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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Ledochowski vom Anfange dieses Jahres, wonach in der Erzdiözese Gnesen-
Posen sich 763 Geistliche und 920,307 katholische Laien befanden. Da zu
dem Sprengel außer Posen auch die westpreußischen Kreise Deutschkrone und
Flatow, 1858 mit einer Bevölkerung von 114,952 Seelen gehören, so wer¬
den wir nicht weit fehl gehen, wenn wir von obiger Zahl von rund 921,000
Katholiken 61.000 als auf die beiden Kreise treffend in Abzug bringen,
ferner 100.000 deutsche Katholiken der Provinz Posen. Dann bleiben 760.000
katholische Polen in derselben. Wenn man endlich wiederum noch einige
Tausend protestantische Polen dazu zählt, so erhält man immer noch kaum
die Zahl 783.700, welche es 1861 in Posen gab, und es scheint sonach nur
eine geringe Vermehrung, wenn nicht eine Verminderung derselben stattgefun¬
den zu haben. Doch ist, wie gesagt, darüber noch keine Gewißheit möglich.

Eine Art von Germanisirung, welche schon längst Aufmerksamkeit erregt
und für die dauernde Befestigung des deutschen Elements auch große Wich¬
tigkeit hat, läßt sich durch Zahlen ausdrücken. Das ist der Uebergang der
ländlichen Grundstücke aus polnischen in deutsche Hände. Es ist damit in
den letzten Jahren wenig, aber dennoch vorwärts gegangen. Auf keinen
Punkt ihrer Vertheidigungsstellung richten die Polen mit solcher Kraftan¬
strengung ihre Aufmerksamkeit, als hierauf. Vor etwa sieben Jahren haben
sie den Creditverein "Tellus" gegründet, der durch vereinte Kräfte den Grund
und Boden ihnen erhalten, wo möglich, so weit er verloren gegangen ist,
ihnen wieder zurück erwerben soll. Die reichsten Magnaten nicht blos der
preußisch-polnischen Provinzen, sondern auch Galiziens und des Congreß-
königreichs nehmen daran Theil. Der Erfolg ist bisher sehr günstig gewesen;
die Gesellschaft hat schon eine große Anzahl von Gütern zum Theil sogar von
Deutschen angekauft und dann mit Vortheil auf Credit an Polen wieder
verkauft. Sie treibt außerdem Handelsgeschäfte mit Erzeugnissen der Land¬
wirthschaft, welche bisher gelungen sind. So wird dem vordringenden deut¬
schen Capital wirksam Widerstand entgegengesetzt. Der Erwerb einer be¬
trächtlichen Anzahl bedeutender Güter durch Mitglieder der hohen deutschen
Aristokratie sällt größtentheils vor die Zeit des Tellusvereins, so der
Ankauf des Herzogs von Koburg-Gotha, des Großherzogs von Baden,
des Herzogs von Meiningen, eines Pvjnzen von Reuß, des Prinzen von
Augustenburg, des Fürsten von Waldburg, des Grafen von Wernigerode
u. A. Indeß sind seit drei Jahren doch drei Hauptschläge gegen den polni¬
schen Grundbesitz in Posen nebst Westpreußen gefallen: der Verkauf der
Herrschaft Reisen von dem Fürsten Sulkowski und ebenso der Herrschaften
Womwelno, Kreis Bromberg, und Nadawnitz, Kreis Flatow, von dem Gra¬
fen Grabowski an den Eisenbahnunternehmer Strousberg in Berlin und
endlich derjenige einer Herrschaft des Grafen Wensierski, Kreis Meseritz, an


Ledochowski vom Anfange dieses Jahres, wonach in der Erzdiözese Gnesen-
Posen sich 763 Geistliche und 920,307 katholische Laien befanden. Da zu
dem Sprengel außer Posen auch die westpreußischen Kreise Deutschkrone und
Flatow, 1858 mit einer Bevölkerung von 114,952 Seelen gehören, so wer¬
den wir nicht weit fehl gehen, wenn wir von obiger Zahl von rund 921,000
Katholiken 61.000 als auf die beiden Kreise treffend in Abzug bringen,
ferner 100.000 deutsche Katholiken der Provinz Posen. Dann bleiben 760.000
katholische Polen in derselben. Wenn man endlich wiederum noch einige
Tausend protestantische Polen dazu zählt, so erhält man immer noch kaum
die Zahl 783.700, welche es 1861 in Posen gab, und es scheint sonach nur
eine geringe Vermehrung, wenn nicht eine Verminderung derselben stattgefun¬
den zu haben. Doch ist, wie gesagt, darüber noch keine Gewißheit möglich.

