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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Methode war volkstümlicher, seine Anschauungen waren großartiger, die
kleinliche Taktik systematischer Chicanen gegen ein chieanöses Cabinet würden
seinen freien, beweglichen und die freie Bewegung liebenden Geist bald ab¬
gestoßen haben. --

Es ist unmöglich, alle die kleinen Pamphlets und politischen Correspon-
denzen, die in jener Zeit aus seiner Feder flössen, hier aufzuzählen. Am
kühnsten tritt er im Jahre 1821 hervor, und seine kühnste Schrift ist auch
seine bedeutendste. -- Der Herzog von Berry war von Mörderhand gefallen,
aber ein postumer Erbe war der Dynastie geboren worden. Die Ultra-
Royalisten triumphirten über diese sichtbare Gnade des Himmels, und nach¬
dem sie das Verbrechen in bekannter Weise zu reaktionären Gesetzen und
Maßregeln ausgebeutet, machten sie in Ergebenheit um jeden Preis. Der
Säugling, auf dem ihre Hoffnungen ruhten, sollte -- schon um der jüngeren
Linie (den Orleans) ein Paroli zu biegen -- auf Nationalunkosten dotirt
werden, und vom Ministerium des Innern wurden Subscriptionsbögen in
alle Gemeinden Frankreichs versandt, um Unterschriften zu sammeln für den
Ankauf des Schlosses Chambord, von welchem der letzte Sprößling der älte¬
ren Linie noch heute in der Verbannung den Namen trägt. Dagegen erhob
sich nun der "Limple äiseours as ?an1-I^0uis, viZueron as Is. Lliavon-
viere, aux mowbres an Oonsvil as Is, Lommuuö as Vvrktö" ete. Er fängt
damit an zu fragen: wenn die Gemeinde Geld hätte wie Heu, ihre Schulden
bezahlt, ihre Wege ausgebessert, die baufällige Kirche hergestellt, für die
Armen gesorgt wäre, was könnte sie nicht alles für nützliche Verwendungen
ihrer etwaigen Ueberschüsse finden! Aber Schloß Chambord mit seinem
Park von 12,000 Morgen Landes zu kaufen, das nütze weder der Gemeinde
noch dem Lande, noch dem Herzog von Bordeaux selbst, der nicht das Land
zu bebauen, sondern das Regieren erlernen solle. Und was lehren ihn die
Traditionen von Chambord? Die Unsittlichkeit des alten Hoflebens aus der
Zeit der letzten Valois und der beiden langlebigen Ludwige (XIV u. XV).
Man kann sich denken, wie Courier dieses Thema variirt und dazu die Ser-
vilität der modernen Höflinge schildert. Was ein Thronerbe lernen und
was er nicht lernen soll, das behandelt er bald scherzweise, bald pathetisch;
dem unfruchtbaren Müssiggange der Umgebung der Könige stellt er die Sitt¬
lichkeit und die nützliche Thätigkeit der niederen Stände entgegen.

Für diese Arbeit wurde ihm der Proceß gemacht; kein Polizeiminister
nahm sich mehr seiner an. die Reaction war im Steigen. Freilich war es
schwer, die Anklage gegen eine durchaus sittliche und bei aller Schelmerei
sogar vorsichtig gehaltene Schrift zu formuliren. doch fand die ingeniöse
Staatsanwaltschaft schließlich eine "Beleidigung der öffentlichen Moral"
darin und erwirkte eine Verurtheilung zu zweimonatlichen Gefängniß, trotz-


Methode war volkstümlicher, seine Anschauungen waren großartiger, die
kleinliche Taktik systematischer Chicanen gegen ein chieanöses Cabinet würden
seinen freien, beweglichen und die freie Bewegung liebenden Geist bald ab¬
gestoßen haben. —

Es ist unmöglich, alle die kleinen Pamphlets und politischen Correspon-
denzen, die in jener Zeit aus seiner Feder flössen, hier aufzuzählen. Am
kühnsten tritt er im Jahre 1821 hervor, und seine kühnste Schrift ist auch
seine bedeutendste. — Der Herzog von Berry war von Mörderhand gefallen,
aber ein postumer Erbe war der Dynastie geboren worden. Die Ultra-
Royalisten triumphirten über diese sichtbare Gnade des Himmels, und nach¬
dem sie das Verbrechen in bekannter Weise zu reaktionären Gesetzen und
Maßregeln ausgebeutet, machten sie in Ergebenheit um jeden Preis. Der
Säugling, auf dem ihre Hoffnungen ruhten, sollte — schon um der jüngeren
Linie (den Orleans) ein Paroli zu biegen — auf Nationalunkosten dotirt
werden, und vom Ministerium des Innern wurden Subscriptionsbögen in
alle Gemeinden Frankreichs versandt, um Unterschriften zu sammeln für den
Ankauf des Schlosses Chambord, von welchem der letzte Sprößling der älte¬
ren Linie noch heute in der Verbannung den Namen trägt. Dagegen erhob
sich nun der „Limple äiseours as ?an1-I^0uis, viZueron as Is. Lliavon-
viere, aux mowbres an Oonsvil as Is, Lommuuö as Vvrktö" ete. Er fängt
damit an zu fragen: wenn die Gemeinde Geld hätte wie Heu, ihre Schulden
bezahlt, ihre Wege ausgebessert, die baufällige Kirche hergestellt, für die
Armen gesorgt wäre, was könnte sie nicht alles für nützliche Verwendungen
ihrer etwaigen Ueberschüsse finden! Aber Schloß Chambord mit seinem
Park von 12,000 Morgen Landes zu kaufen, das nütze weder der Gemeinde
noch dem Lande, noch dem Herzog von Bordeaux selbst, der nicht das Land
zu bebauen, sondern das Regieren erlernen solle. Und was lehren ihn die
Traditionen von Chambord? Die Unsittlichkeit des alten Hoflebens aus der
Zeit der letzten Valois und der beiden langlebigen Ludwige (XIV u. XV).
Man kann sich denken, wie Courier dieses Thema variirt und dazu die Ser-
vilität der modernen Höflinge schildert. Was ein Thronerbe lernen und
was er nicht lernen soll, das behandelt er bald scherzweise, bald pathetisch;
dem unfruchtbaren Müssiggange der Umgebung der Könige stellt er die Sitt¬
lichkeit und die nützliche Thätigkeit der niederen Stände entgegen.

