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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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man den alten tiefen Widerstreit, der das Jahrhundert durchzieht, auch hier
vor sich, den ungelösten Zwiespalt zwischen individueller Menschenkraft und
der erbarmungslosen Uebergewalt der Maschine, zwischen dem Organischen
und Mechanischen im Staatsleben, zwischen juristischem Handwerk und fabri"
cativer Routine. Da ist schlechterdings keine Aussicht, daß der seelenlose
subalterne Bureauapparat nicht über die ungelenke langsame Tüchtigkeit,, die
Bureaukratie nicht über das Richteramt triumphiren sollte!

So sehe ich überall eine einförmige, ideenlose, dabei ungeschickte und
tappende Centralisation mit einer Art grundsätzlicher Fahrlässigkeit die Ele¬
mente des Selfgovernments auch da rettungslos untergraben, wo sie ent-
wickelungsreich nur eines geringen guten Willens zur tüchtigsten Entfal-
tung bedurften. Ich sehe es in der Administration mehr, als in der Justiz, in
den Männern noch mehr, als in den Maßregeln. Hätte man lediglich alt¬
preußischen Verwaltungsbeamten des besseren Schlages das Organisationswerk
überlassen -- ich bin überzeugt, es wäre ein kräftigeres Gegengewicht gegen
den berliner Ministerialismus, mehr Verständniß der Aufgaben, mehr Beherr¬
schung des gesetzgeberischen Stoffs, mehr Unbefangenheit und natürliche Nei¬
gung für provinzielle Selbstverwaltung, Autonomie der Gemeinde, Decen-
tralisation vorhanden gewesen. Das eingeborne Beamtenthum mit seinen
dänischen, augustenburg'schen, gablenz'schen Antecedentien hatte weder
gutes Gewissen, noch reformatorische Intelligenz für den bedeutungsvollen
Beruf. Ihm war es stets in erster Reihe um die Conservirung der hohen Gehäl¬
ter und in zweiter um bestmögliche Accreditirung in Berlin zu thun. Nehmen
wir den hierzu Lande von jeher üblichen Beamtenhochmuth nach unten hinzu,
so haben wir der bureaukratischen Krankheitselemente vollauf. Um vollstän¬
dig zu sein, will ich nicht außer Betracht lassen, daß allerdings Elwanger,
der von seiner Stadt aufgegebene Oberbürgermeister von Breslau Regierungs-
Präsident ist, daß auch in Schleswig zwei altpreüßische Beamte zu Land¬
räthen und neuerdings in die vereinigte Regierung zwei weitere Altpreußen
zu Abtheilungsdirigenten berufen worden sind. Daß aber diese Herren, die
allerlei Zufall und Laune nach und nach hierher geworfen hat, kein Gegen¬
gewicht bieten können, sei es gegen die Uniformirungstendenzen der berliner
Geheimräthe, sei es gegen den unberechenbaren Einfluß des Oberpräsidenten
v. Scheel-Plessen, liegt auf der Hand. Dieses Oberprästdium mußte noch hin¬
zukommen, um die Zukunft Schleswig-Holsteins verhängnißvoll zu compro-
mittiren. Während der Baron v. Scheel-Plessen als Chef der Administration
nur ein unfähiger und lässiger Fachbeamter, während er als Staatsmann ohne
Idee und Einsicht in die Bedürfnisse des Jahrhunderts, als Politiker ohne
Grundsätze und Ziele, als Edelmann ohne Leutseligkeit und Freimüthigkeit,
als Schleswig-Holsteiner ohne Liebe und Anhang unter seinen Stammesge-


man den alten tiefen Widerstreit, der das Jahrhundert durchzieht, auch hier
vor sich, den ungelösten Zwiespalt zwischen individueller Menschenkraft und
der erbarmungslosen Uebergewalt der Maschine, zwischen dem Organischen
und Mechanischen im Staatsleben, zwischen juristischem Handwerk und fabri»
cativer Routine. Da ist schlechterdings keine Aussicht, daß der seelenlose
subalterne Bureauapparat nicht über die ungelenke langsame Tüchtigkeit,, die
Bureaukratie nicht über das Richteramt triumphiren sollte!

So sehe ich überall eine einförmige, ideenlose, dabei ungeschickte und
tappende Centralisation mit einer Art grundsätzlicher Fahrlässigkeit die Ele¬
mente des Selfgovernments auch da rettungslos untergraben, wo sie ent-
wickelungsreich nur eines geringen guten Willens zur tüchtigsten Entfal-
tung bedurften. Ich sehe es in der Administration mehr, als in der Justiz, in
den Männern noch mehr, als in den Maßregeln. Hätte man lediglich alt¬
preußischen Verwaltungsbeamten des besseren Schlages das Organisationswerk
überlassen — ich bin überzeugt, es wäre ein kräftigeres Gegengewicht gegen
den berliner Ministerialismus, mehr Verständniß der Aufgaben, mehr Beherr¬
schung des gesetzgeberischen Stoffs, mehr Unbefangenheit und natürliche Nei¬
gung für provinzielle Selbstverwaltung, Autonomie der Gemeinde, Decen-
tralisation vorhanden gewesen. Das eingeborne Beamtenthum mit seinen
dänischen, augustenburg'schen, gablenz'schen Antecedentien hatte weder
gutes Gewissen, noch reformatorische Intelligenz für den bedeutungsvollen
Beruf. Ihm war es stets in erster Reihe um die Conservirung der hohen Gehäl¬
ter und in zweiter um bestmögliche Accreditirung in Berlin zu thun. Nehmen
wir den hierzu Lande von jeher üblichen Beamtenhochmuth nach unten hinzu,
so haben wir der bureaukratischen Krankheitselemente vollauf. Um vollstän¬
dig zu sein, will ich nicht außer Betracht lassen, daß allerdings Elwanger,
der von seiner Stadt aufgegebene Oberbürgermeister von Breslau Regierungs-
Präsident ist, daß auch in Schleswig zwei altpreüßische Beamte zu Land¬
räthen und neuerdings in die vereinigte Regierung zwei weitere Altpreußen
zu Abtheilungsdirigenten berufen worden sind. Daß aber diese Herren, die
allerlei Zufall und Laune nach und nach hierher geworfen hat, kein Gegen¬
gewicht bieten können, sei es gegen die Uniformirungstendenzen der berliner
Geheimräthe, sei es gegen den unberechenbaren Einfluß des Oberpräsidenten
v. Scheel-Plessen, liegt auf der Hand. Dieses Oberprästdium mußte noch hin¬
zukommen, um die Zukunft Schleswig-Holsteins verhängnißvoll zu compro-
mittiren. Während der Baron v. Scheel-Plessen als Chef der Administration
nur ein unfähiger und lässiger Fachbeamter, während er als Staatsmann ohne
Idee und Einsicht in die Bedürfnisse des Jahrhunderts, als Politiker ohne
Grundsätze und Ziele, als Edelmann ohne Leutseligkeit und Freimüthigkeit,
als Schleswig-Holsteiner ohne Liebe und Anhang unter seinen Stammesge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/536>, abgerufen am 04.07.2024.