Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

diese Zeit (deren hellste Tage der deutschen Geschichte angehören) folgenden
Jahrhunderten blieb Palästina wieder für den Verkehr geschlossen, die rohe
Gewalt der Türken lastete schwer auf den eingebornen Christen, von deren
Noth und Verkommenheit nur hie und da Kunde ins Abendland gelangte;
die geistlichen Pfleger der lateinischen Gemeinden, die Franziskaner, waren den
härtesten Maßregeln unterworfen und hatten ihren Eifer mehr als einmal
mit Blut zu bezahlen. Der Durchzug Bonaparte's, welcher in Jaffa durch
die Ermordung von 4000 Gefangenen eine beispiellos dastehende Greuelthat
begangen, hat dem Lande zu nichts geholfen; erst seit der mehrjährigen Herr¬
schaft der Eghpter, welche den Landeskindern als Epoche gilt, nach der alle
Zeitbestimmungen gemacht werden, ist es etwas besser geworden, denn von
da an datirt der eurapäische Einfluß auf den Zustand des Landes, wenn
er auch erst nach dem Krimmkriege eine vielseitige Thätigkeit hervorgeru¬
fen hat.

Es ist nicht ohne Interesse, nach den Vorstellungen der Eingebornen wie der
weit verstreuten Freunde des heiligen Landes über die Gegenwart und Zu¬
kunft Jerusalems zu fragen. Der Moslim weiß von der Vergangenheit der
heiligen Stadt nur wenig, und was er weiß sind verkehrte und abenteuer¬
liche Geschichten, die bis zu den wahren und guten Muslimin, Ibrahim
und Musa, hinaufreichen, mit gelassenen Muthe sieht er sich die Veränderun¬
gen der Jetztzeit an und läßt sich nicht leicht aus seiner Ruhe bringen; fühlt
er sich doch als Rechtgläubiger unter allen Umständen sicher. Daß sich in
der Zukunft einmal die unter seinen Glaubensgenossen verbreitete Annahme
vom Einzug eines mächtigen christlichen Herrschers erfüllen wird, stört ihn
nicht; denn dann ist das letzte Gericht nahe, und er. der Moslim, wird jeden¬
falls von den beiden Richtern, welche die Todten im Thale Josaphat zur Rechen¬
schaft ziehen werden, als Gerechter bestehen und das Paradies erlangen.
Auf der nächsten Stufe aufwärts stehen die Griechen, welche der angeborne
Haß gegen die Türken Alles hoffen und wünschen läßt. Weil ihr kirchliches
Interesse vielfach an die heiligen Stätten gebunden ist, ersehnen sie das
Kommen einer anderen Herrschaft. Die Geistlichkeit im heiligen Lande ver¬
steht es vortrefflich, den Pilgern die Heiligkeit und hohe Wichtigkeit des Ortes
recht anschaulich zu machen und ihr Gedächtniß daran wach zu erhalten.
Der Griechen Hoffnung steht nach Rußland, in dessen niederen Volksschichten
noch eine Frömmigkeit zu finden ist, welche durch den Namen Jerusalem zum
Fanatismus eines neuen Kreuzfahrerthums entflammt werden kann.

Die Lateiner, welche mit den Europäern ungleich mehr als die vorge¬
nannten Stämme in Berührung kommen, haben richtigere Begriffe von der
geschichtlichen Bedeutung Palästinas und ihre geistlichen Berather versäumen
nicht, ihren Blick auf die, der römischen Kirche gehörende Zukunft Jerusalems


diese Zeit (deren hellste Tage der deutschen Geschichte angehören) folgenden
Jahrhunderten blieb Palästina wieder für den Verkehr geschlossen, die rohe
Gewalt der Türken lastete schwer auf den eingebornen Christen, von deren
Noth und Verkommenheit nur hie und da Kunde ins Abendland gelangte;
die geistlichen Pfleger der lateinischen Gemeinden, die Franziskaner, waren den
härtesten Maßregeln unterworfen und hatten ihren Eifer mehr als einmal
mit Blut zu bezahlen. Der Durchzug Bonaparte's, welcher in Jaffa durch
die Ermordung von 4000 Gefangenen eine beispiellos dastehende Greuelthat
begangen, hat dem Lande zu nichts geholfen; erst seit der mehrjährigen Herr¬
schaft der Eghpter, welche den Landeskindern als Epoche gilt, nach der alle
Zeitbestimmungen gemacht werden, ist es etwas besser geworden, denn von
da an datirt der eurapäische Einfluß auf den Zustand des Landes, wenn
er auch erst nach dem Krimmkriege eine vielseitige Thätigkeit hervorgeru¬
fen hat.

