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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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daß es in andern Zeiten wohl nicht an Staatsmännern gefehlt haben würde,
die in solcher Lage mit beiden Händen zugegriffen hätten, und er fügt sogar
hinzu, was zweifelhafter ist, daß Italien dies hätte thun können ohne formell
den abgeschlossenen Allianzvertrag zu verletzen. Dennoch wies Italien die
Versuchung zurück, im Bewußtsein, daß der Geist des Vertrages damit aller¬
dings verletzt wäre. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai wurde in einem
Saale des Palazzo vecchio zu Florenz der entscheidende Beschluß gefaßt, der,
wie Jacini feierlich ausruft, mit goldenen Lettern in den Annalen der
Preußischen Monarchie eingezeichnet zu werden verdient. Wir begreifen den be¬
friedigten Stolz, mit welchem die italienische Darstellung bei diesem Glanz¬
punkt in der Geschichte der preußisch-italienischen Allianz verweilt. Uebrigens
deutet Jacini selbst an, daß auch politische Gründe zu dieser Entscheidung
Mitwirkten: es war ein Act der Loyalität, aber zugleich ein Act politischer
Berechnung. Wäre das Anerbieten angenommen worden, so hätten sich alle
im Venetianischen angesammelten Streitkräfte Oestreichs nordwärts gewandt
um sich mit dem gegen Preußen aufgestellten Heer zu vereinigen. Wäre es
nun Oestreich gelungen, Preußen niederzuschlagen, so mußte dies, wie die
italienischen Staatsmänner sich nicht verhehlten, die Interessen Italiens für
die Zukunft aufs äußerste gefährden. Die italienische Nationalität ist ungleich
gesicherter neben einem unter Preußen geeinigten Deutschland, als neben
einem Oestreich, das nach der Zertrümmerung Preußens wieder seine Herr¬
schaft in Deutschland aufgerichtet, das heil, römische Reich wiederhergestellt
und früher oder später auch seine alte Politik in Italien wieder aufgenom¬
men hätte.

Noch einmal tauchte ein Hinderniß auf. Deutschland und Italien
standen in Waffen, als am 27. Mai von Seiten Frankreichs, Englands
Und Rußlands der gemeinsamer diplomatischer Schritt zur Berufung eines
Kongresses erfolgte. Preußen beeilte sich anzunehmen. Lamarmora nahm
durch die Note vom 1. Juni gleichfalls an, weigerte sich jedoch zu entwaffnen
und sprach die Voraussetzung aus, daß der Congreß bezüglich der venetiani¬
schen Frage zu der einzigen Lösung führen werde, welche jetzt das Bewußt¬
en von ganz Europa für sich habe. Von gleichem Datum war die Ant¬
wort Oestreichs, das bekanntlich in brüsker Weise diesen letzten Rettungs¬
anker von sich stieß, indem es unerfüllbare Bedingungen an seine Zustimmung
knüpfte und gleichzeitig die Erklärungen am Bundestage abgab, welche un¬
mittelbar zum Bruch führen mußten. Sobald die Feindseligkeiten in Deutsch¬
land begonnen hatten und Italien davon benachrichtigt war, begab sich
^Marmor", nachdem er die Zügel der Regierung dem Baron Ricasoli
übergeben, ins Feld -- "er selbst ungleich weniger vertrauensvoll als wir
Alle" -- und überschickte am 19. Juni die Kriegserklärung an Oestreich.


Grenzboten III. 1868. 54

daß es in andern Zeiten wohl nicht an Staatsmännern gefehlt haben würde,
die in solcher Lage mit beiden Händen zugegriffen hätten, und er fügt sogar
hinzu, was zweifelhafter ist, daß Italien dies hätte thun können ohne formell
den abgeschlossenen Allianzvertrag zu verletzen. Dennoch wies Italien die
Versuchung zurück, im Bewußtsein, daß der Geist des Vertrages damit aller¬
dings verletzt wäre. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai wurde in einem
Saale des Palazzo vecchio zu Florenz der entscheidende Beschluß gefaßt, der,
wie Jacini feierlich ausruft, mit goldenen Lettern in den Annalen der
Preußischen Monarchie eingezeichnet zu werden verdient. Wir begreifen den be¬
friedigten Stolz, mit welchem die italienische Darstellung bei diesem Glanz¬
punkt in der Geschichte der preußisch-italienischen Allianz verweilt. Uebrigens
deutet Jacini selbst an, daß auch politische Gründe zu dieser Entscheidung
Mitwirkten: es war ein Act der Loyalität, aber zugleich ein Act politischer
Berechnung. Wäre das Anerbieten angenommen worden, so hätten sich alle
im Venetianischen angesammelten Streitkräfte Oestreichs nordwärts gewandt
um sich mit dem gegen Preußen aufgestellten Heer zu vereinigen. Wäre es
nun Oestreich gelungen, Preußen niederzuschlagen, so mußte dies, wie die
italienischen Staatsmänner sich nicht verhehlten, die Interessen Italiens für
die Zukunft aufs äußerste gefährden. Die italienische Nationalität ist ungleich
gesicherter neben einem unter Preußen geeinigten Deutschland, als neben
einem Oestreich, das nach der Zertrümmerung Preußens wieder seine Herr¬
schaft in Deutschland aufgerichtet, das heil, römische Reich wiederhergestellt
und früher oder später auch seine alte Politik in Italien wieder aufgenom¬
men hätte.

Noch einmal tauchte ein Hinderniß auf. Deutschland und Italien
standen in Waffen, als am 27. Mai von Seiten Frankreichs, Englands
Und Rußlands der gemeinsamer diplomatischer Schritt zur Berufung eines
Kongresses erfolgte. Preußen beeilte sich anzunehmen. Lamarmora nahm
durch die Note vom 1. Juni gleichfalls an, weigerte sich jedoch zu entwaffnen
und sprach die Voraussetzung aus, daß der Congreß bezüglich der venetiani¬
schen Frage zu der einzigen Lösung führen werde, welche jetzt das Bewußt¬
en von ganz Europa für sich habe. Von gleichem Datum war die Ant¬
wort Oestreichs, das bekanntlich in brüsker Weise diesen letzten Rettungs¬
anker von sich stieß, indem es unerfüllbare Bedingungen an seine Zustimmung
knüpfte und gleichzeitig die Erklärungen am Bundestage abgab, welche un¬
mittelbar zum Bruch führen mußten. Sobald die Feindseligkeiten in Deutsch¬
land begonnen hatten und Italien davon benachrichtigt war, begab sich
^Marmor«, nachdem er die Zügel der Regierung dem Baron Ricasoli
übergeben, ins Feld — „er selbst ungleich weniger vertrauensvoll als wir
Alle" — und überschickte am 19. Juni die Kriegserklärung an Oestreich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/455>, abgerufen am 04.07.2024.