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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die CzechennZitation in Prag.

x An die Wahrheit des etwas trivial gewordenen alten Spruches,
daß zwei dasselbe thun können, ohne daß es doch dasselbe ist., sind neuer¬
dings alle diejenigen gemahnt worden, welche Gelegenheit gehabt haben, den
jüngsten czechischen Fest- und Demonstrationenschwindel mit den deut¬
schen Turner-, Schützen- und Sängerversammlungen in Parallele zu stellen,
welche in den Jahren 1861 bis 1864 bei uns in Blüthe standen und
von denen man lange genug folgenreichen Einfluß auf die nationale
Bewegung und das Einigungsbedürfniß unserer Nation erwartete. Wäh¬
rend diese Feste und Versammlungen, an denen sich sämmtliche Stämme
eines großen Culturvolkes betheiligten, so ungefährlich und bedeutungs¬
los verliefen, daß sie schließlich von den reactionären Regierungen als will¬
kommene Blitzableiter für den nationalen Thatendrang begünstigt wurden,
hat das kleine Czechenvolk es fertig gebracht, durch eine Reihe ähnlicher
Demonstrationen die Aufmerksamkeit des gesammten Welttheils zu erregen,
und ein Wiener Ministerium, das für das populärste seiner Zeit galt, in
Unruhe zu versetzen. Ob in Frankfurt, Leipzig und Dresden Tausende und
aber Tausende deutscher Männer darüber einig wurden, daß ihr Vaterland
"größer" sein müsse, keinem deutscheu Minister ist es je in den Sinn gekom¬
men, mit ihren Führern über die Grundlagen gegenseitiger Verständigung
zu verhandeln. In Prag wurde der Grundstein zu einem neuen Theater
gelegt, das Jubiläum einer gelehrten Gesellschaft gefeiert, und der 70. Ge-
vurtstag eines verdienten nationalen Historikers begangen, und der bei diesen
Gelegenheiten aufgewirbelte Staub genügte dazu, die Grundmauern des jungen
östreichischen Constitutionalismus wenigstens vorübergehend zu erschüttern und
die Leiter der Geschicke des Kaiserstaats zu Transactionen mit den czechischen
Führern zu veranlassen.

Freilich sind diese Demonstrationen mit einem Geschick inscenirt worden,
das seines Gleichen sucht und zu unliebsamen Vergleichen zwischen deutschem
und slavischem Talent sür politische Intrigue reiches Material bietet. Gleich¬
sam als Ouvertüre für das auszuführende Schauspiel wird im Mai eine
Volksversammlung auf dem Georgsfelde ausgeschrieben, von der die Führer
fern bleiben; ein polyphones Tutti von Instrumenten der verschiedensten Art


Grenzboten III. 1868. 6
Die CzechennZitation in Prag.

x An die Wahrheit des etwas trivial gewordenen alten Spruches,
daß zwei dasselbe thun können, ohne daß es doch dasselbe ist., sind neuer¬
dings alle diejenigen gemahnt worden, welche Gelegenheit gehabt haben, den
jüngsten czechischen Fest- und Demonstrationenschwindel mit den deut¬
schen Turner-, Schützen- und Sängerversammlungen in Parallele zu stellen,
welche in den Jahren 1861 bis 1864 bei uns in Blüthe standen und
von denen man lange genug folgenreichen Einfluß auf die nationale
Bewegung und das Einigungsbedürfniß unserer Nation erwartete. Wäh¬
rend diese Feste und Versammlungen, an denen sich sämmtliche Stämme
eines großen Culturvolkes betheiligten, so ungefährlich und bedeutungs¬
los verliefen, daß sie schließlich von den reactionären Regierungen als will¬
kommene Blitzableiter für den nationalen Thatendrang begünstigt wurden,
hat das kleine Czechenvolk es fertig gebracht, durch eine Reihe ähnlicher
Demonstrationen die Aufmerksamkeit des gesammten Welttheils zu erregen,
und ein Wiener Ministerium, das für das populärste seiner Zeit galt, in
Unruhe zu versetzen. Ob in Frankfurt, Leipzig und Dresden Tausende und
aber Tausende deutscher Männer darüber einig wurden, daß ihr Vaterland
„größer" sein müsse, keinem deutscheu Minister ist es je in den Sinn gekom¬
men, mit ihren Führern über die Grundlagen gegenseitiger Verständigung
zu verhandeln. In Prag wurde der Grundstein zu einem neuen Theater
gelegt, das Jubiläum einer gelehrten Gesellschaft gefeiert, und der 70. Ge-
vurtstag eines verdienten nationalen Historikers begangen, und der bei diesen
Gelegenheiten aufgewirbelte Staub genügte dazu, die Grundmauern des jungen
östreichischen Constitutionalismus wenigstens vorübergehend zu erschüttern und
die Leiter der Geschicke des Kaiserstaats zu Transactionen mit den czechischen
Führern zu veranlassen.

