Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine der wissenschaftlich interessantesten Stellen mit Dinte beschmutzte. Daß
dies zufällig geschehen, ließe sich bis zu juristischer Gewißheit nachweisen;
denn jede perfide Absicht wäre auf anderem Wege viel leichter zu erreichen
gewesen; namentlich hätte er ja die italienischen Custoden gar nicht vorher
zuzuziehen und auf seinen Fund aufmerksam zu machen gebraucht. Aber del
Furia, dessen beleidigte Gelehrteneitelkeit längst nach Rache dürstete, erhob
einen Höllenlärm und sprach in Alfieri'schen Tiraden von seinem Schmerz
über das geschändete Palladium der italienischen Cultur. So lächerlich das
Alles war, so erregte es doch einen ernsten Sturm gegen den armen Cou¬
rier, der die erste Unvorsichtigkeit begangen hatte, gegen die Zumuthung,
seine Longus-Uebersetzung der Prinzessin Elisa Bacciochi zu widmen, eine
halb-ironische Ausrede vorzuschieben, und die zweite Unvorsichtigkeit beging,
in seiner persönlichen Vertheidigung des in Italien allgemein herrschenden
Franzosenhasses zu erwähnen. Hatte er sich die Feindschaft der italienischen
Gelehrten zugezogen, so kam nun auch die Erbitterung der französischen Be¬
hörden hinzu. Plötzlich besann man sich, daß sein Abschied nicht in Ordnung
sei, und so wurde er nicht blos als Textdicb, sondern auch als Deserteur ver¬
folgt. Seine griechische Ausgabe des Longus. die auf seine Kosten und
ohne seinen Namen in nur 52> Exemplaren für Freunde und Kenner gedruckt
war, wurde mit Beschlag belegt. Ja seine Rechtfertigungsschrift durfte nir¬
gends gedruckt werden, und als sich dafür endlich in Rom eine Winkel¬
druckerei fand, wurde der Präfect von Rom, der den Druck nicht zu hindern
gewußt, dafür mit Abseyung bestraft. Indessen vermochten einflußreiche
Freunde den Sturm zu beschwören, nur mußte Courier sich still verhalten.
Im Juli 1812 verließ er Italien und siedelte nach einigen Reisen in die Haupt¬
stadt seines Vaterlandes über. Seine classische Uebersetzung des köstlich nai¬
ven Longus'schen Schäferromans, die eine theilweise Ueberarbeitung der alten
Amyot'schen Uebersetzung desselben war, erschien in Paris 1813 und ist seit¬
dem ein in- Frankreich viel gelesenes Buch geworden.

Bis zur Restauration lebte er ungestört und ununterbrochen seinen Clas-
sikern. Kurz vor Napoleons Rückkehr von Elba verheirathete er sich mit
der Tochter seines gelehrten Freundes C>avier, die viel jünger war als er.
Wir sehen aus seinem Briefwechsel, daß der Entschluß, sein freies'Vagabun¬
denleben definitiv aufzugeben, ihm schwer siel, daß er selbst nach der Hoch'
zeit noch einige Rückfälle hatte und nur allmählich in der verständigen Frau
die theilnehmende Gefährtin seines Lebens und Strebens schätzen und wür¬
digen lernte. Er übernimmt die Verwaltung seines Landgutes, sucht sein
Vermögen zu ordnen, die untreuen Verwalter zu beseitigen und mit seinen
Gutsnachbarn in ein freundliches Verhältniß zu treten. Aber Waterloo
und die zweite Restauration trübten diese friedlichen Aussichten. Mit den


eine der wissenschaftlich interessantesten Stellen mit Dinte beschmutzte. Daß
dies zufällig geschehen, ließe sich bis zu juristischer Gewißheit nachweisen;
denn jede perfide Absicht wäre auf anderem Wege viel leichter zu erreichen
gewesen; namentlich hätte er ja die italienischen Custoden gar nicht vorher
zuzuziehen und auf seinen Fund aufmerksam zu machen gebraucht. Aber del
Furia, dessen beleidigte Gelehrteneitelkeit längst nach Rache dürstete, erhob
einen Höllenlärm und sprach in Alfieri'schen Tiraden von seinem Schmerz
über das geschändete Palladium der italienischen Cultur. So lächerlich das
Alles war, so erregte es doch einen ernsten Sturm gegen den armen Cou¬
rier, der die erste Unvorsichtigkeit begangen hatte, gegen die Zumuthung,
seine Longus-Uebersetzung der Prinzessin Elisa Bacciochi zu widmen, eine
halb-ironische Ausrede vorzuschieben, und die zweite Unvorsichtigkeit beging,
in seiner persönlichen Vertheidigung des in Italien allgemein herrschenden
Franzosenhasses zu erwähnen. Hatte er sich die Feindschaft der italienischen
Gelehrten zugezogen, so kam nun auch die Erbitterung der französischen Be¬
hörden hinzu. Plötzlich besann man sich, daß sein Abschied nicht in Ordnung
sei, und so wurde er nicht blos als Textdicb, sondern auch als Deserteur ver¬
folgt. Seine griechische Ausgabe des Longus. die auf seine Kosten und
ohne seinen Namen in nur 52> Exemplaren für Freunde und Kenner gedruckt
war, wurde mit Beschlag belegt. Ja seine Rechtfertigungsschrift durfte nir¬
gends gedruckt werden, und als sich dafür endlich in Rom eine Winkel¬
druckerei fand, wurde der Präfect von Rom, der den Druck nicht zu hindern
gewußt, dafür mit Abseyung bestraft. Indessen vermochten einflußreiche
Freunde den Sturm zu beschwören, nur mußte Courier sich still verhalten.
