Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen. An Frische der Anregung in großen Dingen ersetzt ihn Niemand.
Seine Bestimmung war, diese Anregung in unser officiell wissenschaftliches
Leben überzuleiten und Organe zu finden, die ihm darin als praktische Aus¬
führer dienen konnten." Treffender kann Bunsen nicht gewürdigt werden;
seine Bedeutung lag in der Anregung, nicht in der selbständigen und conse-
quenten Durchführung. Obwohl reich an politischem Scharfsinn, fühlte er
doch selbst, daß er nicht zum eigentlichen leitenden Politiker geboren sei. "Als
Staatsmann im Vaterlande am Steuer zu stehen, halte ich durchaus nicht
für meinen Beruf, dieser ist meiner Ansicht nach hoch aus dem Vormast zu
beobachten, was für Land, was für Wellenbrecher, was für Zeichen eines
kommenden Sturmes da sind und dann dies dem weisen und praktischen
Steuermann zu künden" schrieb er 1835 an Kestner. Sein rascher, oft ge¬
nialer Blick übersprang zu häufig die nothwendigen Mittelglieder zwischen der
Idee und ihrer allmählichen Verwirklichung und er wußte oft nicht das
Nützliche von dem Wünschenswerten zu unterscheiden oder doch nicht ent¬
gegenstehende Hindernisse richtig zu schätzen, so z. B. bei seinem Project, Cali-
fornien von Mexico zu kaufen, gegen welches sich Humboldt entschieden er¬
klärte. Zum Staatsmann fehlte ihm auch die nöthige Concentration auf
die Politik; zu sehr war er durch die mannigfachsten Interessen in Anspruch
genommen und er selbst gestand offen, daß die Wissenschaft ihm im Vorder¬
grunde stehe. Durch diese Vielseitigkeit aber kam in seine gesammte Thätig¬
keit etwas Dilettantisches. Wir halten für nicht angemessen, über seine theo¬
logisch-historischen Arbeiten zu urtheilen, aber es ist bekannt, daß die
Stichhaltigkeit ihrer Resultate von bedeutenden Autoritäten stark angezweifelt
wird. Auch den Laien muß oft die Kühnheit seiner Behauptungen betroffen
machen, wie wenn er z. B. II. x. 377 sagt: "Ich kann jetzt beweisen, daß
das menschliche Geschlecht nicht älter als 23.000, nicht jünger als 20,000
Jahre ist." Dabei bedient er sich einer Schreibweise, die in ihrem Schwung
und Bilderreichthum oft sehr unklar wird; es fehlt ihm jene systematische
Bildung und jene wohlthätige Nüchternheit, die nöthig sind, der Phantasie
die Waage zu halten. Aber was für das geschriebene Wort und für den
praktischen Staatsmann eine Schattenseite war, das wurde im persönlichen
Verkehr zum Reiz, ja oft zum unwiderstehlichen Zauber, den Jeder erfahren
hat, der mit ihm verkehrte. Dieser anregende Verkehr war es auch, was
vor Allem Friedrich Wilhelm IV. fesselte, ihn. der einst, als ein Höfling seinen
Aerger über die Bevorzugung des Parvenus etwas zu sehr merken ließ,
ärgerlich ausrief: "Gönnt mir doch für ein paar kurze Tage den Genuß,
einen geistreichen Menschen um mich zu haben, der mich belebt, während ich
doch Wochen lang Geduld habe mit so vielen langweiligen Gesellen, die
mich drücken."


lassen. An Frische der Anregung in großen Dingen ersetzt ihn Niemand.
