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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Napoleon die Brigands zu nennen pflegte, mehr Menschlichkeit und Aner¬
kennung des Kriegsrechts gefunden, als diese bei den französischen Truppen.

Noch einen Zug französischer Herrscherkunst, den Courier (aus Neapel
im Juli 1807) mittheilt, möchte ich den Geschichtsschreibern jener Epoche zur
Beachtung empfehlen.

"Was ich Ihnen vom Marquis Rodio sagen kann, ist nur, daß sein Tod
hier für einen Mord aus elender Rachsucht gilt. Man grollte ihm, weil er,
als Minister und Günstling der Königin, der Heirath zwischen einem nea¬
politanischen Prinzen oder einer Prinzessin mit irgend einem Gliede der
"Familie" widerstrebte. Der Kaiser hat die Schwäche aller Emporkömm¬
linge, sich abschlägigen Antworten auszusetzen. Da und anderer Orten er¬
hielt er Körbe. Der arme Rodio, der nach der Hand an der Spitze einiger
Insurgenten gestanden, wurde trotz seiner öffentlichen und aufrichtigen Capi-
tulation gefangen, vor ein Kriegsgericht gestellt und merkwürdigerweise
freigesprochen. Er schrieb es seiner Frau und hielt sich für gerettet, aber der
Kaiser ließ ihn wieder verhaften und von denselben Richtern noch einmal
richten, die ihn diesmal nach bestimmter Instruction und Warnung verur-
theilten. Man erschoß ihn von hinten als "Verräther und Rebell an seiner
legitimen Obrigkeit." Das scheint Ihnen stark; ich weiß andere Züge, die
ebenso stark sind."--Und Courier erzählt nun noch eine Reihe ähnlicher
Schandthaten.

Wenn ihm die Freunde nach solchen Expectorationen ihr Erstaunen aus¬
sprechen, wie er bei seiner freien" Gesinnung und seinem wissenschaftlichen
Eifer dem Kriegshandwerk treu bleiben könne, antwortet er: "Glaubt nicht
daß ich meine Zeit verliere; ich studire hier besser als je, vom Morgen bis
zum Abend, in der Weise des Homer, der keine Bücher hatte. Er studirte
die Menschen, und man steht sie nirgends wie hier zu Lande. Homer machte
den Krieg mit, Ihr dürft daran nicht zweifeln. Es war der Krieg der
Wilden. Er war Adjutant bei Agamemnon. oder wenigstens dessen Schreiber.
Auch Thucydides würde ohne das nicht jenes wahre und tiefe Verständniß
haben; das lernt sich nicht in den Schulen. Vergleicht nur einmal Livius
mit Sallust; der Eine spricht goldene Worte, sein Stil ist vollendet; der
Andere weiß, wovon er spricht. Und was hindert mich, eines Tages---?
Denn ich habe gesehen, aufgeschrieben, Vieles gesammelt -- --"

Ein andermal spricht er davon, wie sehr sich die Erpedition nach AegyP"
ten zu einer erzählenden Darstellung im Sinne der alten Meister, besonders
Xenophon's, eignen würde. Aber diese Künstlerträume sollten nicht in Er¬
füllung gehen, obgleich er nicht lange mehr in der Armee verweilte. Courier
nahm seinen Abschied nur deshalb, weil ihm ein Urlaub zur Ordnung seiner
häuslichen Angelegenheiten hartnäckig verweigert ward. Er hatte lange gezögert


Napoleon die Brigands zu nennen pflegte, mehr Menschlichkeit und Aner¬
kennung des Kriegsrechts gefunden, als diese bei den französischen Truppen.

Noch einen Zug französischer Herrscherkunst, den Courier (aus Neapel
im Juli 1807) mittheilt, möchte ich den Geschichtsschreibern jener Epoche zur
Beachtung empfehlen.

„Was ich Ihnen vom Marquis Rodio sagen kann, ist nur, daß sein Tod
hier für einen Mord aus elender Rachsucht gilt. Man grollte ihm, weil er,
als Minister und Günstling der Königin, der Heirath zwischen einem nea¬
politanischen Prinzen oder einer Prinzessin mit irgend einem Gliede der
„Familie" widerstrebte. Der Kaiser hat die Schwäche aller Emporkömm¬
linge, sich abschlägigen Antworten auszusetzen. Da und anderer Orten er¬
hielt er Körbe. Der arme Rodio, der nach der Hand an der Spitze einiger
Insurgenten gestanden, wurde trotz seiner öffentlichen und aufrichtigen Capi-
tulation gefangen, vor ein Kriegsgericht gestellt und merkwürdigerweise
freigesprochen. Er schrieb es seiner Frau und hielt sich für gerettet, aber der
Kaiser ließ ihn wieder verhaften und von denselben Richtern noch einmal
richten, die ihn diesmal nach bestimmter Instruction und Warnung verur-
theilten. Man erschoß ihn von hinten als „Verräther und Rebell an seiner
legitimen Obrigkeit." Das scheint Ihnen stark; ich weiß andere Züge, die
ebenso stark sind."--Und Courier erzählt nun noch eine Reihe ähnlicher
Schandthaten.

