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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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mit Olmütz. die Existenz der Kammern und die Nothwendigkeit, sich mit
ihnen zu verständigen, ward nicht länger in Betracht gezogen, der König
wollte die Leitung der Politik nicht aufgeben, sondern im Gegentheil erst
recht in die Hand nehmen. Ich kämpfte so gut ich konnte gegen Kummer
und Unwillen und freute mich, meine Abreise schon angekündigt zu haben.
Der König empfing mich gütig und las mir seinen Brief an Prinz Albert
vor. den ich überbringen sollte, er sagte darin, daß er niemals einen Schritt
so bereut habe, wie den, welchen ich ihm gerathen, er theilte mir ferner einen
arglistigen Brief des Königs von Würtemberg mit, der nun ganz für Oest¬
reich gewonnen ist: ich konnte sehen, daß alle Welt gegen Preußen war. --
Mehr als je fühle ich mich fremd in der Hauptstadt meines Vaterlandes,
abgestoßen selbst im Wohnhause meines Königs. Die Gesichter im Vor¬
zimmer erinnerten mich an die Zustände von 1806; da war kein frischer
Geist, kein freies Herz, keine menschlichen Sympathieen unter allen jenen
menschlichen Gestalten, die umhersaßen oder glitten. (Folgt eine Aufzählung.)
Endlich N. (Niebuhr?). jetzt das Werkzeug Meyendorfs für dessen Verbindung
Mit dem König, durch welchen derselbe jeden Morgen mit solchen Neuig¬
keiten gefüttert wird, die ihn verletzen und reizen müssen: bald die Rohheit
der frankfurter Redner, bald die sogenannten aufrührerischen Pläne und
Aeußerungen Gagerns, dann wieder die Klagen von Fürsten, Adligen und
bedrückten Wohlmeinenden. Durch diesen Canal läßt der Kaiser von Ru߬
land mündliche und schriftliche Drohungen an den König gelangen, und so
wurden innerhalb des Königs eigenem Cabinet Pläne geschmiedet, gegen
welche die Minister vergeblich kämpften und eine geheime Correspondenz ge¬
führt, welche die Politik zu nichte macht und die Diplomatie ruinirt. Schon
vor 1848 hatte ich die Spuren dieses versteckten Spiels entdeckt, aber jetzt
vin ich tiefer hinter die Scene gedrungen und konnte die zerstörenden Wir¬
kungen der unablässigen geheimen Agitation verfolgen. Der Haß der offi-
ciellen Gesellschaft und der Adelspartei, welcher mich jetzt volle zwanzig Jahre
verfolgt hat, kam in vollster Deutlichkeit zu Tage, ebenso wie ihre Unfähig¬
keit und Engigkeit, welche nach dem Schrecken, den ihnen 1848 eingejagt,
nur um so schärfer hervortrat; die Gesichter, die mich umgaben, unterdrückten
kaum ihre innerliche Wuth. Nirgends war ein wirklicher Staatsmann zu sehen
Und was hätte ein solcher auch bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge
w Charlottenburg machen können? Der König ist entschlossen, alle Politik
allein zu leiten, er möchte neben der Verfassung eine Dictatur üben und
doch als ein liberaler und constitutioneller König gelten, während er wiederum
das constitutionelle System als Betrug und Falschheit betrachtet. Die Idee,
daß Unterthanen und gar solche, denen er sich an Fähigkeiten und Erfah¬
rungen überlegen fühlt, seine Politik leiten oder auch nur im geringsten seine


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mit Olmütz. die Existenz der Kammern und die Nothwendigkeit, sich mit
ihnen zu verständigen, ward nicht länger in Betracht gezogen, der König
wollte die Leitung der Politik nicht aufgeben, sondern im Gegentheil erst
recht in die Hand nehmen. Ich kämpfte so gut ich konnte gegen Kummer
und Unwillen und freute mich, meine Abreise schon angekündigt zu haben.
Der König empfing mich gütig und las mir seinen Brief an Prinz Albert
vor. den ich überbringen sollte, er sagte darin, daß er niemals einen Schritt
so bereut habe, wie den, welchen ich ihm gerathen, er theilte mir ferner einen
arglistigen Brief des Königs von Würtemberg mit, der nun ganz für Oest¬
reich gewonnen ist: ich konnte sehen, daß alle Welt gegen Preußen war. —
Mehr als je fühle ich mich fremd in der Hauptstadt meines Vaterlandes,
abgestoßen selbst im Wohnhause meines Königs. Die Gesichter im Vor¬
zimmer erinnerten mich an die Zustände von 1806; da war kein frischer
Geist, kein freies Herz, keine menschlichen Sympathieen unter allen jenen
menschlichen Gestalten, die umhersaßen oder glitten. (Folgt eine Aufzählung.)
