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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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es nicht das ist, was man verlangt, nämlich Reichsstände, überall bilden
sich Clubs, nicht für Aufstände aber für Agitation." -- In Berlin suchte
Bunsen dahin zu wirken, daß in der Verfassungsfrage endlich ein Entschluß
gefaßt würde; er betonte, daß es unmöglich sein werde, allein mit Provinzial-
ständen weiter zu regieren, "dies wäre als ob das Sonnensystem nur centri-
fugale Kräfte hätte." Er arbeitete auf den Wunsch des Königs über die
Vorfragen der Verfassung einige Aufsätze aus, welche von der für diese Frage
eingesetzten Commission gut geheißen wurden. Aber es kam zu nichts, "die
entgegenstehenden Kräfte neutralifirten sich." "Am wahrscheinlichsten ist, daß
"indes geschehen wird; will man etwas thun, so wird man vielleicht einige
Meiner Ideen benutzen, aber auch dann wird es gut sein, wenn man ohne
wich handelt, denn ich tauge nicht für die Ausführung oder passe doch nicht
für die Männer, mit denen ich zusammenzuwirken hätte. Ich kann nicht
einmal begreifen, wie Geschäfte d. h. wirklich große und nothwendige Ge¬
schäfte hier vorwärts kommen können. Das tägliche Leben des Hofes und
der Ministerien erleidet nicht einen Tag Unterbrechung, als ob wir in den
gewöhnlichsten Zeiten lebten; und doch sagt Jeder, daß wir in einer Krisis sind,
^se schreckt mich das Gespenst des Hofes und Ministeriums in Frankreich
1788--1789; mein Tröst ist nur, daß Preußen nicht Frankreich und Fried¬
lich Wilhelm IV. nicht Ludwig XVI. ist." --

Bei so trüben Eindrücken begreift es sich, daß Bunsen aufs Neue in
dem Gefühl befestigt ward, Berlin sei kein Ort zum Wirken für ihn -- "ich
würde am Ende von wenigen Jahren umkommen, wenn ich hier bleiben
sollte" -- und so kehrte er gerne nach England zurück. Auch das Wieder¬
sehen mit dem Könige bei Gelegenheit des Besuchs der Königin von Eng¬
land führte nicht zu bessern Resultaten. "Des Königs Herz ist für mich wie
^s eines Bruders, aber unsre Wege gehen auseinander. Der Würfel ist
gefallen und er liest auf meinem Gesichte, daß ich das Wie beklage." --
dürfen fühlte eben, daß, wie Beckerath sich treffend ausdrückte, König und
B°ik in ganz verschiednen Sprachen redeten und in verschiednen Jahrhun¬
derten lebten, und so konnte ihn der Sturm des Jahres 1848 nicht über¬
sehen, der den König zu dem Bewußtsein der wirklichen Lage aufrüttelte,
Nachdem so viele treue Diener .jahrelang vergeblich Gehör gesucht hatten.
"Mein geliebter König" schreibt er, "ist in der Lage Jemandes, der nicht zu
seiner Zeit und Gelegenheit hat handeln wollen und nun gezwungen ist zu¬
zusehen, wie die Nation für ihn handelt. Trotz aller Thatsachen, mit denen
meine Hoffnungen zu stützen suche, ist es doch sehr möglich, daß ich die
Vollendung des Werkes der Regeneration nicht erleben werde, aber ich habe
doch den Anfang desselben gesehen, wie ich ihn mit den Freunden meiner
Äugend und meinen verehrten Aeltesten Stein, Niebuhr, Gneisenau und


Grenzboten III. 1868. gg

es nicht das ist, was man verlangt, nämlich Reichsstände, überall bilden
sich Clubs, nicht für Aufstände aber für Agitation." — In Berlin suchte
Bunsen dahin zu wirken, daß in der Verfassungsfrage endlich ein Entschluß
gefaßt würde; er betonte, daß es unmöglich sein werde, allein mit Provinzial-
ständen weiter zu regieren, „dies wäre als ob das Sonnensystem nur centri-
fugale Kräfte hätte." Er arbeitete auf den Wunsch des Königs über die
Vorfragen der Verfassung einige Aufsätze aus, welche von der für diese Frage
eingesetzten Commission gut geheißen wurden. Aber es kam zu nichts, „die
entgegenstehenden Kräfte neutralifirten sich." „Am wahrscheinlichsten ist, daß
"indes geschehen wird; will man etwas thun, so wird man vielleicht einige
Meiner Ideen benutzen, aber auch dann wird es gut sein, wenn man ohne
wich handelt, denn ich tauge nicht für die Ausführung oder passe doch nicht
für die Männer, mit denen ich zusammenzuwirken hätte. Ich kann nicht
einmal begreifen, wie Geschäfte d. h. wirklich große und nothwendige Ge¬
schäfte hier vorwärts kommen können. Das tägliche Leben des Hofes und
der Ministerien erleidet nicht einen Tag Unterbrechung, als ob wir in den
gewöhnlichsten Zeiten lebten; und doch sagt Jeder, daß wir in einer Krisis sind,
^se schreckt mich das Gespenst des Hofes und Ministeriums in Frankreich
1788—1789; mein Tröst ist nur, daß Preußen nicht Frankreich und Fried¬
lich Wilhelm IV. nicht Ludwig XVI. ist." —

Bei so trüben Eindrücken begreift es sich, daß Bunsen aufs Neue in
dem Gefühl befestigt ward, Berlin sei kein Ort zum Wirken für ihn — „ich
würde am Ende von wenigen Jahren umkommen, wenn ich hier bleiben
sollte" — und so kehrte er gerne nach England zurück. Auch das Wieder¬
sehen mit dem Könige bei Gelegenheit des Besuchs der Königin von Eng¬
land führte nicht zu bessern Resultaten. „Des Königs Herz ist für mich wie
^s eines Bruders, aber unsre Wege gehen auseinander. Der Würfel ist
gefallen und er liest auf meinem Gesichte, daß ich das Wie beklage." —
dürfen fühlte eben, daß, wie Beckerath sich treffend ausdrückte, König und
B°ik in ganz verschiednen Sprachen redeten und in verschiednen Jahrhun¬
derten lebten, und so konnte ihn der Sturm des Jahres 1848 nicht über¬
sehen, der den König zu dem Bewußtsein der wirklichen Lage aufrüttelte,
Nachdem so viele treue Diener .jahrelang vergeblich Gehör gesucht hatten.
»Mein geliebter König" schreibt er, „ist in der Lage Jemandes, der nicht zu
seiner Zeit und Gelegenheit hat handeln wollen und nun gezwungen ist zu¬
zusehen, wie die Nation für ihn handelt. Trotz aller Thatsachen, mit denen
meine Hoffnungen zu stützen suche, ist es doch sehr möglich, daß ich die
Vollendung des Werkes der Regeneration nicht erleben werde, aber ich habe
doch den Anfang desselben gesehen, wie ich ihn mit den Freunden meiner
Äugend und meinen verehrten Aeltesten Stein, Niebuhr, Gneisenau und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/497>, abgerufen am 04.07.2024.