Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Haltens Volksschulen sind unbekannte Dinge, die öffentlichen Gebäude liegen
seit Jahrzehnten in Trümmern, für die öffentliche Reinlichkeit und Gesund¬
heitspflege hat die Stadt selbst zu sorgen. Bei ihrer Armuth ist es natür-
lich, daß nichts geschieht. Diese .durch Jahrhunderte sich hindurchziehende
Vernachlässigung und Bedrückung wird von der Bevölkerung mit steigendem
Unwillen empfunden. Während meines bald zehnjährigen Aufenthaltes in
diesem Lande habe ich weder bei Hoch noch Nieder je eine freundliche Gesin¬
nung für die Machthaber wahrnehmen können. Die Türken fanden auch
bei dem entschieden edleren arabischen Volke wenig Sympathie; nur der Islam,
die Gewalt und die aus beiden folgende Apathie bilden den nach und
nach doch abbröckelnden Kitt des Verbandes zwischen den verschiedenen Klassen
und Völkern. Darum ist es° eine untrügliche Voraussetzung, daß eine fremde
Macht bei der Besetzung des Landes eher Entgegenkommen als Widerstand
Seitens der Bevölkerung finden würde.

Die Berührung mit Europäern ist eine zu continuirliche, als daß nicht
der einfachste Bauer wüßte, wie ganz anders es im Frankenlande aussieht,
wie anders es im eigenen Lande aussehen könnte. Im Gegensatz zu einer
weitverbreiteten Tagesmeinung darf behauptet werden, daß unter einer
andern, auf die Wohlfahrt des Landes gerichteten Verwaltung Palästina
großer Blüthe entgegengeführt werden könnte. Die Gebirge mit ihrem
Kalkboden eigenen sich vortrefflich zu Wein- und Tabaksbau und zur Oel-
baumzucht, die Ebenen mit ihrem außerordentlich fruchtbaren Boden können
Getreide, Scham, Baumwolle und andere Handelspflanzen bei richtiger Be¬
wirthschaftung in ergiebiger Fülle tragen. -- Obschon Palästina seiner Lage
wegen kaum von großer Bedeutung für Handel und Industrie werden kann,
würden unter andern Verhältnissen die bis jetzt nur nachlässig betriebenen
Gewerbe, wie Seifensiederei, leicht gehoben und ausgedehnt werden können;
auch an die Schafzucht muß hier gedacht werden, weil bei ihr die besten
Resultate zu erzielen wären.

Die Frage, ob europäische Colonien in Palästina Bestand haben kön¬
nen, ist schon häufig erörtert worden. Die bis jetzt gemachten Versuche spre¬
chen nicht dafür; schon mehr als eine Niederlassung, zuletzt noch eine amerika¬
nische , hat sich in kurzer Zeit ruinirt -- woran innere Zerwürfnisse und über¬
spannte Erwartungen mitgeholfen haben, -- und ob die neueste Ansiedelung,
die der Secte des deutschen Tempels, in Galiläa gedeihen wird, muß die
Zeit lehren, kann auch vpn vorne herein in Frage gestellt werden, weil der
separatistische Hang dieser sonst ernstgesinnten und fleißigen, aber hochmüthigen
Leute nur Nachtheil bringen kann. Die Hauptschwterigkeit aber, die sich
solchen Unternehmungen entgegenstellt, bleibt die absichtliche Unthätigkeit der
Regierung.


Haltens Volksschulen sind unbekannte Dinge, die öffentlichen Gebäude liegen
seit Jahrzehnten in Trümmern, für die öffentliche Reinlichkeit und Gesund¬
heitspflege hat die Stadt selbst zu sorgen. Bei ihrer Armuth ist es natür-
lich, daß nichts geschieht. Diese .durch Jahrhunderte sich hindurchziehende
Vernachlässigung und Bedrückung wird von der Bevölkerung mit steigendem
Unwillen empfunden. Während meines bald zehnjährigen Aufenthaltes in
diesem Lande habe ich weder bei Hoch noch Nieder je eine freundliche Gesin¬
nung für die Machthaber wahrnehmen können. Die Türken fanden auch
bei dem entschieden edleren arabischen Volke wenig Sympathie; nur der Islam,
die Gewalt und die aus beiden folgende Apathie bilden den nach und
nach doch abbröckelnden Kitt des Verbandes zwischen den verschiedenen Klassen
und Völkern. Darum ist es° eine untrügliche Voraussetzung, daß eine fremde
Macht bei der Besetzung des Landes eher Entgegenkommen als Widerstand
Seitens der Bevölkerung finden würde.

