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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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es ist immer nützlich, gegen falsche Grundsätze, in Zeiten Protest einzulegen.
Wenn es auch mit ihrer Verwirklichung noch so gute Weile hat. Das gibt
uns Gelegenheit, wieder einmal an den Thatbestand der Germanisirung
Westpreußens und Posens zu erinnern.

Schon an sich ist der Grundsatz, den Willen einer Volksmasse durch Ab¬
stimmung nach der Kopfzahl zu ermitteln, verkehrt genug. So wie Einsicht
und darauf fußender Wille nicht im einzelnen Menschen durch den ganzen
Körper gleichmäßig oder auch nur ungleichmäßig vertheilt sind vom großen
Zeh bis in die Spitzen des Haupthaars, so auch ähnlich in den Völkern. Die
große Masse erkennt und versteht nur das Allernächstliegende, nur durch
dieses läßt sie sich bei ihren Alltagsverrichtungen in ihrem Willen bestimmen.
Treren außerordentliche Aufgaben an ihre Erkenntniß und ihre Willensent¬
scheidung heran, Aufgaben, deren Sinn ihr unergründlich ist, so verläßt sie
sich auf altgewohnte Führer und folgt ihnen blind. Wer diese Führer für
letzt und noch für lange Zeit sind, das ist selbst dem verbissensten Demo¬
kraten und Kosmopoliten bekannt -- es sind die Priester. Will der alte
Pfaffenfeind Kinkel ihnen das Schicksal der preußisch-polnischen Grenzgebiete
überlassen? Ueberdies sollte gerade er den Geschmack an dieser Ermittelungs-
art des Volkswillens längst verloren haben, seitdem die Welschen daraus
eine Maschinerie gemacht haben, welche, an jeder beliebigen Stelle der Erde
^gesetzt, überall das gleiche, verlangte Ergebniß liefern wird.
Die Polen freilich haben gegen dieses Princip nichts einzuwenden; denn
'Schaden kann es ihnen nicht bringen. Es kommt ihnen überhaupt auf Prin¬
cipien, für welche andere Völker ihre ganze Kraft einsetzen, nicht sonderlich
In Berlin sind sie Demokraten, ^in England aristokratische Monarchisten,
M der Schweiz und in Amerika Republikaner, in Paris Socialisten oder
duch Imperialisten, in Dresden und Stuttgart Brüder der Deutschen, in
Nutzen Panslavisten, in Konstantinopel halbe oder ganze Moslemin und
türkische Kosaken, in Wien Ultramontane, in Florenz Priesterfeinde und
Garibaldianer, in Rom päpstliche Znaven und Pantoffettüsser, in Posen
Aristokraten, Neider und Feinde der Deutschen. Nur in einem Punkte sind
alle Polen und überall einig: daß wieder ein selbständiges, nationales Polen
hergestellt werden müsse, von dem auch Posen und Westpreußen einen Be¬
standtheil bilden soll. Ob das Letztere dann durch Abstimmung der Grenz-
Bewohner oder durch diplomatische Abmachungen erreicht wird, das ist ihnen
Nebensache. Des Erfolges der Abstimmung in den allermeisten Kreisen wenig¬
stens der Provinz Posen können sie sicher sein: das erhellt aus den Ab¬
stimmungen bei den Landtags- und Reichstagswahlen. Bei ihnen folgen
^ern Commando der polnischen Priester nicht blos die polnischen, sondern
s°gar die deutschen katholischen Bauern. Ja es ist sogar bei einer Landtags-


es ist immer nützlich, gegen falsche Grundsätze, in Zeiten Protest einzulegen.
Wenn es auch mit ihrer Verwirklichung noch so gute Weile hat. Das gibt
uns Gelegenheit, wieder einmal an den Thatbestand der Germanisirung
Westpreußens und Posens zu erinnern.

Schon an sich ist der Grundsatz, den Willen einer Volksmasse durch Ab¬
stimmung nach der Kopfzahl zu ermitteln, verkehrt genug. So wie Einsicht
und darauf fußender Wille nicht im einzelnen Menschen durch den ganzen
Körper gleichmäßig oder auch nur ungleichmäßig vertheilt sind vom großen
Zeh bis in die Spitzen des Haupthaars, so auch ähnlich in den Völkern. Die
große Masse erkennt und versteht nur das Allernächstliegende, nur durch
dieses läßt sie sich bei ihren Alltagsverrichtungen in ihrem Willen bestimmen.
Treren außerordentliche Aufgaben an ihre Erkenntniß und ihre Willensent¬
scheidung heran, Aufgaben, deren Sinn ihr unergründlich ist, so verläßt sie
sich auf altgewohnte Führer und folgt ihnen blind. Wer diese Führer für
letzt und noch für lange Zeit sind, das ist selbst dem verbissensten Demo¬
kraten und Kosmopoliten bekannt — es sind die Priester. Will der alte
Pfaffenfeind Kinkel ihnen das Schicksal der preußisch-polnischen Grenzgebiete
überlassen? Ueberdies sollte gerade er den Geschmack an dieser Ermittelungs-
art des Volkswillens längst verloren haben, seitdem die Welschen daraus
eine Maschinerie gemacht haben, welche, an jeder beliebigen Stelle der Erde
^gesetzt, überall das gleiche, verlangte Ergebniß liefern wird.
Die Polen freilich haben gegen dieses Princip nichts einzuwenden; denn
'Schaden kann es ihnen nicht bringen. Es kommt ihnen überhaupt auf Prin¬
cipien, für welche andere Völker ihre ganze Kraft einsetzen, nicht sonderlich
In Berlin sind sie Demokraten, ^in England aristokratische Monarchisten,
M der Schweiz und in Amerika Republikaner, in Paris Socialisten oder
duch Imperialisten, in Dresden und Stuttgart Brüder der Deutschen, in
Nutzen Panslavisten, in Konstantinopel halbe oder ganze Moslemin und
türkische Kosaken, in Wien Ultramontane, in Florenz Priesterfeinde und
Garibaldianer, in Rom päpstliche Znaven und Pantoffettüsser, in Posen
Aristokraten, Neider und Feinde der Deutschen. Nur in einem Punkte sind
alle Polen und überall einig: daß wieder ein selbständiges, nationales Polen
hergestellt werden müsse, von dem auch Posen und Westpreußen einen Be¬
standtheil bilden soll. Ob das Letztere dann durch Abstimmung der Grenz-
Bewohner oder durch diplomatische Abmachungen erreicht wird, das ist ihnen
Nebensache. Des Erfolges der Abstimmung in den allermeisten Kreisen wenig¬
stens der Provinz Posen können sie sicher sein: das erhellt aus den Ab¬
stimmungen bei den Landtags- und Reichstagswahlen. Bei ihnen folgen
^ern Commando der polnischen Priester nicht blos die polnischen, sondern
s°gar die deutschen katholischen Bauern. Ja es ist sogar bei einer Landtags-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/461>, abgerufen am 02.10.2024.