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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sucht dem Zuhörer zu imponiren und sein Interesse auf die folgenden Solo-
vorträge zu spannen. Dann geht der Vorhang auf, um das Bild der feier¬
lichen Grundsteinlegung einer slavischen Kunstanstalt (des Nationaltheaters)
zu zeigen: das Auge erstaunt zunächst über die mächtige Verstärkung, welche
der Chor erfahren hat, der in malerischer Gruppe die Wiege des künftigen
Kunsttempels umsteht. Russen, Kroaten, Ruthenen, Slowenen, Ranzen und
Slowaken drängen sich in buntem Gewimmel und jauchzen dem Dioskuren¬
paar Rieger und Palazky ein nicht endenwollendes "Slava" zu, das die
Mißlaute, welche die Spaltung zwischen Polenfreunden und Anhängern
Rußlands hervorruft, mit lautem Donner übertönt. Es ist ein Zukunftsfest,
das gefeiert wird, und an einem solchen ziemt es nicht, der kleinen Händel
der Gegenwart zu gedenken. Der Oberpriester verkündet mit der Begeisterung
des Sehers, daß der Tag nicht fern sei, an welchem die Sonne des neuen
Weltreichs czechisch aufgehen und die Schatten verscheuchen werde, die noch
auf der Gegenwart liegen: der Grundstein des neuen Prager Theaters ist zu¬
gleich der erste Stein zu dem Riesenbau des großen Slawenstaats, der sich
über den Ruinen germanisch-romanischen Culturlebens erheben soll, und wenn
die Scene sich schließt, sind alle Theilnehmer von dem festen Glauben erfüllt,
daß die Leiden dieser Zeit nicht werth sind der künftigen Herrlichkeit, die ihnen
verheißen ist.

Der zweite Act gilt dem Rückblick auf die Vergangenheit. Die Leiden
und Prüfungen, welche das Czechenvolk erduldet, lassen sich nicht besser
illustriren, als durch die Geschichte des Nationalmuseums, das ein Deutscher
gegründet hat und das die Czechen mühsam erobern mußten. Man hat den
dreizehnten Juni zur Feier des semisäcularen Jubiläums dieser Stiftung ge¬
wählt. Zwar sind es schon im April fünfzig Jahre geworden, daß das
Nationalmuseum bestand, aber Opportunitätsrücksichten der wichtigsten Art
hatten geboten, die Feier nicht zu verfrühen. Zu dem ist am vierzehnten
desselben Monats Palazkys siebenzigster Geburtstag: man befreit sich von der
lästigen Fessel des Kalenders -- Geburtstage am Tage der Geburt des Gefeier¬
ten zu begehen ist am Ende nur Convention -- und feiert dafür ein Doppelfest,
das seines Gleichen nicht hat noch gehabt hat. Es ist dafür gesorgt, daß nur
Aeteure auf die Bühne kommen, die den beabsichtigten Effect mit Sicherheit ver¬
bürgen. Einladungen zur Feier des 13. Juni waren, (wir schließen uns dem
ausführlichen Bericht der moskauischen Zeitung an) nur an die übrigen östrei¬
chischen Museen und die im Kaiserstaat lebenden Ehrenmitglieder des Prager
Instituts- ergangen. Und siehe da -- während die Deutschen unter den Ge¬
ladenen nur höchst spärlich erschienen sind, haben die nichtgeladenen Brüder
aus dem russischen Osten sich zur allgemeinen Ueberraschung in großer Anzahl
eingefunden. In der ersten Reihe der Ehrenmitglieder sitzt mit dem strahlen-


sucht dem Zuhörer zu imponiren und sein Interesse auf die folgenden Solo-
vorträge zu spannen. Dann geht der Vorhang auf, um das Bild der feier¬
lichen Grundsteinlegung einer slavischen Kunstanstalt (des Nationaltheaters)
zu zeigen: das Auge erstaunt zunächst über die mächtige Verstärkung, welche
der Chor erfahren hat, der in malerischer Gruppe die Wiege des künftigen
Kunsttempels umsteht. Russen, Kroaten, Ruthenen, Slowenen, Ranzen und
Slowaken drängen sich in buntem Gewimmel und jauchzen dem Dioskuren¬
paar Rieger und Palazky ein nicht endenwollendes „Slava" zu, das die
Mißlaute, welche die Spaltung zwischen Polenfreunden und Anhängern
Rußlands hervorruft, mit lautem Donner übertönt. Es ist ein Zukunftsfest,
das gefeiert wird, und an einem solchen ziemt es nicht, der kleinen Händel
der Gegenwart zu gedenken. Der Oberpriester verkündet mit der Begeisterung
des Sehers, daß der Tag nicht fern sei, an welchem die Sonne des neuen
Weltreichs czechisch aufgehen und die Schatten verscheuchen werde, die noch
auf der Gegenwart liegen: der Grundstein des neuen Prager Theaters ist zu¬
gleich der erste Stein zu dem Riesenbau des großen Slawenstaats, der sich
über den Ruinen germanisch-romanischen Culturlebens erheben soll, und wenn
die Scene sich schließt, sind alle Theilnehmer von dem festen Glauben erfüllt,
daß die Leiden dieser Zeit nicht werth sind der künftigen Herrlichkeit, die ihnen
verheißen ist.

Der zweite Act gilt dem Rückblick auf die Vergangenheit. Die Leiden
und Prüfungen, welche das Czechenvolk erduldet, lassen sich nicht besser
illustriren, als durch die Geschichte des Nationalmuseums, das ein Deutscher
gegründet hat und das die Czechen mühsam erobern mußten. Man hat den
dreizehnten Juni zur Feier des semisäcularen Jubiläums dieser Stiftung ge¬
wählt. Zwar sind es schon im April fünfzig Jahre geworden, daß das
Nationalmuseum bestand, aber Opportunitätsrücksichten der wichtigsten Art
hatten geboten, die Feier nicht zu verfrühen. Zu dem ist am vierzehnten
desselben Monats Palazkys siebenzigster Geburtstag: man befreit sich von der
lästigen Fessel des Kalenders — Geburtstage am Tage der Geburt des Gefeier¬
ten zu begehen ist am Ende nur Convention — und feiert dafür ein Doppelfest,
das seines Gleichen nicht hat noch gehabt hat. Es ist dafür gesorgt, daß nur
Aeteure auf die Bühne kommen, die den beabsichtigten Effect mit Sicherheit ver¬
bürgen. Einladungen zur Feier des 13. Juni waren, (wir schließen uns dem
ausführlichen Bericht der moskauischen Zeitung an) nur an die übrigen östrei¬
chischen Museen und die im Kaiserstaat lebenden Ehrenmitglieder des Prager
Instituts- ergangen. Und siehe da — während die Deutschen unter den Ge¬
ladenen nur höchst spärlich erschienen sind, haben die nichtgeladenen Brüder
aus dem russischen Osten sich zur allgemeinen Ueberraschung in großer Anzahl
eingefunden. In der ersten Reihe der Ehrenmitglieder sitzt mit dem strahlen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/54>, abgerufen am 25.07.2024.