Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn der Ansiedler nicht im Stande war, einen Sumpf zu entwässern,
einen Urwald auszuroden, so waren für ihn die sandigen Höhen eben der
beste Grund. Wurden später fruchtbarere Stellen urbar gemacht und die
alten Aecker verlassen, so war das Verhältniß im Grunde doch wieder das
alte. Sobald der neugewonnene reichere Boden für die stets wachsende
Menschenzahl nicht mehr ausreichte, mußte man auf die sterilen Höhen
zurückgreifen. Das Carey'sche Axiom erschiene gerechtfertigt, wenn es mög¬
lich wäre, in alle Ewigkeit von schlechtem zu besserem Boden fortzuschreiten.
Ein Bürger der Neuen Welt mit ihrer jungfräulichen Natur mag sich der¬
gleichen unter Umständen einreden können, einem Europäer ist dieser Ge¬
danke unfaßbar. "Aber die künstliche Bodenmelioration!" -- wird man uns
entgegenhalten. Wir antworten mit der Frage, ob diese im Stande ist, die
Grundrente aufzuheben? Man bringe den ärmsten Boden durch ausgezeich¬
nete Technik auf die gleiche Stufe der Fruchtbarkeit mit dem reichsten, --
die Rente des letzteren wird sich verringern, niemals aber wird der erstere,
da er die Zinsen des auf ihn verwandten Meliorationskapitals vorab ver¬
güten muß, einen gleich hohen Reinertrag erzielen. Selbst in dem Falle,
daß man die Carey'sche Ansicht über den Fortschritt der Bodencultur im
Sinne stetig fortschreitender Vervollkommnung der Meliorationstechnik inter-
pretirte, würde die Rieardo'sche Grundrententheorie doch völlig unberührt
bleiben. Oder hat Ricardo die Möglichkeit der technischen Verbesserung ge¬
leugnet? Dann freilich wäre ihm der Vorwurf nicht zu ersparen, ein Natur¬
gesetz aufgezeigt zu haben, welches das Menschengeschlecht dem unentrinnbaren
Verderben entgegenführt. Welcher gesunde Mensch aber wird in der Be¬
lehrung über eine verderbendrohende Naturgewalt etwas anderes finden, als
eine Aufforderung, die Gefahr mit Aufwand aller seiner Kräfte zu über¬
winden? Mit welchem Rechte behauptet Carey, daß die Rieardo'sche Theorie
den Menschen "immer tiefer zum Sklaven der Natur hinabsinken" lasse?

Ebenso unzulänglich erweist sich die Carey'sche Polemik gegen Malthus.
Daß derselbe noch nicht widerlegt ist, wenn die mathematische Formulirung
seines Gesetzes angegriffen wird, brauchen wir kaum zu erwähnen. Die
Wahrheit seines Grundgedankens, besonders wenn man das Wort "Tendenz"
richtig beachtet, liegt so sehr auf der Hand, daß ein Streit darüber überhaupt
nicht möglich ist. Wie aber folgert man aus jenem Satz, daß nun für alle
Ewigkeit ein Theil der jeweiligen Menschheit nothwendig zu Grunde gehen
müsse? Wenn auch die Malthussche Doctrin von übereifriger Anhängern
zu häßlichen Einseitigkeiten utrirt worden ist. so scheint es doch eines über
das Gewöhnliche hervorragenden Geistes wenig würdig, die Excentricitäten
der Nachtreter für die lautere Lehre des Meisters auszugeben. Kann denn
für den denkenden Menschen in der Malthusschen Theorie etwas Anderes


Grenzboten III. 1368. S

Wenn der Ansiedler nicht im Stande war, einen Sumpf zu entwässern,
einen Urwald auszuroden, so waren für ihn die sandigen Höhen eben der
beste Grund. Wurden später fruchtbarere Stellen urbar gemacht und die
alten Aecker verlassen, so war das Verhältniß im Grunde doch wieder das
alte. Sobald der neugewonnene reichere Boden für die stets wachsende
Menschenzahl nicht mehr ausreichte, mußte man auf die sterilen Höhen
zurückgreifen. Das Carey'sche Axiom erschiene gerechtfertigt, wenn es mög¬
lich wäre, in alle Ewigkeit von schlechtem zu besserem Boden fortzuschreiten.
Ein Bürger der Neuen Welt mit ihrer jungfräulichen Natur mag sich der¬
gleichen unter Umständen einreden können, einem Europäer ist dieser Ge¬
danke unfaßbar. „Aber die künstliche Bodenmelioration!" — wird man uns
entgegenhalten. Wir antworten mit der Frage, ob diese im Stande ist, die
Grundrente aufzuheben? Man bringe den ärmsten Boden durch ausgezeich¬
nete Technik auf die gleiche Stufe der Fruchtbarkeit mit dem reichsten, —
die Rente des letzteren wird sich verringern, niemals aber wird der erstere,
da er die Zinsen des auf ihn verwandten Meliorationskapitals vorab ver¬
güten muß, einen gleich hohen Reinertrag erzielen. Selbst in dem Falle,
daß man die Carey'sche Ansicht über den Fortschritt der Bodencultur im
Sinne stetig fortschreitender Vervollkommnung der Meliorationstechnik inter-
pretirte, würde die Rieardo'sche Grundrententheorie doch völlig unberührt
bleiben. Oder hat Ricardo die Möglichkeit der technischen Verbesserung ge¬
leugnet? Dann freilich wäre ihm der Vorwurf nicht zu ersparen, ein Natur¬
gesetz aufgezeigt zu haben, welches das Menschengeschlecht dem unentrinnbaren
Verderben entgegenführt. Welcher gesunde Mensch aber wird in der Be¬
lehrung über eine verderbendrohende Naturgewalt etwas anderes finden, als
eine Aufforderung, die Gefahr mit Aufwand aller seiner Kräfte zu über¬
winden? Mit welchem Rechte behauptet Carey, daß die Rieardo'sche Theorie
den Menschen „immer tiefer zum Sklaven der Natur hinabsinken" lasse?

