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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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den goldgestickten Gewände des Priesters der rechtgläubigen orientalischen
Kirche der Protopresbyter Michael Feordorowitsch Rajewsky, erster Geistlicher
der russischen Gesandtschaft zu Wien; zu seiner Rechten Rieger, zur Linken
Auersperg, ihm gegenüber der katholische Canonicus Roller--wo es die
Einheit des Stammes zu bekunden gilt, ist der Gegensatz tödtlich verfeindeter
Confessionen ein überwundener Standpunkt. Die nach dem heiligen Wladimir
benannte Universität Kiew ist durch die Herren Lissenko und Prof. Renne¬
kampf, die moskauische Hochschule durch einen Candidaten Gubin, Peters¬
burg dreifach durch die Herren Lewschin, Wlassew und Botschkarew ver¬
treten. Die Wiener Bibliotheken und sonstigen gelehrten Anstalten sind weder
durch Abgeordnete, noch durch Gratulationsschriften repräsentirt, während be¬
geisterte Festgrüße der Petersburger Academie der Wissenschaften und des
Moskaner Rumjänzow-Museums zur allgemeinen Erbauung verlesen und mit
donnerndem Slavaruf begrüßt werden.

Die erste Rede hält Graf Clam-Martiniz, um die Parität der beiden
Stämme symbolisch zu bezeichnen zum Theil in czechischer, zum Theil in deut¬
scher Sprache. Der deutschen officiell-bombastischer Einleitung folgt ein
kräftiger czechischer Schluß: wie zum Hohn betont derselbe die nothwendige
Toleranz und Friedfertigkeit, welche Deutsche und Czechen zu bethätigen hat-
ten. um das Werk der Wiedergeburt des geliebten czechischen Königreichs
Sieg- und erfolgreich zu Ende zu führen. Dann folgt die Verlesung des letzten
Jahresberichts durch den Vicepräsidenten Tönet, -- Canonicus Roller spricht
einige deutsche Worte über die Geschichte der Anstalt, -- endlich ergreift
Palazky unter lebhaftester Theilnahme der Versammlung das Wort zu län¬
gerer, natürlich czechischer Rede. Das Thema derselben ist die Mißhandlung
der czechischen Sprache und des czechischen Volksthums durch die Regierung.
"Das czechische Volk ist von Alters her ein zweisprachiges gewesen. Streiten
wir nicht weiter darum, wann und auf welche Weise das geschehen ist --
die Thatsache liegt vor uns. Seit dem dreißigjährigen Kriege gewann das
deutsche Element unter directer Unterstützung der Regierung immer mehr die
Oberhand, verstärkte seine Kraft und seinen Einfluß. Es ist noch nicht
hundert Jahre her, daß hochstehende Personen darüber zu Rathe gingen, wie
der Uebelstand der Zweisprachigkeit zu beseitigen sei. Es wurde beschlossen,
dieses Werk vermittelst obrigkeitlichen Schutzes der Bildung und Aufklärung
eines Stammes und Fernhaltung des Anderen durchzuführen. So geschah
es, daß die czechische Sprache verfiel und verachtet wurde und daß nicht nur die
Feinde, sondern selbst die wahrhaft treuen Söhne derselben den Zeitpunkt der
Beerdigung der czechischen Nationalität vorbereiteten. Die göttliche Vorsehung
aber, welche diese unerhörte Prüfung über unser Land gesendet hatte, war
jenem Unternehmen nicht günstig -- sie senkte in die czechischen Seelen so


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den goldgestickten Gewände des Priesters der rechtgläubigen orientalischen
Kirche der Protopresbyter Michael Feordorowitsch Rajewsky, erster Geistlicher
der russischen Gesandtschaft zu Wien; zu seiner Rechten Rieger, zur Linken
Auersperg, ihm gegenüber der katholische Canonicus Roller—wo es die
Einheit des Stammes zu bekunden gilt, ist der Gegensatz tödtlich verfeindeter
Confessionen ein überwundener Standpunkt. Die nach dem heiligen Wladimir
benannte Universität Kiew ist durch die Herren Lissenko und Prof. Renne¬
kampf, die moskauische Hochschule durch einen Candidaten Gubin, Peters¬
burg dreifach durch die Herren Lewschin, Wlassew und Botschkarew ver¬
treten. Die Wiener Bibliotheken und sonstigen gelehrten Anstalten sind weder
durch Abgeordnete, noch durch Gratulationsschriften repräsentirt, während be¬
geisterte Festgrüße der Petersburger Academie der Wissenschaften und des
Moskaner Rumjänzow-Museums zur allgemeinen Erbauung verlesen und mit
donnerndem Slavaruf begrüßt werden.

Die erste Rede hält Graf Clam-Martiniz, um die Parität der beiden
Stämme symbolisch zu bezeichnen zum Theil in czechischer, zum Theil in deut¬
scher Sprache. Der deutschen officiell-bombastischer Einleitung folgt ein
kräftiger czechischer Schluß: wie zum Hohn betont derselbe die nothwendige
Toleranz und Friedfertigkeit, welche Deutsche und Czechen zu bethätigen hat-
ten. um das Werk der Wiedergeburt des geliebten czechischen Königreichs
Sieg- und erfolgreich zu Ende zu führen. Dann folgt die Verlesung des letzten
Jahresberichts durch den Vicepräsidenten Tönet, — Canonicus Roller spricht
einige deutsche Worte über die Geschichte der Anstalt, — endlich ergreift
Palazky unter lebhaftester Theilnahme der Versammlung das Wort zu län¬
gerer, natürlich czechischer Rede. Das Thema derselben ist die Mißhandlung
der czechischen Sprache und des czechischen Volksthums durch die Regierung.
„Das czechische Volk ist von Alters her ein zweisprachiges gewesen. Streiten
wir nicht weiter darum, wann und auf welche Weise das geschehen ist —
die Thatsache liegt vor uns. Seit dem dreißigjährigen Kriege gewann das
deutsche Element unter directer Unterstützung der Regierung immer mehr die
Oberhand, verstärkte seine Kraft und seinen Einfluß. Es ist noch nicht
hundert Jahre her, daß hochstehende Personen darüber zu Rathe gingen, wie
der Uebelstand der Zweisprachigkeit zu beseitigen sei. Es wurde beschlossen,
dieses Werk vermittelst obrigkeitlichen Schutzes der Bildung und Aufklärung
eines Stammes und Fernhaltung des Anderen durchzuführen. So geschah
es, daß die czechische Sprache verfiel und verachtet wurde und daß nicht nur die
Feinde, sondern selbst die wahrhaft treuen Söhne derselben den Zeitpunkt der
Beerdigung der czechischen Nationalität vorbereiteten. Die göttliche Vorsehung
aber, welche diese unerhörte Prüfung über unser Land gesendet hatte, war
jenem Unternehmen nicht günstig — sie senkte in die czechischen Seelen so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/55>, abgerufen am 25.07.2024.