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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sind jedoch kürzlich in Wien und Lemberg vorgekommen. Viel häufiger stößt
man in den Blättern auf Localnachrichten mit der Ueberschrift: -- "Das
Wasserträger außer dem Dienst" -- "Der Säbel, der Säbel, schon wieder
der Säbel!" d. h.: Schon wieder haben einige Herren vom Militär in ihren
Mußestunden an den Schädeln wehrloser Civilisten ihre Klingen probirt.
Unmöglich! rufen Frankfurt a. M. und Schwaben; so was kann im unglück¬
lichen verpreußten Deutschland vorfallen, aber in Oestreich?! -- Nun, östrei¬
chische Blätter selbst erzählen es, und das ist es, wozu man dem Kaiserstaate
am aufrichtigsten Glück wünschen darf. Bedenkt man, daß ehemals nach solchen
Kleinigkeiten kein Hahn in der ganzen Monarchie krähen durfte, so ist die
heute herrschende Oeffentlichkeir mit einem halben Staatsbankrott kaum zu
theuer bezahlt. Die schreiende Ueberschrift: "Der Säbel, der Säbel!" kann
trotzdem noch lange in den wiener Blättern widerhallen. Vernünftige Oest¬
reicher werden aus fremder Erfahrung wissen, daß es auch im freiesten Lande
nicht genügt, auf einen Mißbrauch mit Fingern zu deuten, damit er ver¬
schwinde. Auch das hellste und reinste Licht der Oeffentlichkeit ist keine Alad-
dins-Lampe, mit der man über Nacht Sümpfe austrocknet und aus Wild¬
nissen Paradiese schafft.

Manchmal wandelt der östreichische Fortschritt mit einem Fuß auf dem
Pflaster, mit dem andern in der Gosse. Die Schuldenhaft ist, nach fran¬
zösischem Beispiel, aufgehoben; die Hast für politische und Preßvergehen
gleicht der von Dieben und Mördern. So ist im Laufe dieses Sommers
^ne Anzahl Journalisten von den Prager Gerichten zu 6 monatlichen, 2-,
6' und lOjährigem "schwerem Kerker, verschärft durch periodisches Fasten"
verurtheilt worden. Das sind aber auch Mtraczechen, sagt Einer den das¬
selbe Schicksal übers Jahr als Ultradeutschen treffen wird. Bah, meint ein
Anderer, der scribere stellt sich krank und bekommt ein anständiges Zimmer,
^echt erbaulich! Wie es sich damit verhalten mag, ist hier schwer zu ermit¬
tln; gewiß ist nur, daß ein prager Redacteur, dem während seiner Gefan¬
genschaft ein Söhnchen starb, vergebens die Erlaubniß nachgesucht hat, unter
polizeilicher Begleitung auszugehen, um der Beerdigung des Kindes beizu¬
wohnen. Angenommen, daß die Strafe, welche den Preßverbrecher Mördern
und Räubern gleichstellt, nur auf dem Papiere stehe, so bleibt sie eine Be¬
schimpfung der Presse. Kurz, der schwere Kerker des Journalisten riecht stark
"ach Altöstreich.

Eigenthümliche Erscheinungen hat der theilweise Sieg des Reichstages
"ber das Concordat hervorgerufen. Unter dem häßlichen Namen "Noth-
^ion-Ehe" hat man eine Verbindung zwischen Katholiken und Protestanten,
Zwischen entfernten Blutsverwandten oder Geschiedenen gestattet, unter der
Bedingung, daß die Kirche vorher ihre Weigerung, das Paar zu trauen.


sind jedoch kürzlich in Wien und Lemberg vorgekommen. Viel häufiger stößt
man in den Blättern auf Localnachrichten mit der Ueberschrift: — „Das
Wasserträger außer dem Dienst" — „Der Säbel, der Säbel, schon wieder
der Säbel!" d. h.: Schon wieder haben einige Herren vom Militär in ihren
Mußestunden an den Schädeln wehrloser Civilisten ihre Klingen probirt.
Unmöglich! rufen Frankfurt a. M. und Schwaben; so was kann im unglück¬
lichen verpreußten Deutschland vorfallen, aber in Oestreich?! — Nun, östrei¬
chische Blätter selbst erzählen es, und das ist es, wozu man dem Kaiserstaate
am aufrichtigsten Glück wünschen darf. Bedenkt man, daß ehemals nach solchen
Kleinigkeiten kein Hahn in der ganzen Monarchie krähen durfte, so ist die
heute herrschende Oeffentlichkeir mit einem halben Staatsbankrott kaum zu
theuer bezahlt. Die schreiende Ueberschrift: „Der Säbel, der Säbel!" kann
trotzdem noch lange in den wiener Blättern widerhallen. Vernünftige Oest¬
reicher werden aus fremder Erfahrung wissen, daß es auch im freiesten Lande
nicht genügt, auf einen Mißbrauch mit Fingern zu deuten, damit er ver¬
schwinde. Auch das hellste und reinste Licht der Oeffentlichkeit ist keine Alad-
dins-Lampe, mit der man über Nacht Sümpfe austrocknet und aus Wild¬
nissen Paradiese schafft.

