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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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der officiellen Welt ebenso viele gegen das Bestehende verschworene boshafte
Wähler waren, die ihre politischen Umsturztendenzen durch Phrasen von den
materiellen Vortheilen der Freiheit und der natürlichen Harmonie der In¬
teressen maskirten? --und jetzt stellten sich nicht allein die namhaftesten preu¬
ßischen Konservativen, die höchsten Staatsbeamten zu seiner Jahresversamm¬
lung ein, nein, einer der Ersteren führte sich geradezu durch ein begeistertes Be¬
kenntniß zu dem Glauben des Congresses in dessen kämpfende Reihen ein,
ein Anderer kleidete einen kleinen Nest abweichender Ansichten in die beschei¬
denste unmaßgeblichste Form, Beide ließen sich von der ständigen Deputation
cooptiren, und gegen ängstliche oberschlesische Eisen-Industrielle, denen die
Polemik der Freihändler gegen alle Eisenzölle noch Sorgen erregte, nahm
sich ein Berghauptmann in Dienst der zuversichtlichen Auffassungsweise an,
welche einer der alten Streiter des Congresses in dieser Hinsicht kund¬
gegeben hatte. Altconservative und Bureaukraten sah man hier für jene
unbedingte Verkehrsfreiheit einstehen, welche zehn Jahre früher von denselben
Stimmen, wie heute auch, nicht hatte verkündigt werden können, ohne den
Verdacht der Stieber und Körner auf sich zu lenken.

In diesem äußeren Wachsthum liegt jedoch eine verborgene Gefahr, wie
immer in dem Siege und der Eroberung. Wird der Congreß nicht er¬
schlaffen? wird er nicht übermüthig werden? Die nächsten Jahre werden
zeigen, ob so viel gesundes schöpferisches Leben in ihm steckt, daß es auch
für eine neue Periode frischer fruchtbarer Wirksamkeit noch ausreicht, und
daß er nicht unvermerkt ins Schlepptau der vaterländischen Entwickelung
geräth, anstatt ihr bahnbrechend und lichtaufsteckend voranzudringen.

Der Umschwung der Dinge hat, wie man weiß, sich auch darin äußer¬
lich kundgegeben, daß ein hervorragendes Mitglied des Congresses, nachdem
es im preußischen Abgeordnetenhause eine kurze aber rühmliche Carnöre durch¬
gemacht, ins Bundeskanzleramt gezogen worden ist. Entsprechend der gegen¬
wärtigen befestigten Stellung des Congresses hat Geheimer Rath Michaelis
ihm keineswegs den Rücken wenden müssen, seitdem er in die Geheimnisse
und Ehren der höchsten Regierungspraxis aufgenommen ist, vielmehr darf er
innerhalb gewisser Anstandsgrenzen fortfahren, sich an den Arbeiten und
insbesondere an der Leitung des Congresses zu betheiligen. Für den wün-
schenswerthen genauen und unzerreißbaren Zusammenhang des Congresses
mit der Gestaltung der Dinge im politischen Deutschland ist dies Verhältniß
natürlich von höchstem Werthe. Aber es will mit Vorsicht behandelt sein, von
Seiten des Congresses sowohl als der obersten Bundesbehörde. Und wenn uns
hier mehr das Interesse des Congresses angeht als das der letzteren, die sich auch
eher selbst helfen, nachtheiligen Folgen einer zu weit getriebenen Vermischung
kraft ihrer überlegenen Stellung leichter entgehen wird, so dürfte eine leise


der officiellen Welt ebenso viele gegen das Bestehende verschworene boshafte
Wähler waren, die ihre politischen Umsturztendenzen durch Phrasen von den
materiellen Vortheilen der Freiheit und der natürlichen Harmonie der In¬
teressen maskirten? —und jetzt stellten sich nicht allein die namhaftesten preu¬
ßischen Konservativen, die höchsten Staatsbeamten zu seiner Jahresversamm¬
lung ein, nein, einer der Ersteren führte sich geradezu durch ein begeistertes Be¬
kenntniß zu dem Glauben des Congresses in dessen kämpfende Reihen ein,
ein Anderer kleidete einen kleinen Nest abweichender Ansichten in die beschei¬
denste unmaßgeblichste Form, Beide ließen sich von der ständigen Deputation
cooptiren, und gegen ängstliche oberschlesische Eisen-Industrielle, denen die
Polemik der Freihändler gegen alle Eisenzölle noch Sorgen erregte, nahm
sich ein Berghauptmann in Dienst der zuversichtlichen Auffassungsweise an,
welche einer der alten Streiter des Congresses in dieser Hinsicht kund¬
gegeben hatte. Altconservative und Bureaukraten sah man hier für jene
unbedingte Verkehrsfreiheit einstehen, welche zehn Jahre früher von denselben
Stimmen, wie heute auch, nicht hatte verkündigt werden können, ohne den
Verdacht der Stieber und Körner auf sich zu lenken.

