Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften." Dem naheliegenden
Einwand, daß ihm die Trauben zu sauer wären und daß er es mit der
Akademie ungefähr mache wie früher mit der militärischen Laufbahn, be¬
gegnet er selbst durch das offene Geständniß seiner Schwäche. In der
That wurde die Akademie dadurch ihre Fehler nicht los, daß Courier
ihre Ehren theilen wollte; indessen war doch die Situation der streiten¬
den Parteien hier zu unklar, um die Sympathien des Publikums unbe¬
dingt für Courier zu erwerben; darum hatte seine ausgezeichnete Arbeit
damals nicht den vollen Erfolg. Zum Glück, oder vielmehr zum Unglück paßt
sie noch heute. Wie er sich früher darüber geärgert hatte, daß Prinzen
Generäle werden, so zeigt er jetzt, wie Edelleute Akademiker werden,
obgleich nach Moliere und auch noch seit ihm in Frankreich die Sitte nicht
erlaubte, daß ein vornehmer Mann irgend etwas gelernt habe. "Napoleon,
Genie, Schutzgeist der alten und neuen Geschlechter, Wiederhersteller der
Titel, Retter der pergamentenen Stammbäume, ohne Dich verlor Frankreich
die Etiquette und das Wappen, ohne Dich -- ja, meine Herren, dieser
große Mann liebte wie Sie den Adel, nahm Edelleute, um daraus Soldaten
Zu machen, oder machte wenigstens seine Soldaten zu Edelleuten. Ohne
ihn, was wären die Grafen und Barone? Nicht einmal Akademiker!" --
Dann zählt er die großen Gelehrten auf, welche nicht in die Akademie drin¬
gen konnten, die Stümper, die sie aufgenommen, und führt aus, was daraus
werden muß, wenn die Hellenisten von einer philologischen Gesellschaft aus¬
geschlossen bleiben.

Der Hauptpunkt lag freilich darin, daß auch die akademischen Wahlen
politische Acte waren, weil eben in einem corrumpirten Gemeinwesen kein
Lebenskreis auf sich ruht, sondern alle von derselben organischen Krankheit
^griffen werden. Das organische Leiden, welches in Frankreich auch die
edelsten Theile ergreift, erkannte Courier zuerst und am besten. Darum griff
er in seinen Briefen an die Zeitschrift: "Der Censor", die er in den Jah¬
ren 1819--1820 aus Veretz (in der Touraine) datirte, die Centralisation
französischen Verwaltung so lebhaft an. Damals war es noch nicht wie
heutzutage in gewissen Schichten der Opposition Mode, in der Centralisation
überhaupt den Sitz alles Uebels zu finden; aber wenn wir auch in franzö¬
sischen Schriftstellern seit Mirabeau schon lichte Momente über diese Frage
entdecken, fast keiner legte ihr großen Werth bei: die Formen und Sitten
der Centralisation waren, besonders durch Napoleon's I. Organisationen, so
^ Fleisch und Blut eingedrungen, daß auch die angeblichen Gegner, wie
5- B. später Odilon-Barrot, noch unter ihrem Einflüsse standen und die hef¬
tigsten Widersacher wenigstens nicht objectiv zwischen den Vortheilen und
Nachtheilen der bestehenden Einrichtungen zu unterscheiden wußten. Die


Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften." Dem naheliegenden
Einwand, daß ihm die Trauben zu sauer wären und daß er es mit der
Akademie ungefähr mache wie früher mit der militärischen Laufbahn, be¬
gegnet er selbst durch das offene Geständniß seiner Schwäche. In der
That wurde die Akademie dadurch ihre Fehler nicht los, daß Courier
ihre Ehren theilen wollte; indessen war doch die Situation der streiten¬
den Parteien hier zu unklar, um die Sympathien des Publikums unbe¬
dingt für Courier zu erwerben; darum hatte seine ausgezeichnete Arbeit
damals nicht den vollen Erfolg. Zum Glück, oder vielmehr zum Unglück paßt
sie noch heute. Wie er sich früher darüber geärgert hatte, daß Prinzen
Generäle werden, so zeigt er jetzt, wie Edelleute Akademiker werden,
obgleich nach Moliere und auch noch seit ihm in Frankreich die Sitte nicht
erlaubte, daß ein vornehmer Mann irgend etwas gelernt habe. „Napoleon,
Genie, Schutzgeist der alten und neuen Geschlechter, Wiederhersteller der
Titel, Retter der pergamentenen Stammbäume, ohne Dich verlor Frankreich
die Etiquette und das Wappen, ohne Dich — ja, meine Herren, dieser
große Mann liebte wie Sie den Adel, nahm Edelleute, um daraus Soldaten
Zu machen, oder machte wenigstens seine Soldaten zu Edelleuten. Ohne
ihn, was wären die Grafen und Barone? Nicht einmal Akademiker!" —
Dann zählt er die großen Gelehrten auf, welche nicht in die Akademie drin¬
gen konnten, die Stümper, die sie aufgenommen, und führt aus, was daraus
werden muß, wenn die Hellenisten von einer philologischen Gesellschaft aus¬
geschlossen bleiben.