Es ist nicht ohne Interesse, nach den Vorstellungen der Eingebornen wie der
weit verstreuten Freunde des heiligen Landes über die Gegenwart und Zu¬
kunft Jerusalems zu fragen. Der Moslim weiß von der Vergangenheit der
heiligen Stadt nur wenig, und was er weiß sind verkehrte und abenteuer¬
liche Geschichten, die bis zu den wahren und guten Muslimin, Ibrahim
und Musa, hinaufreichen, mit gelassenen Muthe sieht er sich die Veränderun¬
gen der Jetztzeit an und läßt sich nicht leicht aus seiner Ruhe bringen; fühlt
er sich doch als Rechtgläubiger unter allen Umständen sicher. Daß sich in
der Zukunft einmal die unter seinen Glaubensgenossen verbreitete Annahme
vom Einzug eines mächtigen christlichen Herrschers erfüllen wird, stört ihn
nicht; denn dann ist das letzte Gericht nahe, und er. der Moslim, wird jeden¬
falls von den beiden Richtern, welche die Todten im Thale Josaphat zur Rechen¬
schaft ziehen werden, als Gerechter bestehen und das Paradies erlangen.
Auf der nächsten Stufe aufwärts stehen die Griechen, welche der angeborne
Haß gegen die Türken Alles hoffen und wünschen läßt. Weil ihr kirchliches
Interesse vielfach an die heiligen Stätten gebunden ist, ersehnen sie das
Kommen einer anderen Herrschaft. Die Geistlichkeit im heiligen Lande ver¬
steht es vortrefflich, den Pilgern die Heiligkeit und hohe Wichtigkeit des Ortes
recht anschaulich zu machen und ihr Gedächtniß daran wach zu erhalten.
Der Griechen Hoffnung steht nach Rußland, in dessen niederen Volksschichten
noch eine Frömmigkeit zu finden ist, welche durch den Namen Jerusalem zum
Fanatismus eines neuen Kreuzfahrerthums entflammt werden kann.

Die Lateiner, welche mit den Europäern ungleich mehr als die vorge¬
nannten Stämme in Berührung kommen, haben richtigere Begriffe von der
geschichtlichen Bedeutung Palästinas und ihre geistlichen Berather versäumen
nicht, ihren Blick auf die, der römischen Kirche gehörende Zukunft Jerusalems