Ebenso unzulänglich erweist sich die Carey'sche Polemik gegen Malthus.
Daß derselbe noch nicht widerlegt ist, wenn die mathematische Formulirung
seines Gesetzes angegriffen wird, brauchen wir kaum zu erwähnen. Die
Wahrheit seines Grundgedankens, besonders wenn man das Wort „Tendenz"
richtig beachtet, liegt so sehr auf der Hand, daß ein Streit darüber überhaupt
nicht möglich ist. Wie aber folgert man aus jenem Satz, daß nun für alle
Ewigkeit ein Theil der jeweiligen Menschheit nothwendig zu Grunde gehen
müsse? Wenn auch die Malthussche Doctrin von übereifriger Anhängern
zu häßlichen Einseitigkeiten utrirt worden ist. so scheint es doch eines über
das Gewöhnliche hervorragenden Geistes wenig würdig, die Excentricitäten
der Nachtreter für die lautere Lehre des Meisters auszugeben. Kann denn
für den denkenden Menschen in der Malthusschen Theorie etwas Anderes


Grenzboten III. 1368. S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286789"/>
          <p xml:id="ID_198" prev="#ID_197"> Wenn der Ansiedler nicht im Stande war, einen Sumpf zu entwässern,<lb/>
einen Urwald auszuroden, so waren für ihn die sandigen Höhen eben der<lb/>
beste Grund. Wurden später fruchtbarere Stellen urbar gemacht und die<lb/>
alten Aecker verlassen, so war das Verhältniß im Grunde doch wieder das<lb/>
alte. Sobald der neugewonnene reichere Boden für die stets wachsende<lb/>
Menschenzahl nicht mehr ausreichte, mußte man auf die sterilen Höhen<lb/>
zurückgreifen. Das Carey'sche Axiom erschiene gerechtfertigt, wenn es mög¬<lb/>
lich wäre, in alle Ewigkeit von schlechtem zu besserem Boden fortzuschreiten.<lb/>
Ein Bürger der Neuen Welt mit ihrer jungfräulichen Natur mag sich der¬<lb/>
gleichen unter Umständen einreden können, einem Europäer ist dieser Ge¬<lb/>
danke unfaßbar. &#x201E;Aber die künstliche Bodenmelioration!" &#x2014; wird man uns<lb/>
entgegenhalten. Wir antworten mit der Frage, ob diese im Stande ist, die<lb/>
Grundrente aufzuheben? Man bringe den ärmsten Boden durch ausgezeich¬<lb/>
nete Technik auf die gleiche Stufe der Fruchtbarkeit mit dem reichsten, &#x2014;<lb/>
die Rente des letzteren wird sich verringern, niemals aber wird der erstere,<lb/>
da er die Zinsen des auf ihn verwandten Meliorationskapitals vorab ver¬<lb/>
güten muß, einen gleich hohen Reinertrag erzielen. Selbst in dem Falle,<lb/>
daß man die Carey'sche Ansicht über den Fortschritt der Bodencultur im<lb/>
Sinne stetig fortschreitender Vervollkommnung der Meliorationstechnik inter-<lb/>
pretirte, würde die Rieardo'sche Grundrententheorie doch völlig unberührt<lb/>
bleiben. Oder hat Ricardo die Möglichkeit der technischen Verbesserung ge¬<lb/>
leugnet? Dann freilich wäre ihm der Vorwurf nicht zu ersparen, ein Natur¬<lb/>
gesetz aufgezeigt zu haben, welches das Menschengeschlecht dem unentrinnbaren<lb/>
Verderben entgegenführt. Welcher gesunde Mensch aber wird in der Be¬<lb/>
lehrung über eine verderbendrohende Naturgewalt etwas anderes finden, als<lb/>
eine Aufforderung, die Gefahr mit Aufwand aller seiner Kräfte zu über¬<lb/>
winden? Mit welchem Rechte behauptet Carey, daß die Rieardo'sche Theorie<lb/>
den Menschen &#x201E;immer tiefer zum Sklaven der Natur hinabsinken" lasse?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_199" next="#ID_200"> Ebenso unzulänglich erweist sich die Carey'sche Polemik gegen Malthus.<lb/>
Daß derselbe noch nicht widerlegt ist, wenn die mathematische Formulirung<lb/>
seines Gesetzes angegriffen wird, brauchen wir kaum zu erwähnen. Die<lb/>
Wahrheit seines Grundgedankens, besonders wenn man das Wort &#x201E;Tendenz"<lb/>
richtig beachtet, liegt so sehr auf der Hand, daß ein Streit darüber überhaupt<lb/>