Im Juli 1812 verließ er Italien und siedelte nach einigen Reisen in die Haupt¬
stadt seines Vaterlandes über. Seine classische Uebersetzung des köstlich nai¬
ven Longus'schen Schäferromans, die eine theilweise Ueberarbeitung der alten
Amyot'schen Uebersetzung desselben war, erschien in Paris 1813 und ist seit¬
dem ein in- Frankreich viel gelesenes Buch geworden.

Bis zur Restauration lebte er ungestört und ununterbrochen seinen Clas-
sikern. Kurz vor Napoleons Rückkehr von Elba verheirathete er sich mit
der Tochter seines gelehrten Freundes C>avier, die viel jünger war als er.
Wir sehen aus seinem Briefwechsel, daß der Entschluß, sein freies'Vagabun¬
denleben definitiv aufzugeben, ihm schwer siel, daß er selbst nach der Hoch'
zeit noch einige Rückfälle hatte und nur allmählich in der verständigen Frau
die theilnehmende Gefährtin seines Lebens und Strebens schätzen und wür¬
digen lernte. Er übernimmt die Verwaltung seines Landgutes, sucht sein
Vermögen zu ordnen, die untreuen Verwalter zu beseitigen und mit seinen
Gutsnachbarn in ein freundliches Verhältniß zu treten. Aber Waterloo
und die zweite Restauration trübten diese friedlichen Aussichten. Mit den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287154"/>
          <p xml:id="ID_1131" prev="#ID_1130"> eine der wissenschaftlich interessantesten Stellen mit Dinte beschmutzte. Daß<lb/>
dies zufällig geschehen, ließe sich bis zu juristischer Gewißheit nachweisen;<lb/>
denn jede perfide Absicht wäre auf anderem Wege viel leichter zu erreichen<lb/>
gewesen; namentlich hätte er ja die italienischen Custoden gar nicht vorher<lb/>
zuzuziehen und auf seinen Fund aufmerksam zu machen gebraucht. Aber del<lb/>
Furia, dessen beleidigte Gelehrteneitelkeit längst nach Rache dürstete, erhob<lb/>
einen Höllenlärm und sprach in Alfieri'schen Tiraden von seinem Schmerz<lb/>
über das geschändete Palladium der italienischen Cultur. So lächerlich das<lb/>
Alles war, so erregte es doch einen ernsten Sturm gegen den armen Cou¬<lb/>
rier, der die erste Unvorsichtigkeit begangen hatte, gegen die Zumuthung,<lb/>
seine Longus-Uebersetzung der Prinzessin Elisa Bacciochi zu widmen, eine<lb/>
halb-ironische Ausrede vorzuschieben, und die zweite Unvorsichtigkeit beging,<lb/>
in seiner persönlichen Vertheidigung des in Italien allgemein herrschenden<lb/>
Franzosenhasses zu erwähnen. Hatte er sich die Feindschaft der italienischen<lb/>
Gelehrten zugezogen, so kam nun auch die Erbitterung der französischen Be¬<lb/>
hörden hinzu. Plötzlich besann man sich, daß sein Abschied nicht in Ordnung<lb/>
sei, und so wurde er nicht blos als Textdicb, sondern auch als Deserteur ver¬<lb/>
folgt. Seine griechische Ausgabe des Longus. die auf seine Kosten und<lb/>
ohne seinen Namen in nur 52&gt; Exemplaren für Freunde und Kenner gedruckt<lb/>
war, wurde mit Beschlag belegt. Ja seine Rechtfertigungsschrift durfte nir¬<lb/>
gends gedruckt werden, und als sich dafür endlich in Rom eine Winkel¬<lb/>
druckerei fand, wurde der Präfect von Rom, der den Druck nicht zu hindern<lb/>
gewußt, dafür mit Abseyung bestraft. Indessen vermochten einflußreiche<lb/>
Freunde den Sturm zu beschwören, nur mußte Courier sich still verhalten.<lb/>
Im Juli 1812 verließ er Italien und siedelte nach einigen Reisen in die Haupt¬<lb/>
stadt seines Vaterlandes über. Seine classische Uebersetzung des köstlich nai¬<lb/>
ven Longus'schen Schäferromans, die eine theilweise Ueberarbeitung der alten<lb/>
Amyot'schen Uebersetzung desselben war, erschien in Paris 1813 und ist seit¬<lb/>
dem ein in- Frankreich viel gelesenes Buch geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Bis zur Restauration lebte er ungestört und ununterbrochen seinen Clas-<lb/>
sikern. Kurz vor Napoleons Rückkehr von Elba verheirathete er sich mit<lb/>