Freilich sind diese Demonstrationen mit einem Geschick inscenirt worden,
das seines Gleichen sucht und zu unliebsamen Vergleichen zwischen deutschem
und slavischem Talent sür politische Intrigue reiches Material bietet. Gleich¬
sam als Ouvertüre für das auszuführende Schauspiel wird im Mai eine
Volksversammlung auf dem Georgsfelde ausgeschrieben, von der die Führer
fern bleiben; ein polyphones Tutti von Instrumenten der verschiedensten Art


Grenzboten III. 1868. 6
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[0053] Die CzechennZitation in Prag. x An die Wahrheit des etwas trivial gewordenen alten Spruches, daß zwei dasselbe thun können, ohne daß es doch dasselbe ist., sind neuer¬ dings alle diejenigen gemahnt worden, welche Gelegenheit gehabt haben, den jüngsten czechischen Fest- und Demonstrationenschwindel mit den deut¬ schen Turner-, Schützen- und Sängerversammlungen in Parallele zu stellen, welche in den Jahren 1861 bis 1864 bei uns in Blüthe standen und von denen man lange genug folgenreichen Einfluß auf die nationale Bewegung und das Einigungsbedürfniß unserer Nation erwartete. Wäh¬ rend diese Feste und Versammlungen, an denen sich sämmtliche Stämme eines großen Culturvolkes betheiligten, so ungefährlich und bedeutungs¬ los verliefen, daß sie schließlich von den reactionären Regierungen als will¬ kommene Blitzableiter für den nationalen Thatendrang begünstigt wurden, hat das kleine Czechenvolk es fertig gebracht, durch eine Reihe ähnlicher Demonstrationen die Aufmerksamkeit des gesammten Welttheils zu erregen, und ein Wiener Ministerium, das für das populärste seiner Zeit galt, in Unruhe zu versetzen. Ob in Frankfurt, Leipzig und Dresden Tausende und aber Tausende deutscher Männer darüber einig wurden, daß ihr Vaterland „größer" sein müsse, keinem deutscheu Minister ist es je in den Sinn gekom¬ men, mit ihren Führern über die Grundlagen gegenseitiger Verständigung zu verhandeln. In Prag wurde der Grundstein zu einem neuen Theater gelegt, das Jubiläum einer gelehrten Gesellschaft gefeiert, und der 70. Ge- vurtstag eines verdienten nationalen Historikers begangen, und der bei diesen Gelegenheiten aufgewirbelte Staub genügte dazu, die Grundmauern des jungen östreichischen Constitutionalismus wenigstens vorübergehend zu erschüttern und die Leiter der Geschicke des Kaiserstaats zu Transactionen mit den czechischen Führern zu veranlassen. Freilich sind diese Demonstrationen mit einem Geschick inscenirt worden, das seines Gleichen sucht und zu unliebsamen Vergleichen zwischen deutschem und slavischem Talent sür politische Intrigue reiches Material bietet. Gleich¬ sam als Ouvertüre für das auszuführende Schauspiel wird im Mai eine Volksversammlung auf dem Georgsfelde ausgeschrieben, von der die Führer fern bleiben; ein polyphones Tutti von Instrumenten der verschiedensten Art Grenzboten III. 1868. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/53>, abgerufen am 25.07.2024.