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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Ein letzter kritischer Moment für die Allianz trat ein, als nach der
Schlacht von Königgrätz der Kaiser Napoleon sich wirklich ins Mittel legte,
Italien das ihm vom Kaiser von Oestreich geschenkte Venetien anbot und in
Folge dessen Einstellung der Feindseligkeiten vorschlug. Allein der Vertrag
lautete zu bestimmt, als daß Italien einen Augenblick über seine Antwort
hätte im Zweifel sein können. Die Einstellung der Feindseligkeiten konnte
nur im Einverständnis; mit dem Verbündeten geschehen. Lamarmora, welcher
der einzige Minister im Felde war, übernahm die Verantwortlichkeit für die
bekannte Depesche, mit welcher Victor Emmanuel dem Kaiser in diesem Sinne
antwortete, und nach seinem Hauptquartier zu Torre Malimberti zurückge¬
kehrt, telegraphirte Lamarmora an Nigra in Paris:

"5. Juli 10 ^/z Uhr Morgens. Der Kaiser hat dem König telegraphirt,
daß Oestreich ihm Venetien abtrete und daß er sich leicht mit uns arrangiren
werde. Die Sache ist um so ernster als sie im Moniteur veröffentlicht ist.
Ich begreife, daß der Kaiser versucht, Preußen aufzuhalten, aber es ist im
höchsten Grade schmerzlich, daß er es zum Nachtheil der Ehre Italiens thut.
Venetien als Geschenk Frankreichs annehmen ist für uns demüthigend und
alle Welt wird glauben, daß wir Preußen verrathen haben. Man wird
nicht mehr in Italien regieren können, die Armee wird ihr Prestige verlie¬
ren. Bemühen Sie sich, uns die harte Alternative zu ersparen. . . ."

Lamarmora hat dieses Telegramm kürzlich selbst veröffentlicht, unter
Ackerstücken, welche ihn vom Verdacht der Unterwürfigkeit unter den Willen
Napoleons reinigen sollen. Das Bezeichnende ist aber doch dies, daß La¬
marmora durch die französische Mediation in einen so schweren Conflict sich
versetzt sah, und daß für ihn die Möglichkeit, dem Kaiser zu mißfallen und
die Gewißheit dem Verbündeten das Wort zu brechen überhaupt eine "harte
Alternative" war, aus der ihn der Kaiser selbst befreien sollte.

Der Gang der Kriegführung selbst steht außerhalb des Zwecks, den sich
die Schrift Jacini's vorgesetzt. Sie ist wie gesagt älter als die Controverse,
die sich an die Jnterpellation Lamarmora's im Parlamente anschloß. Auch
über den italienischen Kriegsplan erfahren wir deßhalb nichts Näheres. Doch
ist folgende Bemerkung von Interesse : "Man konnte erwarten, daß Oestreich
nicht eben mit großer Hartnäckigkeit ein Gebiet vertheidigen würde, dessen
Abtretung es bereits zuließ, und daß es einige Armeecorps in Venetien
lassend seine ganze übrige Macht nach Böhmen werfen würde. Deßwegen
war der General Lamarmora der Meinung, um den eingegangenen Verpflich¬
tungen mit Preußen getreu zu bleiben, was für ihn unter allen Umständen
eine Frage der Ehre als Edelmann, als Soldat und als Minister war, daß
nach kurzem Ausenthalt vor den Festungen, zum Zweck ihrer Einschließung,
das Kriegstheater in wenigen Wochen nach dem Kern der


Ein letzter kritischer Moment für die Allianz trat ein, als nach der
Schlacht von Königgrätz der Kaiser Napoleon sich wirklich ins Mittel legte,
Italien das ihm vom Kaiser von Oestreich geschenkte Venetien anbot und in
Folge dessen Einstellung der Feindseligkeiten vorschlug. Allein der Vertrag
lautete zu bestimmt, als daß Italien einen Augenblick über seine Antwort
hätte im Zweifel sein können. Die Einstellung der Feindseligkeiten konnte
nur im Einverständnis; mit dem Verbündeten geschehen. Lamarmora, welcher
der einzige Minister im Felde war, übernahm die Verantwortlichkeit für die
bekannte Depesche, mit welcher Victor Emmanuel dem Kaiser in diesem Sinne
antwortete, und nach seinem Hauptquartier zu Torre Malimberti zurückge¬
kehrt, telegraphirte Lamarmora an Nigra in Paris:

„5. Juli 10 ^/z Uhr Morgens. Der Kaiser hat dem König telegraphirt,
daß Oestreich ihm Venetien abtrete und daß er sich leicht mit uns arrangiren
werde. Die Sache ist um so ernster als sie im Moniteur veröffentlicht ist.
Ich begreife, daß der Kaiser versucht, Preußen aufzuhalten, aber es ist im
höchsten Grade schmerzlich, daß er es zum Nachtheil der Ehre Italiens thut.
Venetien als Geschenk Frankreichs annehmen ist für uns demüthigend und
alle Welt wird glauben, daß wir Preußen verrathen haben. Man wird
nicht mehr in Italien regieren können, die Armee wird ihr Prestige verlie¬
ren. Bemühen Sie sich, uns die harte Alternative zu ersparen. . . ."

Lamarmora hat dieses Telegramm kürzlich selbst veröffentlicht, unter
Ackerstücken, welche ihn vom Verdacht der Unterwürfigkeit unter den Willen
Napoleons reinigen sollen. Das Bezeichnende ist aber doch dies, daß La¬
marmora durch die französische Mediation in einen so schweren Conflict sich
versetzt sah, und daß für ihn die Möglichkeit, dem Kaiser zu mißfallen und
die Gewißheit dem Verbündeten das Wort zu brechen überhaupt eine „harte
Alternative" war, aus der ihn der Kaiser selbst befreien sollte.

Der Gang der Kriegführung selbst steht außerhalb des Zwecks, den sich
die Schrift Jacini's vorgesetzt. Sie ist wie gesagt älter als die Controverse,
die sich an die Jnterpellation Lamarmora's im Parlamente anschloß. Auch
über den italienischen Kriegsplan erfahren wir deßhalb nichts Näheres. Doch
ist folgende Bemerkung von Interesse : „Man konnte erwarten, daß Oestreich
nicht eben mit großer Hartnäckigkeit ein Gebiet vertheidigen würde, dessen
Abtretung es bereits zuließ, und daß es einige Armeecorps in Venetien
lassend seine ganze übrige Macht nach Böhmen werfen würde. Deßwegen
war der General Lamarmora der Meinung, um den eingegangenen Verpflich¬
tungen mit Preußen getreu zu bleiben, was für ihn unter allen Umständen
eine Frage der Ehre als Edelmann, als Soldat und als Minister war, daß
nach kurzem Ausenthalt vor den Festungen, zum Zweck ihrer Einschließung,
das Kriegstheater in wenigen Wochen nach dem Kern der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/456>, abgerufen am 04.07.2024.