der Tochter seines gelehrten Freundes C&gt;avier, die viel jünger war als er.<lb/>
Wir sehen aus seinem Briefwechsel, daß der Entschluß, sein freies'Vagabun¬<lb/>
denleben definitiv aufzugeben, ihm schwer siel, daß er selbst nach der Hoch'<lb/>
zeit noch einige Rückfälle hatte und nur allmählich in der verständigen Frau<lb/>
die theilnehmende Gefährtin seines Lebens und Strebens schätzen und wür¬<lb/>
digen lernte. Er übernimmt die Verwaltung seines Landgutes, sucht sein<lb/>
Vermögen zu ordnen, die untreuen Verwalter zu beseitigen und mit seinen<lb/>
Gutsnachbarn in ein freundliches Verhältniß zu treten. Aber Waterloo<lb/>
und die zweite Restauration trübten diese friedlichen Aussichten.  Mit den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] eine der wissenschaftlich interessantesten Stellen mit Dinte beschmutzte. Daß dies zufällig geschehen, ließe sich bis zu juristischer Gewißheit nachweisen; denn jede perfide Absicht wäre auf anderem Wege viel leichter zu erreichen gewesen; namentlich hätte er ja die italienischen Custoden gar nicht vorher zuzuziehen und auf seinen Fund aufmerksam zu machen gebraucht. Aber del Furia, dessen beleidigte Gelehrteneitelkeit längst nach Rache dürstete, erhob einen Höllenlärm und sprach in Alfieri'schen Tiraden von seinem Schmerz über das geschändete Palladium der italienischen Cultur. So lächerlich das Alles war, so erregte es doch einen ernsten Sturm gegen den armen Cou¬ rier, der die erste Unvorsichtigkeit begangen hatte, gegen die Zumuthung, seine Longus-Uebersetzung der Prinzessin Elisa Bacciochi zu widmen, eine halb-ironische Ausrede vorzuschieben, und die zweite Unvorsichtigkeit beging, in seiner persönlichen Vertheidigung des in Italien allgemein herrschenden Franzosenhasses zu erwähnen. Hatte er sich die Feindschaft der italienischen Gelehrten zugezogen, so kam nun auch die Erbitterung der französischen Be¬ hörden hinzu. Plötzlich besann man sich, daß sein Abschied nicht in Ordnung sei, und so wurde er nicht blos als Textdicb, sondern auch als Deserteur ver¬ folgt. Seine griechische Ausgabe des Longus. die auf seine Kosten und ohne seinen Namen in nur 52> Exemplaren für Freunde und Kenner gedruckt war, wurde mit Beschlag belegt. Ja seine Rechtfertigungsschrift durfte nir¬ gends gedruckt werden, und als sich dafür endlich in Rom eine Winkel¬ druckerei fand, wurde der Präfect von Rom, der den Druck nicht zu hindern gewußt, dafür mit Abseyung bestraft. Indessen vermochten einflußreiche Freunde den Sturm zu beschwören, nur mußte Courier sich still verhalten. Im Juli 1812 verließ er Italien und siedelte nach einigen Reisen in die Haupt¬ stadt seines Vaterlandes über. Seine classische Uebersetzung des köstlich nai¬ ven Longus'schen Schäferromans, die eine theilweise Ueberarbeitung der alten Amyot'schen Uebersetzung desselben war, erschien in Paris 1813 und ist seit¬ dem ein in- Frankreich viel gelesenes Buch geworden. Bis zur Restauration lebte er ungestört und ununterbrochen seinen Clas- sikern. Kurz vor Napoleons Rückkehr von Elba verheirathete er sich mit der Tochter seines gelehrten Freundes C>avier, die viel jünger war als er. Wir sehen aus seinem Briefwechsel, daß der Entschluß, sein freies'Vagabun¬ denleben definitiv aufzugeben, ihm schwer siel, daß er selbst nach der Hoch' zeit noch einige Rückfälle hatte und nur allmählich in der verständigen Frau die theilnehmende Gefährtin seines Lebens und Strebens schätzen und wür¬ digen lernte. Er übernimmt die Verwaltung seines Landgutes, sucht sein Vermögen zu ordnen, die untreuen Verwalter zu beseitigen und mit seinen Gutsnachbarn in ein freundliches Verhältniß zu treten. Aber Waterloo und die zweite Restauration trübten diese friedlichen Aussichten. Mit den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/442>, abgerufen am 04.07.2024.