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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Altonas war keine bessere Capacität zu finden. Indessen, als es sich um die
Bestätigung Schleiden's in Berlin handelt, entdeckt man dort, daß durch
diese Wahl der künftigen Städteordnung präjudicirt werden könne, versagt
die Bestätigung, Altona mag sich vorläufig ohne Syndicus behelfen, Altona
verliert auch wirklich kein Wort über den Vorgang und legt die Sache aä
acts,*). -- Im Uebrigen war die öffentliche Meinung in Angelegenheiten der
Administrativorganisation am lebhaftesten bei den Fragen betheiligt, ob
der "Bureauchef", "Bevollmächtigte", "Canzlist" N. zum'Regierungs.
assessor oder Regierungsrath ernannt, und ob die Regierung in Schleswig
vereinigt werden würde. Bekanntlich ist die letztere Frage zu Gunsten der
Vereinigung und Schleswigs entschieden worden, eine Entscheidung, über die sich
weder Gutes noch Schlimmes sagen läßt. Im Grunde läuft alles auf leere
Nützlichkeitsunterschiede hinaus. So lange unsere Regierungscollegien nur
Commis der Präsidenten darstellen, wird ein verstärktes Colleg vielleicht
eine etwas stärkere Gravitation zur centralisirenden Bureaukratie, eine Mehr¬
zahl von Collegien aber noch keine Garantie der Decentralisation und der
Selbstverwaltung ausdrücken.

Was auch der Graf zur Lippe sonst gesündigt hat gegen die hohe Dig-
nität der preußischen Justiz und den Geist der Zeit: Schleswig-Holstein
hat einigen Grund, ihm ein dankbares Andenken zu bewahren. Es gehörte
ein tüchtiger Entschluß und eine zähe Ausdauer dazu, mit einem Ruck den
tollen Wust dieser Jurisdictionsverhältnisse umzugestalten in die strammen
gradlinigen Formen preußisch-hannöverscher Gerichtsverfassung, an die Stelle
des staatenlosen Mittelalters plötzlich den complicirten Apparat modernster
Amtsordnung zu setzen. Die Trennung der Justiz von der Verwaltung, die
Beseitigung patrimonialer und municipaler Gerichtsbarkeit, die Aufhebung
des Sportelwesens in seiner widerwärtigsten privatrechtlichen Gestalt, die
Stabilirung fester und gleichmäßiger Grenzen örtlicher wie sachlicher Coupe.
lenz der Gerichte, die Einfügung des gesammten richterlichen Beamtenthums
in den vielgliedrigen Bau preußischer Staatsdienerschaft, die Einführung
modernsten Strafrechts an Stelle planlosester gemeinrechtlicher Willkür, for>
mellster Proceßgesetze im bürgerlichen wie im peinlichen Verfahren mit den
durchgeführten Grundsätzen der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit, den Schwur-
und Schöffengerichten -- Reformen, die anderwärts durch ein Jahrhundert
hindurch vorsichtig sich Bahn gebrochen haben, sie brachen hier ohne jeden
Uebergang alle zusammen mit dem 1. September 1867 in das Land hinein,
und heute nach Jahresfrist sind sie insgesammt in unbestrittener praktischer
Uebung. Seit dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts und der napoleo-



-) Die Bestätigung Schleiden's ist, nachdem ein halbes Jahr seit der Wahl vergangen,
jetzt plötzlich erfolgt.
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Altonas war keine bessere Capacität zu finden. Indessen, als es sich um die
Bestätigung Schleiden's in Berlin handelt, entdeckt man dort, daß durch
diese Wahl der künftigen Städteordnung präjudicirt werden könne, versagt
die Bestätigung, Altona mag sich vorläufig ohne Syndicus behelfen, Altona
verliert auch wirklich kein Wort über den Vorgang und legt die Sache aä
acts,*). — Im Uebrigen war die öffentliche Meinung in Angelegenheiten der
Administrativorganisation am lebhaftesten bei den Fragen betheiligt, ob
der „Bureauchef", „Bevollmächtigte", „Canzlist" N. zum'Regierungs.
assessor oder Regierungsrath ernannt, und ob die Regierung in Schleswig
vereinigt werden würde. Bekanntlich ist die letztere Frage zu Gunsten der
Vereinigung und Schleswigs entschieden worden, eine Entscheidung, über die sich
weder Gutes noch Schlimmes sagen läßt. Im Grunde läuft alles auf leere
Nützlichkeitsunterschiede hinaus. So lange unsere Regierungscollegien nur
Commis der Präsidenten darstellen, wird ein verstärktes Colleg vielleicht
eine etwas stärkere Gravitation zur centralisirenden Bureaukratie, eine Mehr¬
zahl von Collegien aber noch keine Garantie der Decentralisation und der
Selbstverwaltung ausdrücken.

