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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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östreichischen Provinzen verlegt werden sollte. Allein statt des¬
sen hielt Oestreich 180,000 Mann in Venetien und Tirol concentrirt, es
hatte hierher seine besten Generale und seine besten Regimenter gesandt, in
der Absicht, zuvor die italienische Armee zu vernichten und so gegen jede
Gefahr einer Diversion von dieser Seite gesichert sich mit seiner ganzen Macht
auf Preußen zu werfen." -- Aus dieser Aeußerung des Ministers muß man
schließen, daß in einer früheren Periode der andere von den Generalen
Cialdini, Fanti, Durando empfohlene Plan jedenfalls ernstlich in Frage
stand und von Lamarmora selbst in Aussicht genommen wurde. In seiner
neuesten Broschüre (Seluarimenti e RettiKeluz, ?iren5ö 1868) versichert freilich
Lamarmora, er habe gegenüber dem Plan der anderen Generale stets die
Meinung gehabt, der zufolge er dann handelte; er sagt nämlich: "Von den beiden
so viel bestrittenen Projekten, das Festungsviereck vom Po oder vom Mincio
anzugreifen, wählte ich den Hauptangriff vom Mincio her. Diese Meinung
hatte ich schon zuvor, und nachdem ich an Ort und Stelle besser studirt
hatte, welchen ungeheuren Schwierigkeiten und Gefahren wir begegnet wären,
wenn die Oestreicher uns das Gebiet vom Po bis Padua streitig gemacht
hätten, mit all den Flüssen und Kanälen, welche es durchschneiden. Rovigo
in der Front, Verona und Legnago auf der einen Seite. Venedig auf-der
andern, so danke ich der Vorsehung, daß diese Unternehmung nicht ausge¬
führt worden ist bevor der Feind die Polesina geräumt und die Befestigungen
von Rovigo in die Luft gesprengt hatte."'

Indessen, militärische Gründe reichen in jedem Falle nicht aus, um die
von der Oberleitung des Heeres getroffenen Entschlüsse zu erklären. Die po¬
litischen Erwägungen mußten nothwendig ihren Einfluß auf die Art der
Kriegführung äußern. Aus der Darstellung Jacini's geht ganz unwiderleg-
lich hervor, daß man eine nachdrückliche kriegerische Action für mehr oder
Weniger überflüssig, ja vielleicht sogar für widerstreitend mit den Interessen
Italiens hielt. Schon aus Anlaß der letzten directen Schritte bei Oestreich
!var ja constatirt worden, daß es sich für Oestreich nur um eine Frage der
militärischen Ehre handle, und daß in Folge davon der Kampf mehr den
Charakter eines militärischen Duells als eines ernsthaften Krieges haben
Werde. Der Versuch, den Oestreich am L. Mai machte, Italien durch frei¬
willige Abtretung Venetiens von der preußischen Allianz abzuziehen, würde
Zwar zurückgewiesen, allein die italienischen Staatsmänner glaubten daraus
^n sicheren Schluß ziehen zu dürfen, daß das Ziel, das man anstrebte, in
der Sache/bereits erreicht sei, und daß die Politik bereits fertig gebracht
habe, was die Waffen nur noch ratificiren sollten. Und vollends
verständlich ist folgende Aeußerung Jacini's: "Gewiß, wenn Italien sofortige
wilitärische Erfolge hätte erreichen und eine imponirende Haltung einnehmen


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östreichischen Provinzen verlegt werden sollte. Allein statt des¬
sen hielt Oestreich 180,000 Mann in Venetien und Tirol concentrirt, es
hatte hierher seine besten Generale und seine besten Regimenter gesandt, in
der Absicht, zuvor die italienische Armee zu vernichten und so gegen jede
Gefahr einer Diversion von dieser Seite gesichert sich mit seiner ganzen Macht
auf Preußen zu werfen." — Aus dieser Aeußerung des Ministers muß man
schließen, daß in einer früheren Periode der andere von den Generalen
Cialdini, Fanti, Durando empfohlene Plan jedenfalls ernstlich in Frage
stand und von Lamarmora selbst in Aussicht genommen wurde. In seiner
neuesten Broschüre (Seluarimenti e RettiKeluz, ?iren5ö 1868) versichert freilich
Lamarmora, er habe gegenüber dem Plan der anderen Generale stets die
Meinung gehabt, der zufolge er dann handelte; er sagt nämlich: „Von den beiden
so viel bestrittenen Projekten, das Festungsviereck vom Po oder vom Mincio
anzugreifen, wählte ich den Hauptangriff vom Mincio her. Diese Meinung
hatte ich schon zuvor, und nachdem ich an Ort und Stelle besser studirt
hatte, welchen ungeheuren Schwierigkeiten und Gefahren wir begegnet wären,
wenn die Oestreicher uns das Gebiet vom Po bis Padua streitig gemacht
hätten, mit all den Flüssen und Kanälen, welche es durchschneiden. Rovigo
in der Front, Verona und Legnago auf der einen Seite. Venedig auf-der
andern, so danke ich der Vorsehung, daß diese Unternehmung nicht ausge¬
führt worden ist bevor der Feind die Polesina geräumt und die Befestigungen
von Rovigo in die Luft gesprengt hatte."'

Indessen, militärische Gründe reichen in jedem Falle nicht aus, um die
von der Oberleitung des Heeres getroffenen Entschlüsse zu erklären. Die po¬
litischen Erwägungen mußten nothwendig ihren Einfluß auf die Art der
Kriegführung äußern. Aus der Darstellung Jacini's geht ganz unwiderleg-
lich hervor, daß man eine nachdrückliche kriegerische Action für mehr oder
Weniger überflüssig, ja vielleicht sogar für widerstreitend mit den Interessen
Italiens hielt. Schon aus Anlaß der letzten directen Schritte bei Oestreich
!var ja constatirt worden, daß es sich für Oestreich nur um eine Frage der
militärischen Ehre handle, und daß in Folge davon der Kampf mehr den
Charakter eines militärischen Duells als eines ernsthaften Krieges haben
Werde. Der Versuch, den Oestreich am L. Mai machte, Italien durch frei¬
willige Abtretung Venetiens von der preußischen Allianz abzuziehen, würde
Zwar zurückgewiesen, allein die italienischen Staatsmänner glaubten daraus
^n sicheren Schluß ziehen zu dürfen, daß das Ziel, das man anstrebte, in
der Sache/bereits erreicht sei, und daß die Politik bereits fertig gebracht
habe, was die Waffen nur noch ratificiren sollten. Und vollends
verständlich ist folgende Aeußerung Jacini's: „Gewiß, wenn Italien sofortige
wilitärische Erfolge hätte erreichen und eine imponirende Haltung einnehmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/457>, abgerufen am 04.07.2024.