sich von<lb/> dem Vorwurf, nicht mitgewirkt zu haben, erdrückt fühlte. Die uns gegen¬<lb/> übergestellten Regimenter waren gleichfalls nicht alle zuverlässig; als ein Ba¬<lb/> taillon Gardejäger gegen das moskausche Regiment anrücken sollte, com-<lb/> mandirte A. I. Jcikubowitsch: links um! und diese Worte wirkten so,<lb/> daß nur zwei Compagnien zum Schwenken zu bewegen waren. Aehnlich war<lb/> es mit vielen andern Regimentern bestellt. Unbegreiflich erscheint endlich,<lb/> warum die Aufständischen nicht die Polizeidiener vertrieben und dadurch das<lb/> versammelte, mit Holzhacken und Aexten bewaffnete Volk ihrer Sache erhielten.<lb/> Schließlich bemerkte ich noch, daß an diesem Tage die Wache im Winter¬<lb/> palast von dem zweiten Bataillon des finnländischen Regiments unter Be¬<lb/> fehl des Obristen A. F. Moller. eines vieljährigen Mitglieds der Gesellschaft,<lb/> bezogen worden war. Auf dem Admiralitätsboulevard, zwanzig Schritt vom<lb/> Kaiser, stand der Obrist Bulatow mit zwei geladenen Pistolen, mit dem festen<lb/> Vorsatz, dem Monarchen das Leben zu nehmen, aber eine unsichtbare Hand<lb/> hielt ihn zurück. Er hatte Muth und Entschlossenheit genug bewiesen; es<lb/> ist bekannt, daß er während des großen Feldzuges 1812 mit seiner Compagnie<lb/> wiederholt feindliche Batterien nahm und unter dem Hagel feindlicher Kugeln<lb/> stets seiner Compagnie um mehrere Schritte voian war. Als der Kaiser<lb/> beim persönlichen Verhör gegen ihn seine Verwunderung äußerte, daß er ihn<lb/> unter der Zahl der Empörer sehe, antwortete Bulatow offenherzig, daß im<lb/> Gegentheil er verwundert sei, den Kaiser vor sich zu sehen. „Was heißt das?"<lb/> fragte der Kaiser. „Gestern stand ich zwei Stunden lang auf zwanzig<lb/> Schritte von Ew. Majestät entfernt mit geladenen Pistolen und mit dem<lb/> festen Entschluß, Ihnen das Leben zu nehmen; aber jedesmal, wenn ich die<lb/> Hand an das. Pistol legte, versagte mir das Herz." Dem Kaiser gefiel das</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
der Fahne des Aufstandes strömenden Offiziere und Soldaten wußten nicht,
an wen sie sich wenden, bei wem sie sich melden sollten, die schon vor¬
handenen Truppen standen passiv da, und doch hatten sie bereits fünf
Attaquen der Garde zu Pferde Widerstand geleistet und weder Bitten, noch
Drohungen, noch Versprechungen nachgegeben, selbst den Metropoliten zu¬
rückgewiesen. Wie von einem Bann gefesselt standen dieselben Leute, die sich
so entschieden gezeigt hatten, unthätig da, als sie mit verhältnißmäßig leichter
Mühe die Kanonen nehmen konnten, die gegen sie geladen waren. Die Ka¬
nonen standen unter der Bedeckung eines Zuges der Chevaliergarde, der von
dem Lieutenant I. A. Annenhoff, einem Mitgliede der geheimen Gesellschaft,
geführt wurde und doch dachte Niemand daran, von diesem Umstände Nutzen
zu ziehen. Ohne Schwierigkeit hätte ferner das Jsmailow'sche Regiment, in
welchem zahlreiche Mitglieder der Gesellschaft und Mitverschworene dienten,
der Sache des Aufstandes gewonnen werden können. In der Nacht nach
dem 14. December erschoß sich' der Capitän Bogdanowitsch, weil er sich von
dem Vorwurf, nicht mitgewirkt zu haben, erdrückt fühlte. Die uns gegen¬
übergestellten Regimenter waren gleichfalls nicht alle zuverlässig; als ein Ba¬
taillon Gardejäger gegen das moskausche Regiment anrücken sollte, com-
mandirte A. I. Jcikubowitsch: links um! und diese Worte wirkten so,
daß nur zwei Compagnien zum Schwenken zu bewegen waren. Aehnlich war
es mit vielen andern Regimentern bestellt. Unbegreiflich erscheint endlich,
warum die Aufständischen nicht die Polizeidiener vertrieben und dadurch das
versammelte, mit Holzhacken und Aexten bewaffnete Volk ihrer Sache erhielten.
Schließlich bemerkte ich noch, daß an diesem Tage die Wache im Winter¬
palast von dem zweiten Bataillon des finnländischen Regiments unter Be¬
fehl des Obristen A. F. Moller. eines vieljährigen Mitglieds der Gesellschaft,
bezogen worden war. Auf dem Admiralitätsboulevard, zwanzig Schritt vom
Kaiser, stand der Obrist Bulatow mit zwei geladenen Pistolen, mit dem festen
Vorsatz, dem Monarchen das Leben zu nehmen, aber eine unsichtbare Hand
hielt ihn zurück. Er hatte Muth und Entschlossenheit genug bewiesen; es
ist bekannt, daß er während des großen Feldzuges 1812 mit seiner Compagnie
wiederholt feindliche Batterien nahm und unter dem Hagel feindlicher Kugeln
stets seiner Compagnie um mehrere Schritte voian war. Als der Kaiser
beim persönlichen Verhör gegen ihn seine Verwunderung äußerte, daß er ihn
unter der Zahl der Empörer sehe, antwortete Bulatow offenherzig, daß im
Gegentheil er verwundert sei, den Kaiser vor sich zu sehen. „Was heißt das?"
fragte der Kaiser. „Gestern stand ich zwei Stunden lang auf zwanzig
Schritte von Ew. Majestät entfernt mit geladenen Pistolen und mit dem
festen Entschluß, Ihnen das Leben zu nehmen; aber jedesmal, wenn ich die
Hand an das. Pistol legte, versagte mir das Herz." Dem Kaiser gefiel das
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