Seine Bestimmung war, diese Anregung in unser officiell wissenschaftliches
Leben überzuleiten und Organe zu finden, die ihm darin als praktische Aus¬
führer dienen konnten." Treffender kann Bunsen nicht gewürdigt werden;
seine Bedeutung lag in der Anregung, nicht in der selbständigen und conse-
quenten Durchführung. Obwohl reich an politischem Scharfsinn, fühlte er
doch selbst, daß er nicht zum eigentlichen leitenden Politiker geboren sei. „Als
Staatsmann im Vaterlande am Steuer zu stehen, halte ich durchaus nicht
für meinen Beruf, dieser ist meiner Ansicht nach hoch aus dem Vormast zu
beobachten, was für Land, was für Wellenbrecher, was für Zeichen eines
kommenden Sturmes da sind und dann dies dem weisen und praktischen
Steuermann zu künden" schrieb er 1835 an Kestner. Sein rascher, oft ge¬
nialer Blick übersprang zu häufig die nothwendigen Mittelglieder zwischen der
Idee und ihrer allmählichen Verwirklichung und er wußte oft nicht das
Nützliche von dem Wünschenswerten zu unterscheiden oder doch nicht ent¬
gegenstehende Hindernisse richtig zu schätzen, so z. B. bei seinem Project, Cali-
fornien von Mexico zu kaufen, gegen welches sich Humboldt entschieden er¬
klärte. Zum Staatsmann fehlte ihm auch die nöthige Concentration auf
die Politik; zu sehr war er durch die mannigfachsten Interessen in Anspruch
genommen und er selbst gestand offen, daß die Wissenschaft ihm im Vorder¬
grunde stehe. Durch diese Vielseitigkeit aber kam in seine gesammte Thätig¬
keit etwas Dilettantisches. Wir halten für nicht angemessen, über seine theo¬
logisch-historischen Arbeiten zu urtheilen, aber es ist bekannt, daß die
Stichhaltigkeit ihrer Resultate von bedeutenden Autoritäten stark angezweifelt
wird. Auch den Laien muß oft die Kühnheit seiner Behauptungen betroffen
machen, wie wenn er z. B. II. x. 377 sagt: „Ich kann jetzt beweisen, daß
das menschliche Geschlecht nicht älter als 23.000, nicht jünger als 20,000
Jahre ist." Dabei bedient er sich einer Schreibweise, die in ihrem Schwung
und Bilderreichthum oft sehr unklar wird; es fehlt ihm jene systematische
Bildung und jene wohlthätige Nüchternheit, die nöthig sind, der Phantasie
die Waage zu halten. Aber was für das geschriebene Wort und für den
praktischen Staatsmann eine Schattenseite war, das wurde im persönlichen
Verkehr zum Reiz, ja oft zum unwiderstehlichen Zauber, den Jeder erfahren
hat, der mit ihm verkehrte. Dieser anregende Verkehr war es auch, was
vor Allem Friedrich Wilhelm IV. fesselte, ihn. der einst, als ein Höfling seinen
Aerger über die Bevorzugung des Parvenus etwas zu sehr merken ließ,
ärgerlich ausrief: „Gönnt mir doch für ein paar kurze Tage den Genuß,
einen geistreichen Menschen um mich zu haben, der mich belebt, während ich
doch Wochen lang Geduld habe mit so vielen langweiligen Gesellen, die
mich drücken."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287239"/>
          <p xml:id="ID_1352" prev="#ID_1351"> lassen. An Frische der Anregung in großen Dingen ersetzt ihn Niemand.<lb/>
Seine Bestimmung war, diese Anregung in unser officiell wissenschaftliches<lb/>
Leben überzuleiten und Organe zu finden, die ihm darin als praktische Aus¬<lb/>
führer dienen konnten." Treffender kann Bunsen nicht gewürdigt werden;<lb/>
seine Bedeutung lag in der Anregung, nicht in der selbständigen und conse-<lb/>
quenten Durchführung. Obwohl reich an politischem Scharfsinn, fühlte er<lb/>
doch selbst, daß er nicht zum eigentlichen leitenden Politiker geboren sei. &#x201E;Als<lb/>
Staatsmann im Vaterlande am Steuer zu stehen, halte ich durchaus nicht<lb/>
für meinen Beruf, dieser ist meiner Ansicht nach hoch aus dem Vormast zu<lb/>
beobachten, was für Land, was für Wellenbrecher, was für Zeichen eines<lb/>
kommenden Sturmes da sind und dann dies dem weisen und praktischen<lb/>
Steuermann zu künden" schrieb er 1835 an Kestner. Sein rascher, oft ge¬<lb/>
nialer Blick übersprang zu häufig die nothwendigen Mittelglieder zwischen der<lb/>
Idee und ihrer allmählichen Verwirklichung und er wußte oft nicht das<lb/>
Nützliche von dem Wünschenswerten zu unterscheiden oder doch nicht ent¬<lb/>
gegenstehende Hindernisse richtig zu schätzen, so z. B. bei seinem Project, Cali-<lb/>
fornien von Mexico zu kaufen, gegen welches sich Humboldt entschieden er¬<lb/>
klärte. Zum Staatsmann fehlte ihm auch die nöthige Concentration auf<lb/>
die Politik; zu sehr war er durch die mannigfachsten Interessen in Anspruch<lb/>
genommen und er selbst gestand offen, daß die Wissenschaft ihm im Vorder¬<lb/>