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286795"/>
          <p xml:id="ID_214" prev="#ID_213"> diese Zeit (deren hellste Tage der deutschen Geschichte angehören) folgenden<lb/>
Jahrhunderten blieb Palästina wieder für den Verkehr geschlossen, die rohe<lb/>
Gewalt der Türken lastete schwer auf den eingebornen Christen, von deren<lb/>
Noth und Verkommenheit nur hie und da Kunde ins Abendland gelangte;<lb/>
die geistlichen Pfleger der lateinischen Gemeinden, die Franziskaner, waren den<lb/>
härtesten Maßregeln unterworfen und hatten ihren Eifer mehr als einmal<lb/>
mit Blut zu bezahlen. Der Durchzug Bonaparte's, welcher in Jaffa durch<lb/>
die Ermordung von 4000 Gefangenen eine beispiellos dastehende Greuelthat<lb/>
begangen, hat dem Lande zu nichts geholfen; erst seit der mehrjährigen Herr¬<lb/>
schaft der Eghpter, welche den Landeskindern als Epoche gilt, nach der alle<lb/>
Zeitbestimmungen gemacht werden, ist es etwas besser geworden, denn von<lb/>
da an datirt der eurapäische Einfluß auf den Zustand des Landes, wenn<lb/>
er auch erst nach dem Krimmkriege eine vielseitige Thätigkeit hervorgeru¬<lb/>
fen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215"> Es ist nicht ohne Interesse, nach den Vorstellungen der Eingebornen wie der<lb/>
weit verstreuten Freunde des heiligen Landes über die Gegenwart und Zu¬<lb/>
kunft Jerusalems zu fragen. Der Moslim weiß von der Vergangenheit der<lb/>
heiligen Stadt nur wenig, und was er weiß sind verkehrte und abenteuer¬<lb/>
liche Geschichten, die bis zu den wahren und guten Muslimin, Ibrahim<lb/>
und Musa, hinaufreichen, mit gelassenen Muthe sieht er sich die Veränderun¬<lb/>
gen der Jetztzeit an und läßt sich nicht leicht aus seiner Ruhe bringen; fühlt<lb/>
er sich doch als Rechtgläubiger unter allen Umständen sicher. Daß sich in<lb/>
der Zukunft einmal die unter seinen Glaubensgenossen verbreitete Annahme<lb/>
vom Einzug eines mächtigen christlichen Herrschers erfüllen wird, stört ihn<lb/>
nicht; denn dann ist das letzte Gericht nahe, und er. der Moslim, wird jeden¬<lb/>
falls von den beiden Richtern, welche die Todten im Thale Josaphat zur Rechen¬<lb/>
schaft ziehen werden, als Gerechter bestehen und das Paradies erlangen.<lb/>
Auf der nächsten Stufe aufwärts stehen die Griechen, welche der angeborne<lb/>
Haß gegen die Türken Alles hoffen und wünschen läßt. Weil ihr kirchliches<lb/>
Interesse vielfach an die heiligen Stätten gebunden ist, ersehnen sie das<lb/>
Kommen einer anderen Herrschaft. Die Geistlichkeit im heiligen Lande ver¬<lb/>
steht es vortrefflich, den Pilgern die Heiligkeit und hohe Wichtigkeit des Ortes<lb/>
recht anschaulich zu machen und ihr Gedächtniß daran wach zu erhalten.<lb/>
Der Griechen Hoffnung steht nach Rußland, in dessen niederen Volksschichten<lb/>
noch eine Frömmigkeit zu finden ist, welche durch den Namen Jerusalem zum<lb/>
Fanatismus eines neuen Kreuzfahrerthums entflammt werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_216" next="#ID_217"> Die Lateiner, welche mit den Europäern ungleich mehr als die vorge¬<lb/>
nannten Stämme in Berührung kommen, haben richtigere Begriffe von der<lb/>
geschichtlichen Bedeutung Palästinas und ihre geistlichen Berather versäumen<lb/>
nicht, ihren Blick auf die, der römischen Kirche gehörende Zukunft Jerusalems</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] diese Zeit (deren hellste Tage der deutschen Geschichte angehören) folgenden Jahrhunderten blieb Palästina wieder für den Verkehr geschlossen, die rohe Gewalt der Türken lastete schwer auf den eingebornen Christen, von deren Noth und Verkommenheit nur hie und da Kunde ins Abendland gelangte; die geistlichen Pfleger der lateinischen Gemeinden, die Franziskaner, waren den härtesten Maßregeln unterworfen und hatten ihren Eifer mehr als einmal mit Blut zu bezahlen. Der Durchzug Bonaparte's, welcher in Jaffa durch die Ermordung von 4000 Gefangenen eine beispiellos dastehende Greuelthat begangen, hat dem Lande zu nichts geholfen; erst seit der mehrjährigen Herr¬ schaft der Eghpter, welche den Landeskindern als Epoche gilt, nach der alle Zeitbestimmungen gemacht werden, ist es etwas besser geworden, denn von da an datirt der eurapäische Einfluß auf den Zustand des Landes, wenn er auch erst nach dem Krimmkriege eine vielseitige Thätigkeit hervorgeru¬ fen hat. Es ist nicht ohne Interesse, nach den Vorstellungen der Eingebornen wie der weit verstreuten Freunde des heiligen Landes über die Gegenwart und Zu¬ kunft Jerusalems zu fragen. Der Moslim weiß von der Vergangenheit der heiligen Stadt nur wenig, und was er weiß sind verkehrte und abenteuer¬ liche Geschichten, die bis zu den wahren und guten Muslimin, Ibrahim und Musa, hinaufreichen, mit gelassenen Muthe sieht er sich die Veränderun¬ gen der Jetztzeit an und läßt sich nicht leicht aus seiner Ruhe bringen; fühlt er sich doch als Rechtgläubiger unter allen Umständen sicher. Daß sich in der Zukunft einmal die unter seinen Glaubensgenossen verbreitete Annahme vom Einzug eines mächtigen christlichen Herrschers erfüllen wird, stört ihn nicht; denn dann ist das letzte Gericht nahe, und er. der Moslim, wird jeden¬ falls von den beiden Richtern, welche die Todten im Thale Josaphat zur Rechen¬ schaft ziehen werden, als Gerechter bestehen und das Paradies erlangen. Auf der nächsten Stufe aufwärts stehen die Griechen, welche der angeborne Haß gegen die Türken Alles hoffen und wünschen läßt. Weil ihr kirchliches Interesse vielfach an die heiligen Stätten gebunden ist, ersehnen sie das Kommen einer anderen Herrschaft. Die Geistlichkeit im heiligen Lande ver¬ steht es vortrefflich, den Pilgern die Heiligkeit und hohe Wichtigkeit des Ortes recht anschaulich zu machen und ihr Gedächtniß daran wach zu erhalten. Der Griechen Hoffnung steht nach Rußland, in dessen niederen Volksschichten noch eine Frömmigkeit zu finden ist, welche durch den Namen Jerusalem zum Fanatismus eines neuen Kreuzfahrerthums entflammt werden kann. Die Lateiner, welche mit den Europäern ungleich mehr als die vorge¬ nannten Stämme in Berührung kommen, haben richtigere Begriffe von der geschichtlichen Bedeutung Palästinas und ihre geistlichen Berather versäumen nicht, ihren Blick auf die, der römischen Kirche gehörende Zukunft Jerusalems

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/83>, abgerufen am 23.07.2024.