Für diese Arbeit wurde ihm der Proceß gemacht; kein Polizeiminister
nahm sich mehr seiner an. die Reaction war im Steigen. Freilich war es
schwer, die Anklage gegen eine durchaus sittliche und bei aller Schelmerei
sogar vorsichtig gehaltene Schrift zu formuliren. doch fand die ingeniöse
Staatsanwaltschaft schließlich eine „Beleidigung der öffentlichen Moral"
darin und erwirkte eine Verurtheilung zu zweimonatlichen Gefängniß, trotz-


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[0448] Methode war volkstümlicher, seine Anschauungen waren großartiger, die kleinliche Taktik systematischer Chicanen gegen ein chieanöses Cabinet würden seinen freien, beweglichen und die freie Bewegung liebenden Geist bald ab¬ gestoßen haben. — Es ist unmöglich, alle die kleinen Pamphlets und politischen Correspon- denzen, die in jener Zeit aus seiner Feder flössen, hier aufzuzählen. Am kühnsten tritt er im Jahre 1821 hervor, und seine kühnste Schrift ist auch seine bedeutendste. — Der Herzog von Berry war von Mörderhand gefallen, aber ein postumer Erbe war der Dynastie geboren worden. Die Ultra- Royalisten triumphirten über diese sichtbare Gnade des Himmels, und nach¬ dem sie das Verbrechen in bekannter Weise zu reaktionären Gesetzen und Maßregeln ausgebeutet, machten sie in Ergebenheit um jeden Preis. Der Säugling, auf dem ihre Hoffnungen ruhten, sollte — schon um der jüngeren Linie (den Orleans) ein Paroli zu biegen — auf Nationalunkosten dotirt werden, und vom Ministerium des Innern wurden Subscriptionsbögen in alle Gemeinden Frankreichs versandt, um Unterschriften zu sammeln für den Ankauf des Schlosses Chambord, von welchem der letzte Sprößling der älte¬ ren Linie noch heute in der Verbannung den Namen trägt. Dagegen erhob sich nun der „Limple äiseours as ?an1-I^0uis, viZueron as Is. Lliavon- viere, aux mowbres an Oonsvil as Is, Lommuuö as Vvrktö" ete. Er fängt damit an zu fragen: wenn die Gemeinde Geld hätte wie Heu, ihre Schulden bezahlt, ihre Wege ausgebessert, die baufällige Kirche hergestellt, für die Armen gesorgt wäre, was könnte sie nicht alles für nützliche Verwendungen ihrer etwaigen Ueberschüsse finden! Aber Schloß Chambord mit seinem Park von 12,000 Morgen Landes zu kaufen, das nütze weder der Gemeinde noch dem Lande, noch dem Herzog von Bordeaux selbst, der nicht das Land zu bebauen, sondern das Regieren erlernen solle. Und was lehren ihn die Traditionen von Chambord? Die Unsittlichkeit des alten Hoflebens aus der Zeit der letzten Valois und der beiden langlebigen Ludwige (XIV u. XV). Man kann sich denken, wie Courier dieses Thema variirt und dazu die Ser- vilität der modernen Höflinge schildert. Was ein Thronerbe lernen und was er nicht lernen soll, das behandelt er bald scherzweise, bald pathetisch; dem unfruchtbaren Müssiggange der Umgebung der Könige stellt er die Sitt¬ lichkeit und die nützliche Thätigkeit der niederen Stände entgegen. Für diese Arbeit wurde ihm der Proceß gemacht; kein Polizeiminister nahm sich mehr seiner an. die Reaction war im Steigen. Freilich war es schwer, die Anklage gegen eine durchaus sittliche und bei aller Schelmerei sogar vorsichtig gehaltene Schrift zu formuliren. doch fand die ingeniöse Staatsanwaltschaft schließlich eine „Beleidigung der öffentlichen Moral" darin und erwirkte eine Verurtheilung zu zweimonatlichen Gefängniß, trotz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/448>, abgerufen am 02.10.2024.