Der Hauptpunkt lag freilich darin, daß auch die akademischen Wahlen
politische Acte waren, weil eben in einem corrumpirten Gemeinwesen kein
Lebenskreis auf sich ruht, sondern alle von derselben organischen Krankheit
^griffen werden. Das organische Leiden, welches in Frankreich auch die
edelsten Theile ergreift, erkannte Courier zuerst und am besten. Darum griff
er in seinen Briefen an die Zeitschrift: „Der Censor", die er in den Jah¬
ren 1819—1820 aus Veretz (in der Touraine) datirte, die Centralisation
französischen Verwaltung so lebhaft an. Damals war es noch nicht wie
heutzutage in gewissen Schichten der Opposition Mode, in der Centralisation
überhaupt den Sitz alles Uebels zu finden; aber wenn wir auch in franzö¬
sischen Schriftstellern seit Mirabeau schon lichte Momente über diese Frage
entdecken, fast keiner legte ihr großen Werth bei: die Formen und Sitten
der Centralisation waren, besonders durch Napoleon's I. Organisationen, so
^ Fleisch und Blut eingedrungen, daß auch die angeblichen Gegner, wie
5- B. später Odilon-Barrot, noch unter ihrem Einflüsse standen und die hef¬
tigsten Widersacher wenigstens nicht objectiv zwischen den Vortheilen und
Nachtheilen der bestehenden Einrichtungen zu unterscheiden wußten. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287157"/>
          <p xml:id="ID_1138" prev="#ID_1137"> Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften." Dem naheliegenden<lb/>
Einwand, daß ihm die Trauben zu sauer wären und daß er es mit der<lb/>
Akademie ungefähr mache wie früher mit der militärischen Laufbahn, be¬<lb/>
gegnet er selbst durch das offene Geständniß seiner Schwäche. In der<lb/>
That wurde die Akademie dadurch ihre Fehler nicht los, daß Courier<lb/>
ihre Ehren theilen wollte; indessen war doch die Situation der streiten¬<lb/>
den Parteien hier zu unklar, um die Sympathien des Publikums unbe¬<lb/>
dingt für Courier zu erwerben; darum hatte seine ausgezeichnete Arbeit<lb/>
damals nicht den vollen Erfolg. Zum Glück, oder vielmehr zum Unglück paßt<lb/>
sie noch heute. Wie er sich früher darüber geärgert hatte, daß Prinzen<lb/>
Generäle werden, so zeigt er jetzt, wie Edelleute Akademiker werden,<lb/>
obgleich nach Moliere und auch noch seit ihm in Frankreich die Sitte nicht<lb/>
erlaubte, daß ein vornehmer Mann irgend etwas gelernt habe. &#x201E;Napoleon,<lb/>
Genie, Schutzgeist der alten und neuen Geschlechter, Wiederhersteller der<lb/>
Titel, Retter der pergamentenen Stammbäume, ohne Dich verlor Frankreich<lb/>
die Etiquette und das Wappen, ohne Dich &#x2014; ja, meine Herren, dieser<lb/>
große Mann liebte wie Sie den Adel, nahm Edelleute, um daraus Soldaten<lb/>
Zu machen, oder machte wenigstens seine Soldaten zu Edelleuten. Ohne<lb/>
ihn, was wären die Grafen und Barone? Nicht einmal Akademiker!" &#x2014;<lb/>
Dann zählt er die großen Gelehrten auf, welche nicht in die Akademie drin¬<lb/>
gen konnten, die Stümper, die sie aufgenommen, und führt aus, was daraus<lb/>
werden muß, wenn die Hellenisten von einer philologischen Gesellschaft aus¬<lb/>
geschlossen bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1139" next="#ID_1140"> Der Hauptpunkt lag freilich darin, daß auch die akademischen Wahlen<lb/>
politische Acte waren, weil eben in einem corrumpirten Gemeinwesen kein<lb/>
Lebenskreis auf sich ruht, sondern alle von derselben organischen Krankheit<lb/>
^griffen werden. Das organische Leiden, welches in Frankreich auch die<lb/>
edelsten Theile ergreift, erkannte Courier zuerst und am besten. Darum griff<lb/>
er in seinen Briefen an die Zeitschrift: &#x201E;Der Censor", die er in den Jah¬<lb/>
ren 1819&#x2014;1820 aus Veretz (in der Touraine) datirte, die Centralisation<lb/>
französischen Verwaltung so lebhaft an. Damals war es noch nicht wie<lb/>