Manchmal wandelt der östreichische Fortschritt mit einem Fuß auf dem
Pflaster, mit dem andern in der Gosse. Die Schuldenhaft ist, nach fran¬
zösischem Beispiel, aufgehoben; die Hast für politische und Preßvergehen
gleicht der von Dieben und Mördern. So ist im Laufe dieses Sommers
^ne Anzahl Journalisten von den Prager Gerichten zu 6 monatlichen, 2-,
6' und lOjährigem „schwerem Kerker, verschärft durch periodisches Fasten"
verurtheilt worden. Das sind aber auch Mtraczechen, sagt Einer den das¬
selbe Schicksal übers Jahr als Ultradeutschen treffen wird. Bah, meint ein
Anderer, der scribere stellt sich krank und bekommt ein anständiges Zimmer,
^echt erbaulich! Wie es sich damit verhalten mag, ist hier schwer zu ermit¬
tln; gewiß ist nur, daß ein prager Redacteur, dem während seiner Gefan¬
genschaft ein Söhnchen starb, vergebens die Erlaubniß nachgesucht hat, unter
polizeilicher Begleitung auszugehen, um der Beerdigung des Kindes beizu¬
wohnen. Angenommen, daß die Strafe, welche den Preßverbrecher Mördern
und Räubern gleichstellt, nur auf dem Papiere stehe, so bleibt sie eine Be¬
schimpfung der Presse. Kurz, der schwere Kerker des Journalisten riecht stark
"ach Altöstreich.

Eigenthümliche Erscheinungen hat der theilweise Sieg des Reichstages
"ber das Concordat hervorgerufen. Unter dem häßlichen Namen „Noth-
^ion-Ehe" hat man eine Verbindung zwischen Katholiken und Protestanten,
Zwischen entfernten Blutsverwandten oder Geschiedenen gestattet, unter der
Bedingung, daß die Kirche vorher ihre Weigerung, das Paar zu trauen.


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[0511] sind jedoch kürzlich in Wien und Lemberg vorgekommen. Viel häufiger stößt man in den Blättern auf Localnachrichten mit der Ueberschrift: — „Das Wasserträger außer dem Dienst" — „Der Säbel, der Säbel, schon wieder der Säbel!" d. h.: Schon wieder haben einige Herren vom Militär in ihren Mußestunden an den Schädeln wehrloser Civilisten ihre Klingen probirt. Unmöglich! rufen Frankfurt a. M. und Schwaben; so was kann im unglück¬ lichen verpreußten Deutschland vorfallen, aber in Oestreich?! — Nun, östrei¬ chische Blätter selbst erzählen es, und das ist es, wozu man dem Kaiserstaate am aufrichtigsten Glück wünschen darf. Bedenkt man, daß ehemals nach solchen Kleinigkeiten kein Hahn in der ganzen Monarchie krähen durfte, so ist die heute herrschende Oeffentlichkeir mit einem halben Staatsbankrott kaum zu theuer bezahlt. Die schreiende Ueberschrift: „Der Säbel, der Säbel!" kann trotzdem noch lange in den wiener Blättern widerhallen. Vernünftige Oest¬ reicher werden aus fremder Erfahrung wissen, daß es auch im freiesten Lande nicht genügt, auf einen Mißbrauch mit Fingern zu deuten, damit er ver¬ schwinde. Auch das hellste und reinste Licht der Oeffentlichkeit ist keine Alad- dins-Lampe, mit der man über Nacht Sümpfe austrocknet und aus Wild¬ nissen Paradiese schafft. Manchmal wandelt der östreichische Fortschritt mit einem Fuß auf dem Pflaster, mit dem andern in der Gosse. Die Schuldenhaft ist, nach fran¬ zösischem Beispiel, aufgehoben; die Hast für politische und Preßvergehen gleicht der von Dieben und Mördern. So ist im Laufe dieses Sommers ^ne Anzahl Journalisten von den Prager Gerichten zu 6 monatlichen, 2-, 6' und lOjährigem „schwerem Kerker, verschärft durch periodisches Fasten" verurtheilt worden. Das sind aber auch Mtraczechen, sagt Einer den das¬ selbe Schicksal übers Jahr als Ultradeutschen treffen wird. Bah, meint ein Anderer, der scribere stellt sich krank und bekommt ein anständiges Zimmer, ^echt erbaulich! Wie es sich damit verhalten mag, ist hier schwer zu ermit¬ tln; gewiß ist nur, daß ein prager Redacteur, dem während seiner Gefan¬ genschaft ein Söhnchen starb, vergebens die Erlaubniß nachgesucht hat, unter polizeilicher Begleitung auszugehen, um der Beerdigung des Kindes beizu¬ wohnen. Angenommen, daß die Strafe, welche den Preßverbrecher Mördern und Räubern gleichstellt, nur auf dem Papiere stehe, so bleibt sie eine Be¬ schimpfung der Presse. Kurz, der schwere Kerker des Journalisten riecht stark "ach Altöstreich. Eigenthümliche Erscheinungen hat der theilweise Sieg des Reichstages "ber das Concordat hervorgerufen. Unter dem häßlichen Namen „Noth- ^ion-Ehe" hat man eine Verbindung zwischen Katholiken und Protestanten, Zwischen entfernten Blutsverwandten oder Geschiedenen gestattet, unter der Bedingung, daß die Kirche vorher ihre Weigerung, das Paar zu trauen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/511>, abgerufen am 04.07.2024.