Endlich N. (Niebuhr?). jetzt das Werkzeug Meyendorfs für dessen Verbindung
Mit dem König, durch welchen derselbe jeden Morgen mit solchen Neuig¬
keiten gefüttert wird, die ihn verletzen und reizen müssen: bald die Rohheit
der frankfurter Redner, bald die sogenannten aufrührerischen Pläne und
Aeußerungen Gagerns, dann wieder die Klagen von Fürsten, Adligen und
bedrückten Wohlmeinenden. Durch diesen Canal läßt der Kaiser von Ru߬
land mündliche und schriftliche Drohungen an den König gelangen, und so
wurden innerhalb des Königs eigenem Cabinet Pläne geschmiedet, gegen
welche die Minister vergeblich kämpften und eine geheime Correspondenz ge¬
führt, welche die Politik zu nichte macht und die Diplomatie ruinirt. Schon
vor 1848 hatte ich die Spuren dieses versteckten Spiels entdeckt, aber jetzt
vin ich tiefer hinter die Scene gedrungen und konnte die zerstörenden Wir¬
kungen der unablässigen geheimen Agitation verfolgen. Der Haß der offi-
ciellen Gesellschaft und der Adelspartei, welcher mich jetzt volle zwanzig Jahre
verfolgt hat, kam in vollster Deutlichkeit zu Tage, ebenso wie ihre Unfähig¬
keit und Engigkeit, welche nach dem Schrecken, den ihnen 1848 eingejagt,
nur um so schärfer hervortrat; die Gesichter, die mich umgaben, unterdrückten
kaum ihre innerliche Wuth. Nirgends war ein wirklicher Staatsmann zu sehen
Und was hätte ein solcher auch bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge
w Charlottenburg machen können? Der König ist entschlossen, alle Politik
allein zu leiten, er möchte neben der Verfassung eine Dictatur üben und
doch als ein liberaler und constitutioneller König gelten, während er wiederum
das constitutionelle System als Betrug und Falschheit betrachtet. Die Idee,
daß Unterthanen und gar solche, denen er sich an Fähigkeiten und Erfah¬
rungen überlegen fühlt, seine Politik leiten oder auch nur im geringsten seine


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[0499] mit Olmütz. die Existenz der Kammern und die Nothwendigkeit, sich mit ihnen zu verständigen, ward nicht länger in Betracht gezogen, der König wollte die Leitung der Politik nicht aufgeben, sondern im Gegentheil erst recht in die Hand nehmen. Ich kämpfte so gut ich konnte gegen Kummer und Unwillen und freute mich, meine Abreise schon angekündigt zu haben. Der König empfing mich gütig und las mir seinen Brief an Prinz Albert vor. den ich überbringen sollte, er sagte darin, daß er niemals einen Schritt so bereut habe, wie den, welchen ich ihm gerathen, er theilte mir ferner einen arglistigen Brief des Königs von Würtemberg mit, der nun ganz für Oest¬ reich gewonnen ist: ich konnte sehen, daß alle Welt gegen Preußen war. — Mehr als je fühle ich mich fremd in der Hauptstadt meines Vaterlandes, abgestoßen selbst im Wohnhause meines Königs. Die Gesichter im Vor¬ zimmer erinnerten mich an die Zustände von 1806; da war kein frischer Geist, kein freies Herz, keine menschlichen Sympathieen unter allen jenen menschlichen Gestalten, die umhersaßen oder glitten. (Folgt eine Aufzählung.) Endlich N. (Niebuhr?). jetzt das Werkzeug Meyendorfs für dessen Verbindung Mit dem König, durch welchen derselbe jeden Morgen mit solchen Neuig¬ keiten gefüttert wird, die ihn verletzen und reizen müssen: bald die Rohheit der frankfurter Redner, bald die sogenannten aufrührerischen Pläne und Aeußerungen Gagerns, dann wieder die Klagen von Fürsten, Adligen und bedrückten Wohlmeinenden. Durch diesen Canal läßt der Kaiser von Ru߬ land mündliche und schriftliche Drohungen an den König gelangen, und so wurden innerhalb des Königs eigenem Cabinet Pläne geschmiedet, gegen welche die Minister vergeblich kämpften und eine geheime Correspondenz ge¬ führt, welche die Politik zu nichte macht und die Diplomatie ruinirt. Schon vor 1848 hatte ich die Spuren dieses versteckten Spiels entdeckt, aber jetzt vin ich tiefer hinter die Scene gedrungen und konnte die zerstörenden Wir¬ kungen der unablässigen geheimen Agitation verfolgen. Der Haß der offi- ciellen Gesellschaft und der Adelspartei, welcher mich jetzt volle zwanzig Jahre verfolgt hat, kam in vollster Deutlichkeit zu Tage, ebenso wie ihre Unfähig¬ keit und Engigkeit, welche nach dem Schrecken, den ihnen 1848 eingejagt, nur um so schärfer hervortrat; die Gesichter, die mich umgaben, unterdrückten kaum ihre innerliche Wuth. Nirgends war ein wirklicher Staatsmann zu sehen Und was hätte ein solcher auch bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge w Charlottenburg machen können? Der König ist entschlossen, alle Politik allein zu leiten, er möchte neben der Verfassung eine Dictatur üben und doch als ein liberaler und constitutioneller König gelten, während er wiederum das constitutionelle System als Betrug und Falschheit betrachtet. Die Idee, daß Unterthanen und gar solche, denen er sich an Fähigkeiten und Erfah¬ rungen überlegen fühlt, seine Politik leiten oder auch nur im geringsten seine 69»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/499>, abgerufen am 04.07.2024.