Was auch der Graf zur Lippe sonst gesündigt hat gegen die hohe Dig-
nität der preußischen Justiz und den Geist der Zeit: Schleswig-Holstein
hat einigen Grund, ihm ein dankbares Andenken zu bewahren. Es gehörte
ein tüchtiger Entschluß und eine zähe Ausdauer dazu, mit einem Ruck den
tollen Wust dieser Jurisdictionsverhältnisse umzugestalten in die strammen
gradlinigen Formen preußisch-hannöverscher Gerichtsverfassung, an die Stelle
des staatenlosen Mittelalters plötzlich den complicirten Apparat modernster
Amtsordnung zu setzen. Die Trennung der Justiz von der Verwaltung, die
Beseitigung patrimonialer und municipaler Gerichtsbarkeit, die Aufhebung
des Sportelwesens in seiner widerwärtigsten privatrechtlichen Gestalt, die
Stabilirung fester und gleichmäßiger Grenzen örtlicher wie sachlicher Coupe.
lenz der Gerichte, die Einfügung des gesammten richterlichen Beamtenthums
in den vielgliedrigen Bau preußischer Staatsdienerschaft, die Einführung
modernsten Strafrechts an Stelle planlosester gemeinrechtlicher Willkür, for>
mellster Proceßgesetze im bürgerlichen wie im peinlichen Verfahren mit den
durchgeführten Grundsätzen der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit, den Schwur-
und Schöffengerichten — Reformen, die anderwärts durch ein Jahrhundert
hindurch vorsichtig sich Bahn gebrochen haben, sie brachen hier ohne jeden
Uebergang alle zusammen mit dem 1. September 1867 in das Land hinein,
und heute nach Jahresfrist sind sie insgesammt in unbestrittener praktischer
Uebung. Seit dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts und der napoleo-



-) Die Bestätigung Schleiden's ist, nachdem ein halbes Jahr seit der Wahl vergangen,
jetzt plötzlich erfolgt.
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[0533] Altonas war keine bessere Capacität zu finden. Indessen, als es sich um die Bestätigung Schleiden's in Berlin handelt, entdeckt man dort, daß durch diese Wahl der künftigen Städteordnung präjudicirt werden könne, versagt die Bestätigung, Altona mag sich vorläufig ohne Syndicus behelfen, Altona verliert auch wirklich kein Wort über den Vorgang und legt die Sache aä acts,*). — Im Uebrigen war die öffentliche Meinung in Angelegenheiten der Administrativorganisation am lebhaftesten bei den Fragen betheiligt, ob der „Bureauchef", „Bevollmächtigte", „Canzlist" N. zum'Regierungs. assessor oder Regierungsrath ernannt, und ob die Regierung in Schleswig vereinigt werden würde. Bekanntlich ist die letztere Frage zu Gunsten der Vereinigung und Schleswigs entschieden worden, eine Entscheidung, über die sich weder Gutes noch Schlimmes sagen läßt. Im Grunde läuft alles auf leere Nützlichkeitsunterschiede hinaus. So lange unsere Regierungscollegien nur Commis der Präsidenten darstellen, wird ein verstärktes Colleg vielleicht eine etwas stärkere Gravitation zur centralisirenden Bureaukratie, eine Mehr¬ zahl von Collegien aber noch keine Garantie der Decentralisation und der Selbstverwaltung ausdrücken. Was auch der Graf zur Lippe sonst gesündigt hat gegen die hohe Dig- nität der preußischen Justiz und den Geist der Zeit: Schleswig-Holstein hat einigen Grund, ihm ein dankbares Andenken zu bewahren. Es gehörte ein tüchtiger Entschluß und eine zähe Ausdauer dazu, mit einem Ruck den tollen Wust dieser Jurisdictionsverhältnisse umzugestalten in die strammen gradlinigen Formen preußisch-hannöverscher Gerichtsverfassung, an die Stelle des staatenlosen Mittelalters plötzlich den complicirten Apparat modernster Amtsordnung zu setzen. Die Trennung der Justiz von der Verwaltung, die Beseitigung patrimonialer und municipaler Gerichtsbarkeit, die Aufhebung des Sportelwesens in seiner widerwärtigsten privatrechtlichen Gestalt, die Stabilirung fester und gleichmäßiger Grenzen örtlicher wie sachlicher Coupe. lenz der Gerichte, die Einfügung des gesammten richterlichen Beamtenthums in den vielgliedrigen Bau preußischer Staatsdienerschaft, die Einführung modernsten Strafrechts an Stelle planlosester gemeinrechtlicher Willkür, for> mellster Proceßgesetze im bürgerlichen wie im peinlichen Verfahren mit den durchgeführten Grundsätzen der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit, den Schwur- und Schöffengerichten — Reformen, die anderwärts durch ein Jahrhundert hindurch vorsichtig sich Bahn gebrochen haben, sie brachen hier ohne jeden Uebergang alle zusammen mit dem 1. September 1867 in das Land hinein, und heute nach Jahresfrist sind sie insgesammt in unbestrittener praktischer Uebung. Seit dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts und der napoleo- -) Die Bestätigung Schleiden's ist, nachdem ein halbes Jahr seit der Wahl vergangen, jetzt plötzlich erfolgt. 63*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/533>, abgerufen am 04.07.2024.