Wenn ihm die Freunde nach solchen Expectorationen ihr Erstaunen aus¬
sprechen, wie er bei seiner freien" Gesinnung und seinem wissenschaftlichen
Eifer dem Kriegshandwerk treu bleiben könne, antwortet er: „Glaubt nicht
daß ich meine Zeit verliere; ich studire hier besser als je, vom Morgen bis
zum Abend, in der Weise des Homer, der keine Bücher hatte. Er studirte
die Menschen, und man steht sie nirgends wie hier zu Lande. Homer machte
den Krieg mit, Ihr dürft daran nicht zweifeln. Es war der Krieg der
Wilden. Er war Adjutant bei Agamemnon. oder wenigstens dessen Schreiber.
Auch Thucydides würde ohne das nicht jenes wahre und tiefe Verständniß
haben; das lernt sich nicht in den Schulen. Vergleicht nur einmal Livius
mit Sallust; der Eine spricht goldene Worte, sein Stil ist vollendet; der
Andere weiß, wovon er spricht. Und was hindert mich, eines Tages---?
Denn ich habe gesehen, aufgeschrieben, Vieles gesammelt — —"

Ein andermal spricht er davon, wie sehr sich die Erpedition nach AegyP"
ten zu einer erzählenden Darstellung im Sinne der alten Meister, besonders
Xenophon's, eignen würde. Aber diese Künstlerträume sollten nicht in Er¬
füllung gehen, obgleich er nicht lange mehr in der Armee verweilte. Courier
nahm seinen Abschied nur deshalb, weil ihm ein Urlaub zur Ordnung seiner
häuslichen Angelegenheiten hartnäckig verweigert ward. Er hatte lange gezögert


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[0440] Napoleon die Brigands zu nennen pflegte, mehr Menschlichkeit und Aner¬ kennung des Kriegsrechts gefunden, als diese bei den französischen Truppen. Noch einen Zug französischer Herrscherkunst, den Courier (aus Neapel im Juli 1807) mittheilt, möchte ich den Geschichtsschreibern jener Epoche zur Beachtung empfehlen. „Was ich Ihnen vom Marquis Rodio sagen kann, ist nur, daß sein Tod hier für einen Mord aus elender Rachsucht gilt. Man grollte ihm, weil er, als Minister und Günstling der Königin, der Heirath zwischen einem nea¬ politanischen Prinzen oder einer Prinzessin mit irgend einem Gliede der „Familie" widerstrebte. Der Kaiser hat die Schwäche aller Emporkömm¬ linge, sich abschlägigen Antworten auszusetzen. Da und anderer Orten er¬ hielt er Körbe. Der arme Rodio, der nach der Hand an der Spitze einiger Insurgenten gestanden, wurde trotz seiner öffentlichen und aufrichtigen Capi- tulation gefangen, vor ein Kriegsgericht gestellt und merkwürdigerweise freigesprochen. Er schrieb es seiner Frau und hielt sich für gerettet, aber der Kaiser ließ ihn wieder verhaften und von denselben Richtern noch einmal richten, die ihn diesmal nach bestimmter Instruction und Warnung verur- theilten. Man erschoß ihn von hinten als „Verräther und Rebell an seiner legitimen Obrigkeit." Das scheint Ihnen stark; ich weiß andere Züge, die ebenso stark sind."--Und Courier erzählt nun noch eine Reihe ähnlicher Schandthaten. Wenn ihm die Freunde nach solchen Expectorationen ihr Erstaunen aus¬ sprechen, wie er bei seiner freien" Gesinnung und seinem wissenschaftlichen Eifer dem Kriegshandwerk treu bleiben könne, antwortet er: „Glaubt nicht daß ich meine Zeit verliere; ich studire hier besser als je, vom Morgen bis zum Abend, in der Weise des Homer, der keine Bücher hatte. Er studirte die Menschen, und man steht sie nirgends wie hier zu Lande. Homer machte den Krieg mit, Ihr dürft daran nicht zweifeln. Es war der Krieg der Wilden. Er war Adjutant bei Agamemnon. oder wenigstens dessen Schreiber. Auch Thucydides würde ohne das nicht jenes wahre und tiefe Verständniß haben; das lernt sich nicht in den Schulen. Vergleicht nur einmal Livius mit Sallust; der Eine spricht goldene Worte, sein Stil ist vollendet; der Andere weiß, wovon er spricht. Und was hindert mich, eines Tages---? Denn ich habe gesehen, aufgeschrieben, Vieles gesammelt — —" Ein andermal spricht er davon, wie sehr sich die Erpedition nach AegyP" ten zu einer erzählenden Darstellung im Sinne der alten Meister, besonders Xenophon's, eignen würde. Aber diese Künstlerträume sollten nicht in Er¬ füllung gehen, obgleich er nicht lange mehr in der Armee verweilte. Courier nahm seinen Abschied nur deshalb, weil ihm ein Urlaub zur Ordnung seiner häuslichen Angelegenheiten hartnäckig verweigert ward. Er hatte lange gezögert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/440>, abgerufen am 04.07.2024.