Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.scher, Jüd oder Türk. -- Viala. Sie sind ein Philosoph, sagte ich. Die Nach¬ scher, Jüd oder Türk. — Viala. Sie sind ein Philosoph, sagte ich. Die Nach¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287256"/> <p xml:id="ID_1383" prev="#ID_1382" next="#ID_1384"> scher, Jüd oder Türk. — Viala. Sie sind ein Philosoph, sagte ich. Die Nach¬<lb/> welt wird Sie den Weisen von Königgrätz nennen. Weniger konnte ich ihm<lb/> auf seine Complimente nicht zurückgeben; aber es wurde mir etwas schwül<lb/> zu Muthe, und ich fürchtete schon, daß Krschitscheck, der versoffene alte Schnei¬<lb/> der, und Ptatschek, der verrückte Bierwirth, und andere wohlklingende Pa¬<lb/> trioten aus ihren Gewölben stürzen und mir um den Hals fallen würden,<lb/> sobald ich vor die Thür ging. So gefährlich stand es indeß mit der, Ver¬<lb/> brüderung noch nicht. Krschitschek zwar M noch am selben Tage einer Per¬<lb/> son um den Hals und lachend erzählte meine Wirthin, die ein Stubenmäd¬<lb/> chen aus Reichenberg hat, wie der greise Knabe die Kleine auf der Treppe<lb/> angriff und um einen Kuß anflehte, mit dem Versprechen, sie dafür ritterlich<lb/> zu beschützen, wenn es gegen die Deutschen losgehe. In einer Nacht — seit<lb/> 20 Jahren würde dazu Alles vorbereitet — würden sämmtliche Deutsche und<lb/> Juden aus Böhmen hinweggefegt werden. Es ist ein dummes Gerede, setzte<lb/> die Frau hinzu, aber man hört es selbst von Leuten, die verständiger sein<lb/> sollten. Die Ausrottung der „Fremden", die in Czechien zerstreut leben, ist<lb/> eine Idee, die in vielen hirnverbrannten Köpfen spukt; sie schwebt ihnen wie eine<lb/> ruhmvolle That vor, mit der die wirkliche Wiedergeburt des Slaventhums in<lb/> Böhmen anheben müsse. Der wildere Theil des gemeinen Haufens denkt da¬<lb/> bei an eine Wiederholung der Plünderungsscenen von 1867 in größerem<lb/> Maßstabe. Manchmal, wenn ein Fanatiker mit friedlich gesinnten Czechen<lb/> streitet, tritt sie als Prophezeiung eines unabwendbaren Ereignisses auf;<lb/> ein andermal bricht sie als Drohung aus dem Munde einer frechen Dienst¬<lb/> magd, die wegen allzu langer Finger von einer jüdischen Madame den<lb/> Abschied erhält. „Es wird nicht besser", hörte ich einen gut gekleideten<lb/> Mann unter den Lauben rufen, „nicht besser, bis wir unsern eigenen König<lb/> haben und die Fremden los sind. Traut nur den Juden nicht. Sie haben<lb/> kein czechisches Herz. Sie radebrechen das Czechische zum Uebelwerden und<lb/> wenn es einige des Geschäfts wegen richtig gelernt haben, was reden sie zu<lb/> Hause bei Weib und Kind, was unter einander? Deutsch und immer deutsch.<lb/> Ich sag' Euch, alle Juden sind Deutsche, und alle Deutsche sind Juden."<lb/> Der erstere Theil des Satzes ist nicht grundlos. Mit sehr wenigen Ausnahmen<lb/> empfinden die böhmischen Juden keine Sympathie sür das Czechenthum. Ich<lb/> sage nicht, daß sie für die slavische Sache dulden und kämpfen würden, wenn<lb/> sie gerechter wäre, oder daß sie für die deutsche Sache freiwillig ihr Blut<lb/> vergießen werden. Hausirer, Krämer und Geschäftsleute sind in der<lb/> Regel keine Helden, auch wenn sie von den Makkabäern abstammen.<lb/> Aber Thatsache ist. daß sie hier wie in Mähren und Polen an ihrem ererb¬<lb/> ten, obschon oft verderbten Deutsch festhalten. Sie haben Intelligenz genug,<lb/> um zu jener Seite zu neigen, wo mehr Licht und Heiterkeit des Lebens ist.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0544]