heutzutage in gewissen Schichten der Opposition Mode, in der Centralisation<lb/>
überhaupt den Sitz alles Uebels zu finden; aber wenn wir auch in franzö¬<lb/>
sischen Schriftstellern seit Mirabeau schon lichte Momente über diese Frage<lb/>
entdecken, fast keiner legte ihr großen Werth bei: die Formen und Sitten<lb/>
der Centralisation waren, besonders durch Napoleon's I. Organisationen, so<lb/>
^ Fleisch und Blut eingedrungen, daß auch die angeblichen Gegner, wie<lb/>
5- B. später Odilon-Barrot, noch unter ihrem Einflüsse standen und die hef¬<lb/>
tigsten Widersacher wenigstens nicht objectiv zwischen den Vortheilen und<lb/>
Nachtheilen der bestehenden Einrichtungen zu unterscheiden wußten. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0445] Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften." Dem naheliegenden Einwand, daß ihm die Trauben zu sauer wären und daß er es mit der Akademie ungefähr mache wie früher mit der militärischen Laufbahn, be¬ gegnet er selbst durch das offene Geständniß seiner Schwäche. In der That wurde die Akademie dadurch ihre Fehler nicht los, daß Courier ihre Ehren theilen wollte; indessen war doch die Situation der streiten¬ den Parteien hier zu unklar, um die Sympathien des Publikums unbe¬ dingt für Courier zu erwerben; darum hatte seine ausgezeichnete Arbeit damals nicht den vollen Erfolg. Zum Glück, oder vielmehr zum Unglück paßt sie noch heute. Wie er sich früher darüber geärgert hatte, daß Prinzen Generäle werden, so zeigt er jetzt, wie Edelleute Akademiker werden, obgleich nach Moliere und auch noch seit ihm in Frankreich die Sitte nicht erlaubte, daß ein vornehmer Mann irgend etwas gelernt habe. „Napoleon, Genie, Schutzgeist der alten und neuen Geschlechter, Wiederhersteller der Titel, Retter der pergamentenen Stammbäume, ohne Dich verlor Frankreich die Etiquette und das Wappen, ohne Dich — ja, meine Herren, dieser große Mann liebte wie Sie den Adel, nahm Edelleute, um daraus Soldaten Zu machen, oder machte wenigstens seine Soldaten zu Edelleuten. Ohne ihn, was wären die Grafen und Barone? Nicht einmal Akademiker!" — Dann zählt er die großen Gelehrten auf, welche nicht in die Akademie drin¬ gen konnten, die Stümper, die sie aufgenommen, und führt aus, was daraus werden muß, wenn die Hellenisten von einer philologischen Gesellschaft aus¬ geschlossen bleiben. Der Hauptpunkt lag freilich darin, daß auch die akademischen Wahlen politische Acte waren, weil eben in einem corrumpirten Gemeinwesen kein Lebenskreis auf sich ruht, sondern alle von derselben organischen Krankheit ^griffen werden. Das organische Leiden, welches in Frankreich auch die edelsten Theile ergreift, erkannte Courier zuerst und am besten. Darum griff er in seinen Briefen an die Zeitschrift: „Der Censor", die er in den Jah¬ ren 1819—1820 aus Veretz (in der Touraine) datirte, die Centralisation französischen Verwaltung so lebhaft an. Damals war es noch nicht wie heutzutage in gewissen Schichten der Opposition Mode, in der Centralisation überhaupt den Sitz alles Uebels zu finden; aber wenn wir auch in franzö¬ sischen Schriftstellern seit Mirabeau schon lichte Momente über diese Frage entdecken, fast keiner legte ihr großen Werth bei: die Formen und Sitten der Centralisation waren, besonders durch Napoleon's I. Organisationen, so ^ Fleisch und Blut eingedrungen, daß auch die angeblichen Gegner, wie 5- B. später Odilon-Barrot, noch unter ihrem Einflüsse standen und die hef¬ tigsten Widersacher wenigstens nicht objectiv zwischen den Vortheilen und Nachtheilen der bestehenden Einrichtungen zu unterscheiden wußten. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/445
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/445>, abgerufen am 04.07.2024.