Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

oder zu überwiegen. Der Uebergang von der polnischen zur deutschen Sprache
findet besonders in dem zweiten oder dritten Geschlecht bei der städtischen
Bevölkerung statt; aber auch hier ist der Zu- beziehentlich Abgang nicht sehr
stark. Entscheidend ist die Aus- und Einwanderung. Deutsche Arbeiter wan-
dern zwar alljährlich zu Tausenden nach Posen ein und finden theils bei den
öffentlichen Bauten, theils bei Privatmeliorationen oder auch bei städtischen
Arbeiten, endlich in Fabriken Beschäftigung und es bleiben ihrer auch sehr
viele in der Provinz. Aber andererseits ist die Auswanderung deutscher Arbeiter,
namentlich aus dem Netzdistrict nach Amerika so umfangreich, daß dadurch
der Zufluß des deutschen Elements sehr leicht mehr als aufgewogen werden
könnte. Auch die Juden der Provinz vermehren sich wenig, indem sie in
großer Anzahl zum Theil nach Berlin und nach den westlichen Provinzen
Preußens, zum Theil nach dem Ausland, besonders auch nach Amerika gehen.

Was nun die große Masse der Polen anbetrifft, so war bis vor wenigen
Jahren unter ihnen fast gar keine Wanderbewegung und unter die angesessenen
Bauern ist auch heute noch keine gekommen, während die Kassuben in West¬
preußen seit einigen Jahren in großer Anzahl ihre Grundstücke verkaufen und
Aaas Wiskonsin ziehen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter polnischen Stam¬
mes haben dagegen seit der Zeit, daß die russische Regierung in Polen mit
einem Schlage alle Dienst- und Arbeitsleute der dortigen Gutsbesitzer in
kleine Grundbesitzer verwandelt hat, einen starken Zug dorthin bekommen;
jedoch kehren sie entweder zum Winter oder doch nach ein paar Jahren ge¬
wöhnlich in die Heimath zurück. Wichtiger ist für die Germanisirung, daß
von ihnen viele auch nach dem deutschen Westen gehen, um an öffentlichen
Bauten Beschäftigung zu suchen. So haben wir polnische Arbeiter aus dem
Posenschen bei einem Eisenbahnbau jenseits der Elbe angetroffen, während
die Erdarbeiten an den Eisenbahnen in Posen meistentheils von Schlesiern
und Neumärkern ausgeführt werden. Es findet also theilweise ein Austausch
der Arbeitskräfte zwischen den Provinzen statt. Wenn jene Polen nach ihrer
Heimathsprovinz zurückkehren, dann kann es nicht fehlen, daß sie ein gutes
Theil Deutsch mit dahin nehmen, jedenfalls hört die nationale Abgeschlossen¬
heit und somit die Feindseligkeit gegen das Deutschthum auf und wird ein
wesentliches Hinderniß der Germanisirung weggeräumt. Wir glauben, daß
^e preußische Regierung durch Aufhebung des Paßzwanges, noch mehr durch
^e volle Freizügigkeit für die Germanisirung der polnischen Provinzen eine
neue Aera eröffnet hat; nur kann sich diese Wirkung noch nicht bei der
jüngsten Zählung bemerklich gemacht haben und wir können also nicht wissen,
°b dieselbe für die Sprachverhältnisse ein besonders günstiges Ergebniß
uefern wird.

Einen Anhalt zur Berechnung gibt die Bekanntmachung des Erzbischofs


56*

oder zu überwiegen. Der Uebergang von der polnischen zur deutschen Sprache
findet besonders in dem zweiten oder dritten Geschlecht bei der städtischen
Bevölkerung statt; aber auch hier ist der Zu- beziehentlich Abgang nicht sehr
stark. Entscheidend ist die Aus- und Einwanderung. Deutsche Arbeiter wan-
dern zwar alljährlich zu Tausenden nach Posen ein und finden theils bei den
öffentlichen Bauten, theils bei Privatmeliorationen oder auch bei städtischen
Arbeiten, endlich in Fabriken Beschäftigung und es bleiben ihrer auch sehr
viele in der Provinz. Aber andererseits ist die Auswanderung deutscher Arbeiter,
namentlich aus dem Netzdistrict nach Amerika so umfangreich, daß dadurch
der Zufluß des deutschen Elements sehr leicht mehr als aufgewogen werden
könnte. Auch die Juden der Provinz vermehren sich wenig, indem sie in
großer Anzahl zum Theil nach Berlin und nach den westlichen Provinzen
Preußens, zum Theil nach dem Ausland, besonders auch nach Amerika gehen.

