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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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und hätte sich lieber zu einem anderen Corps versetzen lassen. Und kaum
hatte der wunderliche Mann seine Epauletten ausgezogen, da trieb es ihn
dennoch mächtig, unter des Kaisers Führung den' großen Feldzug gegen
Oestreich (1809) mitzumachen. So groß war der Zauber des herrschenden
Genius jener Tage! Ein General der Artillerie wollte ihn protegiren; als
Amateur wohnte er der Schlacht bei Wagram bei. Das war nicht mehr
der kleine Krieg, den er bisher gekannt, der immer noch an die Schilderun¬
gen seiner Classiker erinnern konnte. Hier unter des modernen Attila eigener
Führung ergriff ihn jener tiefe Schauder an dem massenhaften Gemetzel und
der kolossalen Zerstörungsarbeit der napoleonischen Kriegskunst, dem er spä¬
ter in einer seiner schönsten und berühmtesten Arbeiten Ausdruck leiht. Wir
weinen das Gespräch bei der Gräfin Albany (Alfieri's Freundin, der Ge¬
mahlin des letzten Stuart), in welchem er die Palmen des Friedens über die
Lorbeeren des Krieges erhebt und die Hohlheit und Nichtigkeit des Kriegs¬
ruhms nachzuweisen sucht. Es wäre unmöglich, aus diesem kunstreich gegliederten
Dialog, in welchem fast jeder Satz eine Perle ist, Einzelnes zu citiren; er
ist ein Ganzes, von dem nichts abgelöst werden darf. Die Argumentation
ist so gewandt unter die Sprechenden vertheilt, daß sie nirgends gipfelt und
eigentlich nur in der Gesammtwirkung liegt. Dabei ist die Discussion so
Natürlich herbeigeführt, daß der Leser nicht an die Tendenz des Verfassers zu
denken braucht. Kurz, unter den zahllosen Versuchen in dieser Gattung wüßten
^ir keinen einzigen so gelungenen.

Von der Insel Lobau aus, wo er bei Wagram gestanden, verließ.Courier
Armee und den Kriegsdienst und lebte die nächsten Jahre meistentheils
W Italien als Privatgelehrter. Aber auch auf diesem friedlichen Gebiete
sollten ihm die Emotionen und Abenteuer nicht erspart bleiben. In seinem
Arglos kecken Wesen war Etwas, das sie herausforderte, und so verleugnete
er in dieser Hinsicht die Einwirkungen seiner Zeit nicht, welche allen thatkräf¬
tigen Naturen einen gewissermaßen kriegerischen Charakter ausprägte. Bekannt
^se sein großer Proceß um einen Dintenklecks. Die Begebenheit hat sich im
Wesentlichen folgendermaßen zugetragen. In einem Benedictinerkloster hatte
Courier eine vollständige Handschrift des berühmten griechischen Schäfer-
romans Daphnis und Chloe von Longus entdeckt. Hier war die Lücke des
ersten Buches ausgefüllt, welche alle bisherigen Ausgaben verunstaltet hatte.
Als die betreffende Manuscriptensammlung später der laurentianischen Biblio¬
thek zu Florenz einverleibt worden war, machte Courier den Custoden
derselben, einen Signore del Furia, der aus demselben Manuscript aesopische
Fabeln edirt hatte, darauf aufmerksam und unternahm dann, theilweise mit
Furia's und eines andern italienischen Bibliothekars Hilfe, theilweise allein
die Abschrift des Manuskriptes. Dabei begegnete es ihm, daß er gerade


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und hätte sich lieber zu einem anderen Corps versetzen lassen. Und kaum
hatte der wunderliche Mann seine Epauletten ausgezogen, da trieb es ihn
dennoch mächtig, unter des Kaisers Führung den' großen Feldzug gegen
Oestreich (1809) mitzumachen. So groß war der Zauber des herrschenden
Genius jener Tage! Ein General der Artillerie wollte ihn protegiren; als
Amateur wohnte er der Schlacht bei Wagram bei. Das war nicht mehr
der kleine Krieg, den er bisher gekannt, der immer noch an die Schilderun¬
gen seiner Classiker erinnern konnte. Hier unter des modernen Attila eigener
Führung ergriff ihn jener tiefe Schauder an dem massenhaften Gemetzel und
der kolossalen Zerstörungsarbeit der napoleonischen Kriegskunst, dem er spä¬
ter in einer seiner schönsten und berühmtesten Arbeiten Ausdruck leiht. Wir
weinen das Gespräch bei der Gräfin Albany (Alfieri's Freundin, der Ge¬
mahlin des letzten Stuart), in welchem er die Palmen des Friedens über die
Lorbeeren des Krieges erhebt und die Hohlheit und Nichtigkeit des Kriegs¬
ruhms nachzuweisen sucht. Es wäre unmöglich, aus diesem kunstreich gegliederten
Dialog, in welchem fast jeder Satz eine Perle ist, Einzelnes zu citiren; er
ist ein Ganzes, von dem nichts abgelöst werden darf. Die Argumentation
ist so gewandt unter die Sprechenden vertheilt, daß sie nirgends gipfelt und
eigentlich nur in der Gesammtwirkung liegt. Dabei ist die Discussion so
Natürlich herbeigeführt, daß der Leser nicht an die Tendenz des Verfassers zu
denken braucht. Kurz, unter den zahllosen Versuchen in dieser Gattung wüßten
^ir keinen einzigen so gelungenen.

Von der Insel Lobau aus, wo er bei Wagram gestanden, verließ.Courier
Armee und den Kriegsdienst und lebte die nächsten Jahre meistentheils
W Italien als Privatgelehrter. Aber auch auf diesem friedlichen Gebiete
sollten ihm die Emotionen und Abenteuer nicht erspart bleiben. In seinem
Arglos kecken Wesen war Etwas, das sie herausforderte, und so verleugnete
er in dieser Hinsicht die Einwirkungen seiner Zeit nicht, welche allen thatkräf¬
tigen Naturen einen gewissermaßen kriegerischen Charakter ausprägte. Bekannt
^se sein großer Proceß um einen Dintenklecks. Die Begebenheit hat sich im
Wesentlichen folgendermaßen zugetragen. In einem Benedictinerkloster hatte
Courier eine vollständige Handschrift des berühmten griechischen Schäfer-
romans Daphnis und Chloe von Longus entdeckt. Hier war die Lücke des
ersten Buches ausgefüllt, welche alle bisherigen Ausgaben verunstaltet hatte.
Als die betreffende Manuscriptensammlung später der laurentianischen Biblio¬
thek zu Florenz einverleibt worden war, machte Courier den Custoden
derselben, einen Signore del Furia, der aus demselben Manuscript aesopische
Fabeln edirt hatte, darauf aufmerksam und unternahm dann, theilweise mit
Furia's und eines andern italienischen Bibliothekars Hilfe, theilweise allein
die Abschrift des Manuskriptes. Dabei begegnete es ihm, daß er gerade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/441>, abgerufen am 04.07.2024.