In diesem äußeren Wachsthum liegt jedoch eine verborgene Gefahr, wie
immer in dem Siege und der Eroberung. Wird der Congreß nicht er¬
schlaffen? wird er nicht übermüthig werden? Die nächsten Jahre werden
zeigen, ob so viel gesundes schöpferisches Leben in ihm steckt, daß es auch
für eine neue Periode frischer fruchtbarer Wirksamkeit noch ausreicht, und
daß er nicht unvermerkt ins Schlepptau der vaterländischen Entwickelung
geräth, anstatt ihr bahnbrechend und lichtaufsteckend voranzudringen.

Der Umschwung der Dinge hat, wie man weiß, sich auch darin äußer¬
lich kundgegeben, daß ein hervorragendes Mitglied des Congresses, nachdem
es im preußischen Abgeordnetenhause eine kurze aber rühmliche Carnöre durch¬
gemacht, ins Bundeskanzleramt gezogen worden ist. Entsprechend der gegen¬
wärtigen befestigten Stellung des Congresses hat Geheimer Rath Michaelis
ihm keineswegs den Rücken wenden müssen, seitdem er in die Geheimnisse
und Ehren der höchsten Regierungspraxis aufgenommen ist, vielmehr darf er
innerhalb gewisser Anstandsgrenzen fortfahren, sich an den Arbeiten und
insbesondere an der Leitung des Congresses zu betheiligen. Für den wün-
schenswerthen genauen und unzerreißbaren Zusammenhang des Congresses
mit der Gestaltung der Dinge im politischen Deutschland ist dies Verhältniß
natürlich von höchstem Werthe. Aber es will mit Vorsicht behandelt sein, von
Seiten des Congresses sowohl als der obersten Bundesbehörde. Und wenn uns
hier mehr das Interesse des Congresses angeht als das der letzteren, die sich auch
eher selbst helfen, nachtheiligen Folgen einer zu weit getriebenen Vermischung
kraft ihrer überlegenen Stellung leichter entgehen wird, so dürfte eine leise


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[0474] der officiellen Welt ebenso viele gegen das Bestehende verschworene boshafte Wähler waren, die ihre politischen Umsturztendenzen durch Phrasen von den materiellen Vortheilen der Freiheit und der natürlichen Harmonie der In¬ teressen maskirten? —und jetzt stellten sich nicht allein die namhaftesten preu¬ ßischen Konservativen, die höchsten Staatsbeamten zu seiner Jahresversamm¬ lung ein, nein, einer der Ersteren führte sich geradezu durch ein begeistertes Be¬ kenntniß zu dem Glauben des Congresses in dessen kämpfende Reihen ein, ein Anderer kleidete einen kleinen Nest abweichender Ansichten in die beschei¬ denste unmaßgeblichste Form, Beide ließen sich von der ständigen Deputation cooptiren, und gegen ängstliche oberschlesische Eisen-Industrielle, denen die Polemik der Freihändler gegen alle Eisenzölle noch Sorgen erregte, nahm sich ein Berghauptmann in Dienst der zuversichtlichen Auffassungsweise an, welche einer der alten Streiter des Congresses in dieser Hinsicht kund¬ gegeben hatte. Altconservative und Bureaukraten sah man hier für jene unbedingte Verkehrsfreiheit einstehen, welche zehn Jahre früher von denselben Stimmen, wie heute auch, nicht hatte verkündigt werden können, ohne den Verdacht der Stieber und Körner auf sich zu lenken. In diesem äußeren Wachsthum liegt jedoch eine verborgene Gefahr, wie immer in dem Siege und der Eroberung. Wird der Congreß nicht er¬ schlaffen? wird er nicht übermüthig werden? Die nächsten Jahre werden zeigen, ob so viel gesundes schöpferisches Leben in ihm steckt, daß es auch für eine neue Periode frischer fruchtbarer Wirksamkeit noch ausreicht, und daß er nicht unvermerkt ins Schlepptau der vaterländischen Entwickelung geräth, anstatt ihr bahnbrechend und lichtaufsteckend voranzudringen. Der Umschwung der Dinge hat, wie man weiß, sich auch darin äußer¬ lich kundgegeben, daß ein hervorragendes Mitglied des Congresses, nachdem es im preußischen Abgeordnetenhause eine kurze aber rühmliche Carnöre durch¬ gemacht, ins Bundeskanzleramt gezogen worden ist. Entsprechend der gegen¬ wärtigen befestigten Stellung des Congresses hat Geheimer Rath Michaelis ihm keineswegs den Rücken wenden müssen, seitdem er in die Geheimnisse und Ehren der höchsten Regierungspraxis aufgenommen ist, vielmehr darf er innerhalb gewisser Anstandsgrenzen fortfahren, sich an den Arbeiten und insbesondere an der Leitung des Congresses zu betheiligen. Für den wün- schenswerthen genauen und unzerreißbaren Zusammenhang des Congresses mit der Gestaltung der Dinge im politischen Deutschland ist dies Verhältniß natürlich von höchstem Werthe. Aber es will mit Vorsicht behandelt sein, von Seiten des Congresses sowohl als der obersten Bundesbehörde. Und wenn uns hier mehr das Interesse des Congresses angeht als das der letzteren, die sich auch eher selbst helfen, nachtheiligen Folgen einer zu weit getriebenen Vermischung kraft ihrer überlegenen Stellung leichter entgehen wird, so dürfte eine leise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/474>, abgerufen am 04.07.2024.