Was nun die große Masse der Polen anbetrifft, so war bis vor wenigen
Jahren unter ihnen fast gar keine Wanderbewegung und unter die angesessenen
Bauern ist auch heute noch keine gekommen, während die Kassuben in West¬
preußen seit einigen Jahren in großer Anzahl ihre Grundstücke verkaufen und
Aaas Wiskonsin ziehen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter polnischen Stam¬
mes haben dagegen seit der Zeit, daß die russische Regierung in Polen mit
einem Schlage alle Dienst- und Arbeitsleute der dortigen Gutsbesitzer in
kleine Grundbesitzer verwandelt hat, einen starken Zug dorthin bekommen;
jedoch kehren sie entweder zum Winter oder doch nach ein paar Jahren ge¬
wöhnlich in die Heimath zurück. Wichtiger ist für die Germanisirung, daß
von ihnen viele auch nach dem deutschen Westen gehen, um an öffentlichen
Bauten Beschäftigung zu suchen. So haben wir polnische Arbeiter aus dem
Posenschen bei einem Eisenbahnbau jenseits der Elbe angetroffen, während
die Erdarbeiten an den Eisenbahnen in Posen meistentheils von Schlesiern
und Neumärkern ausgeführt werden. Es findet also theilweise ein Austausch
der Arbeitskräfte zwischen den Provinzen statt. Wenn jene Polen nach ihrer
Heimathsprovinz zurückkehren, dann kann es nicht fehlen, daß sie ein gutes
Theil Deutsch mit dahin nehmen, jedenfalls hört die nationale Abgeschlossen¬
heit und somit die Feindseligkeit gegen das Deutschthum auf und wird ein
wesentliches Hinderniß der Germanisirung weggeräumt. Wir glauben, daß
^e preußische Regierung durch Aufhebung des Paßzwanges, noch mehr durch
^e volle Freizügigkeit für die Germanisirung der polnischen Provinzen eine
neue Aera eröffnet hat; nur kann sich diese Wirkung noch nicht bei der
jüngsten Zählung bemerklich gemacht haben und wir können also nicht wissen,
°b dieselbe für die Sprachverhältnisse ein besonders günstiges Ergebniß
uefern wird.