nicht möglich ist. Wie aber folgert man aus jenem Satz, daß nun für alle<lb/>
Ewigkeit ein Theil der jeweiligen Menschheit nothwendig zu Grunde gehen<lb/>
müsse? Wenn auch die Malthussche Doctrin von übereifriger Anhängern<lb/>
zu häßlichen Einseitigkeiten utrirt worden ist. so scheint es doch eines über<lb/>
das Gewöhnliche hervorragenden Geistes wenig würdig, die Excentricitäten<lb/>
der Nachtreter für die lautere Lehre des Meisters auszugeben. Kann denn<lb/>
für den denkenden Menschen in der Malthusschen Theorie etwas Anderes</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1368. S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] Wenn der Ansiedler nicht im Stande war, einen Sumpf zu entwässern, einen Urwald auszuroden, so waren für ihn die sandigen Höhen eben der beste Grund. Wurden später fruchtbarere Stellen urbar gemacht und die alten Aecker verlassen, so war das Verhältniß im Grunde doch wieder das alte. Sobald der neugewonnene reichere Boden für die stets wachsende Menschenzahl nicht mehr ausreichte, mußte man auf die sterilen Höhen zurückgreifen. Das Carey'sche Axiom erschiene gerechtfertigt, wenn es mög¬ lich wäre, in alle Ewigkeit von schlechtem zu besserem Boden fortzuschreiten. Ein Bürger der Neuen Welt mit ihrer jungfräulichen Natur mag sich der¬ gleichen unter Umständen einreden können, einem Europäer ist dieser Ge¬ danke unfaßbar. „Aber die künstliche Bodenmelioration!" — wird man uns entgegenhalten. Wir antworten mit der Frage, ob diese im Stande ist, die Grundrente aufzuheben? Man bringe den ärmsten Boden durch ausgezeich¬ nete Technik auf die gleiche Stufe der Fruchtbarkeit mit dem reichsten, — die Rente des letzteren wird sich verringern, niemals aber wird der erstere, da er die Zinsen des auf ihn verwandten Meliorationskapitals vorab ver¬ güten muß, einen gleich hohen Reinertrag erzielen. Selbst in dem Falle, daß man die Carey'sche Ansicht über den Fortschritt der Bodencultur im Sinne stetig fortschreitender Vervollkommnung der Meliorationstechnik inter- pretirte, würde die Rieardo'sche Grundrententheorie doch völlig unberührt bleiben. Oder hat Ricardo die Möglichkeit der technischen Verbesserung ge¬ leugnet? Dann freilich wäre ihm der Vorwurf nicht zu ersparen, ein Natur¬ gesetz aufgezeigt zu haben, welches das Menschengeschlecht dem unentrinnbaren Verderben entgegenführt. Welcher gesunde Mensch aber wird in der Be¬ lehrung über eine verderbendrohende Naturgewalt etwas anderes finden, als eine Aufforderung, die Gefahr mit Aufwand aller seiner Kräfte zu über¬ winden? Mit welchem Rechte behauptet Carey, daß die Rieardo'sche Theorie den Menschen „immer tiefer zum Sklaven der Natur hinabsinken" lasse? Ebenso unzulänglich erweist sich die Carey'sche Polemik gegen Malthus. Daß derselbe noch nicht widerlegt ist, wenn die mathematische Formulirung seines Gesetzes angegriffen wird, brauchen wir kaum zu erwähnen. Die Wahrheit seines Grundgedankens, besonders wenn man das Wort „Tendenz" richtig beachtet, liegt so sehr auf der Hand, daß ein Streit darüber überhaupt nicht möglich ist. Wie aber folgert man aus jenem Satz, daß nun für alle Ewigkeit ein Theil der jeweiligen Menschheit nothwendig zu Grunde gehen müsse? Wenn auch die Malthussche Doctrin von übereifriger Anhängern zu häßlichen Einseitigkeiten utrirt worden ist. so scheint es doch eines über das Gewöhnliche hervorragenden Geistes wenig würdig, die Excentricitäten der Nachtreter für die lautere Lehre des Meisters auszugeben. Kann denn für den denkenden Menschen in der Malthusschen Theorie etwas Anderes Grenzboten III. 1368. S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/77>, abgerufen am 26.08.2024.