Die Berührung mit Europäern ist eine zu continuirliche, als daß nicht
der einfachste Bauer wüßte, wie ganz anders es im Frankenlande aussieht,
wie anders es im eigenen Lande aussehen könnte. Im Gegensatz zu einer
weitverbreiteten Tagesmeinung darf behauptet werden, daß unter einer
andern, auf die Wohlfahrt des Landes gerichteten Verwaltung Palästina
großer Blüthe entgegengeführt werden könnte. Die Gebirge mit ihrem
Kalkboden eigenen sich vortrefflich zu Wein- und Tabaksbau und zur Oel-
baumzucht, die Ebenen mit ihrem außerordentlich fruchtbaren Boden können
Getreide, Scham, Baumwolle und andere Handelspflanzen bei richtiger Be¬
wirthschaftung in ergiebiger Fülle tragen. — Obschon Palästina seiner Lage
wegen kaum von großer Bedeutung für Handel und Industrie werden kann,
würden unter andern Verhältnissen die bis jetzt nur nachlässig betriebenen
Gewerbe, wie Seifensiederei, leicht gehoben und ausgedehnt werden können;
auch an die Schafzucht muß hier gedacht werden, weil bei ihr die besten
Resultate zu erzielen wären.

Die Frage, ob europäische Colonien in Palästina Bestand haben kön¬
nen, ist schon häufig erörtert worden. Die bis jetzt gemachten Versuche spre¬
chen nicht dafür; schon mehr als eine Niederlassung, zuletzt noch eine amerika¬
nische , hat sich in kurzer Zeit ruinirt — woran innere Zerwürfnisse und über¬
spannte Erwartungen mitgeholfen haben, — und ob die neueste Ansiedelung,
die der Secte des deutschen Tempels, in Galiläa gedeihen wird, muß die
Zeit lehren, kann auch vpn vorne herein in Frage gestellt werden, weil der
separatistische Hang dieser sonst ernstgesinnten und fleißigen, aber hochmüthigen
Leute nur Nachtheil bringen kann. Die Hauptschwterigkeit aber, die sich
solchen Unternehmungen entgegenstellt, bleibt die absichtliche Unthätigkeit der
Regierung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286800"/>
          <p xml:id="ID_225" prev="#ID_224"> Haltens Volksschulen sind unbekannte Dinge, die öffentlichen Gebäude liegen<lb/>
seit Jahrzehnten in Trümmern, für die öffentliche Reinlichkeit und Gesund¬<lb/>
heitspflege hat die Stadt selbst zu sorgen. Bei ihrer Armuth ist es natür-<lb/>
lich, daß nichts geschieht. Diese .durch Jahrhunderte sich hindurchziehende<lb/>
Vernachlässigung und Bedrückung wird von der Bevölkerung mit steigendem<lb/>
Unwillen empfunden. Während meines bald zehnjährigen Aufenthaltes in<lb/>
diesem Lande habe ich weder bei Hoch noch Nieder je eine freundliche Gesin¬<lb/>
nung für die Machthaber wahrnehmen können. Die Türken fanden auch<lb/>
bei dem entschieden edleren arabischen Volke wenig Sympathie; nur der Islam,<lb/>
die Gewalt und die aus beiden folgende Apathie bilden den nach und<lb/>
nach doch abbröckelnden Kitt des Verbandes zwischen den verschiedenen Klassen<lb/>
und Völkern. Darum ist es° eine untrügliche Voraussetzung, daß eine fremde<lb/>
Macht bei der Besetzung des Landes eher Entgegenkommen als Widerstand<lb/>
Seitens der Bevölkerung finden würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_226"> Die Berührung mit Europäern ist eine zu continuirliche, als daß nicht<lb/>
der einfachste Bauer wüßte, wie ganz anders es im Frankenlande aussieht,<lb/>
wie anders es im eigenen Lande aussehen könnte. Im Gegensatz zu einer<lb/>
weitverbreiteten Tagesmeinung darf behauptet werden, daß unter einer<lb/>
andern, auf die Wohlfahrt des Landes gerichteten Verwaltung Palästina<lb/>
großer Blüthe entgegengeführt werden könnte. Die Gebirge mit ihrem<lb/>
Kalkboden eigenen sich vortrefflich zu Wein- und Tabaksbau und zur Oel-<lb/>
baumzucht, die Ebenen mit ihrem außerordentlich fruchtbaren Boden können<lb/>
Getreide, Scham, Baumwolle und andere Handelspflanzen bei richtiger Be¬<lb/>
wirthschaftung in ergiebiger Fülle tragen. &#x2014; Obschon Palästina seiner Lage<lb/>
wegen kaum von großer Bedeutung für Handel und Industrie werden kann,<lb/>
würden unter andern Verhältnissen die bis jetzt nur nachlässig betriebenen<lb/>