scher, Jüd oder Türk. — Viala. Sie sind ein Philosoph, sagte ich. Die Nach¬
welt wird Sie den Weisen von Königgrätz nennen. Weniger konnte ich ihm
auf seine Complimente nicht zurückgeben; aber es wurde mir etwas schwül
zu Muthe, und ich fürchtete schon, daß Krschitscheck, der versoffene alte Schnei¬
der, und Ptatschek, der verrückte Bierwirth, und andere wohlklingende Pa¬
trioten aus ihren Gewölben stürzen und mir um den Hals fallen würden,
sobald ich vor die Thür ging. So gefährlich stand es indeß mit der, Ver¬
brüderung noch nicht. Krschitschek zwar M noch am selben Tage einer Per¬
son um den Hals und lachend erzählte meine Wirthin, die ein Stubenmäd¬
chen aus Reichenberg hat, wie der greise Knabe die Kleine auf der Treppe
angriff und um einen Kuß anflehte, mit dem Versprechen, sie dafür ritterlich
zu beschützen, wenn es gegen die Deutschen losgehe. In einer Nacht — seit
20 Jahren würde dazu Alles vorbereitet — würden sämmtliche Deutsche und
Juden aus Böhmen hinweggefegt werden. Es ist ein dummes Gerede, setzte
die Frau hinzu, aber man hört es selbst von Leuten, die verständiger sein
sollten. Die Ausrottung der „Fremden", die in Czechien zerstreut leben, ist
eine Idee, die in vielen hirnverbrannten Köpfen spukt; sie schwebt ihnen wie eine
ruhmvolle That vor, mit der die wirkliche Wiedergeburt des Slaventhums in
Böhmen anheben müsse. Der wildere Theil des gemeinen Haufens denkt da¬
bei an eine Wiederholung der Plünderungsscenen von 1867 in größerem
Maßstabe. Manchmal, wenn ein Fanatiker mit friedlich gesinnten Czechen
streitet, tritt sie als Prophezeiung eines unabwendbaren Ereignisses auf;
ein andermal bricht sie als Drohung aus dem Munde einer frechen Dienst¬
magd, die wegen allzu langer Finger von einer jüdischen Madame den
Abschied erhält. „Es wird nicht besser", hörte ich einen gut gekleideten
Mann unter den Lauben rufen, „nicht besser, bis wir unsern eigenen König
haben und die Fremden los sind. Traut nur den Juden nicht. Sie haben
kein czechisches Herz. Sie radebrechen das Czechische zum Uebelwerden und
wenn es einige des Geschäfts wegen richtig gelernt haben, was reden sie zu
Hause bei Weib und Kind, was unter einander? Deutsch und immer deutsch.
Ich sag' Euch, alle Juden sind Deutsche, und alle Deutsche sind Juden."
Der erstere Theil des Satzes ist nicht grundlos. Mit sehr wenigen Ausnahmen
empfinden die böhmischen Juden keine Sympathie sür das Czechenthum. Ich
sage nicht, daß sie für die slavische Sache dulden und kämpfen würden, wenn
sie gerechter wäre, oder daß sie für die deutsche Sache freiwillig ihr Blut
vergießen werden. Hausirer, Krämer und Geschäftsleute sind in der
Regel keine Helden, auch wenn sie von den Makkabäern abstammen.
Aber Thatsache ist. daß sie hier wie in Mähren und Polen an ihrem ererb¬
ten, obschon oft verderbten Deutsch festhalten. Sie haben Intelligenz genug,
um zu jener Seite zu neigen, wo mehr Licht und Heiterkeit des Lebens ist.
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