Eine Art von Germanisirung, welche schon längst Aufmerksamkeit erregt
und für die dauernde Befestigung des deutschen Elements auch große Wich¬
tigkeit hat, läßt sich durch Zahlen ausdrücken. Das ist der Uebergang der
ländlichen Grundstücke aus polnischen in deutsche Hände. Es ist damit in
den letzten Jahren wenig, aber dennoch vorwärts gegangen. Auf keinen
Punkt ihrer Vertheidigungsstellung richten die Polen mit solcher Kraftan¬
strengung ihre Aufmerksamkeit, als hierauf. Vor etwa sieben Jahren haben
sie den Creditverein „Tellus" gegründet, der durch vereinte Kräfte den Grund
und Boden ihnen erhalten, wo möglich, so weit er verloren gegangen ist,
ihnen wieder zurück erwerben soll. Die reichsten Magnaten nicht blos der
preußisch-polnischen Provinzen, sondern auch Galiziens und des Congreß-
königreichs nehmen daran Theil. Der Erfolg ist bisher sehr günstig gewesen;
die Gesellschaft hat schon eine große Anzahl von Gütern zum Theil sogar von
Deutschen angekauft und dann mit Vortheil auf Credit an Polen wieder
verkauft. Sie treibt außerdem Handelsgeschäfte mit Erzeugnissen der Land¬
wirthschaft, welche bisher gelungen sind. So wird dem vordringenden deut¬
schen Capital wirksam Widerstand entgegengesetzt. Der Erwerb einer be¬
trächtlichen Anzahl bedeutender Güter durch Mitglieder der hohen deutschen
Aristokratie sällt größtentheils vor die Zeit des Tellusvereins, so der
Ankauf des Herzogs von Koburg-Gotha, des Großherzogs von Baden,
des Herzogs von Meiningen, eines Pvjnzen von Reuß, des Prinzen von
Augustenburg, des Fürsten von Waldburg, des Grafen von Wernigerode
u. A. Indeß sind seit drei Jahren doch drei Hauptschläge gegen den polni¬
schen Grundbesitz in Posen nebst Westpreußen gefallen: der Verkauf der
Herrschaft Reisen von dem Fürsten Sulkowski und ebenso der Herrschaften
Womwelno, Kreis Bromberg, und Nadawnitz, Kreis Flatow, von dem Gra¬
fen Grabowski an den Eisenbahnunternehmer Strousberg in Berlin und
endlich derjenige einer Herrschaft des Grafen Wensierski, Kreis Meseritz, an


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[0466] Ledochowski vom Anfange dieses Jahres, wonach in der Erzdiözese Gnesen- Posen sich 763 Geistliche und 920,307 katholische Laien befanden. Da zu dem Sprengel außer Posen auch die westpreußischen Kreise Deutschkrone und Flatow, 1858 mit einer Bevölkerung von 114,952 Seelen gehören, so wer¬ den wir nicht weit fehl gehen, wenn wir von obiger Zahl von rund 921,000 Katholiken 61.000 als auf die beiden Kreise treffend in Abzug bringen, ferner 100.000 deutsche Katholiken der Provinz Posen. Dann bleiben 760.000 katholische Polen in derselben. Wenn man endlich wiederum noch einige Tausend protestantische Polen dazu zählt, so erhält man immer noch kaum die Zahl 783.700, welche es 1861 in Posen gab, und es scheint sonach nur eine geringe Vermehrung, wenn nicht eine Verminderung derselben stattgefun¬ den zu haben. Doch ist, wie gesagt, darüber noch keine Gewißheit möglich. Eine Art von Germanisirung, welche schon längst Aufmerksamkeit erregt und für die dauernde Befestigung des deutschen Elements auch große Wich¬ tigkeit hat, läßt sich durch Zahlen ausdrücken. Das ist der Uebergang der ländlichen Grundstücke aus polnischen in deutsche Hände. Es ist damit in den letzten Jahren wenig, aber dennoch vorwärts gegangen. Auf keinen Punkt ihrer Vertheidigungsstellung richten die Polen mit solcher Kraftan¬ strengung ihre Aufmerksamkeit, als hierauf. Vor etwa sieben Jahren haben sie den Creditverein „Tellus" gegründet, der durch vereinte Kräfte den Grund und Boden ihnen erhalten, wo möglich, so weit er verloren gegangen ist, ihnen wieder zurück erwerben soll. Die reichsten Magnaten nicht blos der preußisch-polnischen Provinzen, sondern auch Galiziens und des Congreß- königreichs nehmen daran Theil. Der Erfolg ist bisher sehr günstig gewesen; die Gesellschaft hat schon eine große Anzahl von Gütern zum Theil sogar von Deutschen angekauft und dann mit Vortheil auf Credit an Polen wieder verkauft. Sie treibt außerdem Handelsgeschäfte mit Erzeugnissen der Land¬ wirthschaft, welche bisher gelungen sind. So wird dem vordringenden deut¬ schen Capital wirksam Widerstand entgegengesetzt. Der Erwerb einer be¬ trächtlichen Anzahl bedeutender Güter durch Mitglieder der hohen deutschen Aristokratie sällt größtentheils vor die Zeit des Tellusvereins, so der Ankauf des Herzogs von Koburg-Gotha, des Großherzogs von Baden, des Herzogs von Meiningen, eines Pvjnzen von Reuß, des Prinzen von Augustenburg, des Fürsten von Waldburg, des Grafen von Wernigerode u. A. Indeß sind seit drei Jahren doch drei Hauptschläge gegen den polni¬ schen Grundbesitz in Posen nebst Westpreußen gefallen: der Verkauf der Herrschaft Reisen von dem Fürsten Sulkowski und ebenso der Herrschaften Womwelno, Kreis Bromberg, und Nadawnitz, Kreis Flatow, von dem Gra¬ fen Grabowski an den Eisenbahnunternehmer Strousberg in Berlin und endlich derjenige einer Herrschaft des Grafen Wensierski, Kreis Meseritz, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/466>, abgerufen am 04.07.2024.