Gewerbe, wie Seifensiederei, leicht gehoben und ausgedehnt werden können;<lb/>
auch an die Schafzucht muß hier gedacht werden, weil bei ihr die besten<lb/>
Resultate zu erzielen wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_227"> Die Frage, ob europäische Colonien in Palästina Bestand haben kön¬<lb/>
nen, ist schon häufig erörtert worden. Die bis jetzt gemachten Versuche spre¬<lb/>
chen nicht dafür; schon mehr als eine Niederlassung, zuletzt noch eine amerika¬<lb/>
nische , hat sich in kurzer Zeit ruinirt &#x2014; woran innere Zerwürfnisse und über¬<lb/>
spannte Erwartungen mitgeholfen haben, &#x2014; und ob die neueste Ansiedelung,<lb/>
die der Secte des deutschen Tempels, in Galiläa gedeihen wird, muß die<lb/>
Zeit lehren, kann auch vpn vorne herein in Frage gestellt werden, weil der<lb/>
separatistische Hang dieser sonst ernstgesinnten und fleißigen, aber hochmüthigen<lb/>
Leute nur Nachtheil bringen kann. Die Hauptschwterigkeit aber, die sich<lb/>
solchen Unternehmungen entgegenstellt, bleibt die absichtliche Unthätigkeit der<lb/>
Regierung.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] Haltens Volksschulen sind unbekannte Dinge, die öffentlichen Gebäude liegen seit Jahrzehnten in Trümmern, für die öffentliche Reinlichkeit und Gesund¬ heitspflege hat die Stadt selbst zu sorgen. Bei ihrer Armuth ist es natür- lich, daß nichts geschieht. Diese .durch Jahrhunderte sich hindurchziehende Vernachlässigung und Bedrückung wird von der Bevölkerung mit steigendem Unwillen empfunden. Während meines bald zehnjährigen Aufenthaltes in diesem Lande habe ich weder bei Hoch noch Nieder je eine freundliche Gesin¬ nung für die Machthaber wahrnehmen können. Die Türken fanden auch bei dem entschieden edleren arabischen Volke wenig Sympathie; nur der Islam, die Gewalt und die aus beiden folgende Apathie bilden den nach und nach doch abbröckelnden Kitt des Verbandes zwischen den verschiedenen Klassen und Völkern. Darum ist es° eine untrügliche Voraussetzung, daß eine fremde Macht bei der Besetzung des Landes eher Entgegenkommen als Widerstand Seitens der Bevölkerung finden würde. Die Berührung mit Europäern ist eine zu continuirliche, als daß nicht der einfachste Bauer wüßte, wie ganz anders es im Frankenlande aussieht, wie anders es im eigenen Lande aussehen könnte. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Tagesmeinung darf behauptet werden, daß unter einer andern, auf die Wohlfahrt des Landes gerichteten Verwaltung Palästina großer Blüthe entgegengeführt werden könnte. Die Gebirge mit ihrem Kalkboden eigenen sich vortrefflich zu Wein- und Tabaksbau und zur Oel- baumzucht, die Ebenen mit ihrem außerordentlich fruchtbaren Boden können Getreide, Scham, Baumwolle und andere Handelspflanzen bei richtiger Be¬ wirthschaftung in ergiebiger Fülle tragen. — Obschon Palästina seiner Lage wegen kaum von großer Bedeutung für Handel und Industrie werden kann, würden unter andern Verhältnissen die bis jetzt nur nachlässig betriebenen Gewerbe, wie Seifensiederei, leicht gehoben und ausgedehnt werden können; auch an die Schafzucht muß hier gedacht werden, weil bei ihr die besten Resultate zu erzielen wären. Die Frage, ob europäische Colonien in Palästina Bestand haben kön¬ nen, ist schon häufig erörtert worden. Die bis jetzt gemachten Versuche spre¬ chen nicht dafür; schon mehr als eine Niederlassung, zuletzt noch eine amerika¬ nische , hat sich in kurzer Zeit ruinirt — woran innere Zerwürfnisse und über¬ spannte Erwartungen mitgeholfen haben, — und ob die neueste Ansiedelung, die der Secte des deutschen Tempels, in Galiläa gedeihen wird, muß die Zeit lehren, kann auch vpn vorne herein in Frage gestellt werden, weil der separatistische Hang dieser sonst ernstgesinnten und fleißigen, aber hochmüthigen Leute nur Nachtheil bringen kann. Die Hauptschwterigkeit aber, die sich solchen Unternehmungen entgegenstellt, bleibt die absichtliche Unthätigkeit der Regierung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/88>, abgerufen am 03.07.2024.