grunde stehe. Durch diese Vielseitigkeit aber kam in seine gesammte Thätig¬<lb/>
keit etwas Dilettantisches. Wir halten für nicht angemessen, über seine theo¬<lb/>
logisch-historischen Arbeiten zu urtheilen, aber es ist bekannt, daß die<lb/>
Stichhaltigkeit ihrer Resultate von bedeutenden Autoritäten stark angezweifelt<lb/>
wird. Auch den Laien muß oft die Kühnheit seiner Behauptungen betroffen<lb/>
machen, wie wenn er z. B. II. x. 377 sagt: &#x201E;Ich kann jetzt beweisen, daß<lb/>
das menschliche Geschlecht nicht älter als 23.000, nicht jünger als 20,000<lb/>
Jahre ist." Dabei bedient er sich einer Schreibweise, die in ihrem Schwung<lb/>
und Bilderreichthum oft sehr unklar wird; es fehlt ihm jene systematische<lb/>
Bildung und jene wohlthätige Nüchternheit, die nöthig sind, der Phantasie<lb/>
die Waage zu halten. Aber was für das geschriebene Wort und für den<lb/>
praktischen Staatsmann eine Schattenseite war, das wurde im persönlichen<lb/>
Verkehr zum Reiz, ja oft zum unwiderstehlichen Zauber, den Jeder erfahren<lb/>
hat, der mit ihm verkehrte. Dieser anregende Verkehr war es auch, was<lb/>
vor Allem Friedrich Wilhelm IV. fesselte, ihn. der einst, als ein Höfling seinen<lb/>
Aerger über die Bevorzugung des Parvenus etwas zu sehr merken ließ,<lb/>
ärgerlich ausrief: &#x201E;Gönnt mir doch für ein paar kurze Tage den Genuß,<lb/>
einen geistreichen Menschen um mich zu haben, der mich belebt, während ich<lb/>
doch Wochen lang Geduld habe mit so vielen langweiligen Gesellen, die<lb/>
mich drücken."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] lassen. An Frische der Anregung in großen Dingen ersetzt ihn Niemand. Seine Bestimmung war, diese Anregung in unser officiell wissenschaftliches Leben überzuleiten und Organe zu finden, die ihm darin als praktische Aus¬ führer dienen konnten." Treffender kann Bunsen nicht gewürdigt werden; seine Bedeutung lag in der Anregung, nicht in der selbständigen und conse- quenten Durchführung. Obwohl reich an politischem Scharfsinn, fühlte er doch selbst, daß er nicht zum eigentlichen leitenden Politiker geboren sei. „Als Staatsmann im Vaterlande am Steuer zu stehen, halte ich durchaus nicht für meinen Beruf, dieser ist meiner Ansicht nach hoch aus dem Vormast zu beobachten, was für Land, was für Wellenbrecher, was für Zeichen eines kommenden Sturmes da sind und dann dies dem weisen und praktischen Steuermann zu künden" schrieb er 1835 an Kestner. Sein rascher, oft ge¬ nialer Blick übersprang zu häufig die nothwendigen Mittelglieder zwischen der Idee und ihrer allmählichen Verwirklichung und er wußte oft nicht das Nützliche von dem Wünschenswerten zu unterscheiden oder doch nicht ent¬ gegenstehende Hindernisse richtig zu schätzen, so z. B. bei seinem Project, Cali- fornien von Mexico zu kaufen, gegen welches sich Humboldt entschieden er¬ klärte. Zum Staatsmann fehlte ihm auch die nöthige Concentration auf die Politik; zu sehr war er durch die mannigfachsten Interessen in Anspruch genommen und er selbst gestand offen, daß die Wissenschaft ihm im Vorder¬ grunde stehe. Durch diese Vielseitigkeit aber kam in seine gesammte Thätig¬ keit etwas Dilettantisches. Wir halten für nicht angemessen, über seine theo¬ logisch-historischen Arbeiten zu urtheilen, aber es ist bekannt, daß die Stichhaltigkeit ihrer Resultate von bedeutenden Autoritäten stark angezweifelt wird. Auch den Laien muß oft die Kühnheit seiner Behauptungen betroffen machen, wie wenn er z. B. II. x. 377 sagt: „Ich kann jetzt beweisen, daß das menschliche Geschlecht nicht älter als 23.000, nicht jünger als 20,000 Jahre ist." Dabei bedient er sich einer Schreibweise, die in ihrem Schwung und Bilderreichthum oft sehr unklar wird; es fehlt ihm jene systematische Bildung und jene wohlthätige Nüchternheit, die nöthig sind, der Phantasie die Waage zu halten. Aber was für das geschriebene Wort und für den praktischen Staatsmann eine Schattenseite war, das wurde im persönlichen Verkehr zum Reiz, ja oft zum unwiderstehlichen Zauber, den Jeder erfahren hat, der mit ihm verkehrte. Dieser anregende Verkehr war es auch, was vor Allem Friedrich Wilhelm IV. fesselte, ihn. der einst, als ein Höfling seinen Aerger über die Bevorzugung des Parvenus etwas zu sehr merken ließ, ärgerlich ausrief: „Gönnt mir doch für ein paar kurze Tage den Genuß, einen geistreichen Menschen um mich zu haben, der mich belebt, während ich doch Wochen lang Geduld habe mit so vielen langweiligen Gesellen, die mich drücken."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/527>, abgerufen am 04.07.2024.