Einen Anhalt zur Berechnung gibt die Bekanntmachung des Erzbischofs


56*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287177"/>
          <p xml:id="ID_1191" prev="#ID_1190"> oder zu überwiegen. Der Uebergang von der polnischen zur deutschen Sprache<lb/>
findet besonders in dem zweiten oder dritten Geschlecht bei der städtischen<lb/>
Bevölkerung statt; aber auch hier ist der Zu- beziehentlich Abgang nicht sehr<lb/>
stark. Entscheidend ist die Aus- und Einwanderung. Deutsche Arbeiter wan-<lb/>
dern zwar alljährlich zu Tausenden nach Posen ein und finden theils bei den<lb/>
öffentlichen Bauten, theils bei Privatmeliorationen oder auch bei städtischen<lb/>
Arbeiten, endlich in Fabriken Beschäftigung und es bleiben ihrer auch sehr<lb/>
viele in der Provinz. Aber andererseits ist die Auswanderung deutscher Arbeiter,<lb/>
namentlich aus dem Netzdistrict nach Amerika so umfangreich, daß dadurch<lb/>
der Zufluß des deutschen Elements sehr leicht mehr als aufgewogen werden<lb/>
könnte. Auch die Juden der Provinz vermehren sich wenig, indem sie in<lb/>
großer Anzahl zum Theil nach Berlin und nach den westlichen Provinzen<lb/>
Preußens, zum Theil nach dem Ausland, besonders auch nach Amerika gehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1192"> Was nun die große Masse der Polen anbetrifft, so war bis vor wenigen<lb/>
Jahren unter ihnen fast gar keine Wanderbewegung und unter die angesessenen<lb/>
Bauern ist auch heute noch keine gekommen, während die Kassuben in West¬<lb/>
preußen seit einigen Jahren in großer Anzahl ihre Grundstücke verkaufen und<lb/>
Aaas Wiskonsin ziehen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter polnischen Stam¬<lb/>
mes haben dagegen seit der Zeit, daß die russische Regierung in Polen mit<lb/>
einem Schlage alle Dienst- und Arbeitsleute der dortigen Gutsbesitzer in<lb/>
kleine Grundbesitzer verwandelt hat, einen starken Zug dorthin bekommen;<lb/>
jedoch kehren sie entweder zum Winter oder doch nach ein paar Jahren ge¬<lb/>
wöhnlich in die Heimath zurück. Wichtiger ist für die Germanisirung, daß<lb/>
von ihnen viele auch nach dem deutschen Westen gehen, um an öffentlichen<lb/>
Bauten Beschäftigung zu suchen. So haben wir polnische Arbeiter aus dem<lb/>
Posenschen bei einem Eisenbahnbau jenseits der Elbe angetroffen, während<lb/>
die Erdarbeiten an den Eisenbahnen in Posen meistentheils von Schlesiern<lb/>
und Neumärkern ausgeführt werden. Es findet also theilweise ein Austausch<lb/>
der Arbeitskräfte zwischen den Provinzen statt. Wenn jene Polen nach ihrer<lb/>
Heimathsprovinz zurückkehren, dann kann es nicht fehlen, daß sie ein gutes<lb/>
Theil Deutsch mit dahin nehmen, jedenfalls hört die nationale Abgeschlossen¬<lb/>
heit und somit die Feindseligkeit gegen das Deutschthum auf und wird ein<lb/>
wesentliches Hinderniß der Germanisirung weggeräumt. Wir glauben, daß<lb/>
^e preußische Regierung durch Aufhebung des Paßzwanges, noch mehr durch<lb/>
^e volle Freizügigkeit für die Germanisirung der polnischen Provinzen eine<lb/>
neue Aera eröffnet hat; nur kann sich diese Wirkung noch nicht bei der<lb/>
jüngsten Zählung bemerklich gemacht haben und wir können also nicht wissen,<lb/>
°b dieselbe für die Sprachverhältnisse ein besonders günstiges Ergebniß<lb/>
uefern wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1193" next="#ID_1194"> Einen Anhalt zur Berechnung gibt die Bekanntmachung des Erzbischofs</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 56*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] oder zu überwiegen. Der Uebergang von der polnischen zur deutschen Sprache findet besonders in dem zweiten oder dritten Geschlecht bei der städtischen Bevölkerung statt; aber auch hier ist der Zu- beziehentlich Abgang nicht sehr stark. Entscheidend ist die Aus- und Einwanderung. Deutsche Arbeiter wan- dern zwar alljährlich zu Tausenden nach Posen ein und finden theils bei den öffentlichen Bauten, theils bei Privatmeliorationen oder auch bei städtischen Arbeiten, endlich in Fabriken Beschäftigung und es bleiben ihrer auch sehr viele in der Provinz. Aber andererseits ist die Auswanderung deutscher Arbeiter, namentlich aus dem Netzdistrict nach Amerika so umfangreich, daß dadurch der Zufluß des deutschen Elements sehr leicht mehr als aufgewogen werden könnte. Auch die Juden der Provinz vermehren sich wenig, indem sie in großer Anzahl zum Theil nach Berlin und nach den westlichen Provinzen Preußens, zum Theil nach dem Ausland, besonders auch nach Amerika gehen. Was nun die große Masse der Polen anbetrifft, so war bis vor wenigen Jahren unter ihnen fast gar keine Wanderbewegung und unter die angesessenen Bauern ist auch heute noch keine gekommen, während die Kassuben in West¬ preußen seit einigen Jahren in großer Anzahl ihre Grundstücke verkaufen und Aaas Wiskonsin ziehen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter polnischen Stam¬ mes haben dagegen seit der Zeit, daß die russische Regierung in Polen mit einem Schlage alle Dienst- und Arbeitsleute der dortigen Gutsbesitzer in kleine Grundbesitzer verwandelt hat, einen starken Zug dorthin bekommen; jedoch kehren sie entweder zum Winter oder doch nach ein paar Jahren ge¬ wöhnlich in die Heimath zurück. Wichtiger ist für die Germanisirung, daß von ihnen viele auch nach dem deutschen Westen gehen, um an öffentlichen Bauten Beschäftigung zu suchen. So haben wir polnische Arbeiter aus dem Posenschen bei einem Eisenbahnbau jenseits der Elbe angetroffen, während die Erdarbeiten an den Eisenbahnen in Posen meistentheils von Schlesiern und Neumärkern ausgeführt werden. Es findet also theilweise ein Austausch der Arbeitskräfte zwischen den Provinzen statt. Wenn jene Polen nach ihrer Heimathsprovinz zurückkehren, dann kann es nicht fehlen, daß sie ein gutes Theil Deutsch mit dahin nehmen, jedenfalls hört die nationale Abgeschlossen¬ heit und somit die Feindseligkeit gegen das Deutschthum auf und wird ein wesentliches Hinderniß der Germanisirung weggeräumt. Wir glauben, daß ^e preußische Regierung durch Aufhebung des Paßzwanges, noch mehr durch ^e volle Freizügigkeit für die Germanisirung der polnischen Provinzen eine neue Aera eröffnet hat; nur kann sich diese Wirkung noch nicht bei der jüngsten Zählung bemerklich gemacht haben und wir können also nicht wissen, °b dieselbe für die Sprachverhältnisse ein besonders günstiges Ergebniß uefern wird. Einen Anhalt zur Berechnung gibt die Bekanntmachung des Erzbischofs 56*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/465>, abgerufen am 04.07.2024.