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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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eben im Wesen des Humors. Auch die Satire hat keinen Werth, selbst
keinen ästhetischen, wenn sie sich nicht von dem Hintergrunde einer sittlichen
Weltanschauung abhebt. Bei Niemandem springt das deutlicher in die Augen,
als bei Courier: die sittliche Entrüstung macht ihn zum Schriftsteller; er wird
es, ohne es zu wollen. Seine Schriften sind Gelegenheitsschriften und seine
Briefe haben den Werth geschichtlicher Documente. Nachdem er uns gezeigt,
wie man einen Kaiser macht, schildert er uns, wie ein Hof entsteht, an dem
neuen Königshof von Neapel unter Joseph Bonaparte, und die üppig empor¬
schießende Corruption. die sich um den neuen Hof rankt. Denn kaum ist ein
neues Königlein creirt, und wäre es ein so erbärmlicher Satrap seines kaiser¬
lichen Bruders, wie es der gute, schwache Joseph war, so siedelt sich um ihn
eine Camarilla an voll Schmeichelei, Lakaienthum, Intrigue und Habgier.
In jenen abenteuerlichen und raschlebigen Zeiten ging der Gesinnungswechsel
erstaunlich geschwind von statten, und die alten strammen Republikaner in
Höflinge verwandelt zu sehen, die zum Theil jetzt desto tiefer krochen und
schweifwedelten und sich heranbettelten, je heftiger sie früher verketzert und
verfolgt hatten, war für Courier ein Schauspiel, das ihn beinahe zum
Misanthropen gemacht hätte. Die neuen Machthaber zogen eine Menge Ge¬
sinde! aus Frankreich in die eroberten Länder; sie sogen das arme Land
familienweise aus. So erzählt uns Courier von König Joseph's Lieblings-
koch, der seine sämmtlichen Verwandten in gute Stellungen eingeschoben hatte
und dem Könige auf desfallsige Vorstellungen dreist antwortete: "Sire, das
ist meine Dynastie!" --

Für unseren Helden fiel nichts ab von Gewinnst und Ehren, desto
reichlicher von den Lasten des Kriegs. Während seine alten Kameraden in
galonnirten Uniformen, bedeckt mit-Titeln und Orden, bei Hofe paradirten,
mußte er sich mit Banditen herumschlagen, zu Wasser und zu Lande sein
nacktes Leben sauer vertheidigen. Bald wird er bis auf die Haut ausge¬
plündert, sodaß ihm kein Hemd übrig bleibt; der Dankbrief für das Hemd,
mit dem ihn ein höherer Offizier aus dieser Noth rettet, gehört zu seinen
reizendsten Improvisationen. Dann hat er einmal einen Artillerietransport
an die Küste zu geleiten; die damit verknüpften Schwierigkeiten werden durch
mehr oder weniger beabsichtigte Indiskretionen noch erhöht, Courier überwindet
sie mit außerordentlicher Anstrengung und wird dafür mit Vorwürfen be¬
lohnt. Sein verlorenes Gepäck, seine Pferde, nichts wird ihm wiederersetzt.
Die subordinationswidrige Art, mit der er gegen Ungerechtigkeiten und Ver¬
leumdungen reclamirt, ist wohl ebenso unerhört in den Annalen moderner
Offiziercorps, als der classische Stil seiner Reclamationen.

Unter Anderem schreibt er einmal dem General Dulauloy von Tarent
aus (den 28. Mai 1806):


eben im Wesen des Humors. Auch die Satire hat keinen Werth, selbst
keinen ästhetischen, wenn sie sich nicht von dem Hintergrunde einer sittlichen
Weltanschauung abhebt. Bei Niemandem springt das deutlicher in die Augen,
als bei Courier: die sittliche Entrüstung macht ihn zum Schriftsteller; er wird
es, ohne es zu wollen. Seine Schriften sind Gelegenheitsschriften und seine
Briefe haben den Werth geschichtlicher Documente. Nachdem er uns gezeigt,
wie man einen Kaiser macht, schildert er uns, wie ein Hof entsteht, an dem
neuen Königshof von Neapel unter Joseph Bonaparte, und die üppig empor¬
schießende Corruption. die sich um den neuen Hof rankt. Denn kaum ist ein
neues Königlein creirt, und wäre es ein so erbärmlicher Satrap seines kaiser¬
lichen Bruders, wie es der gute, schwache Joseph war, so siedelt sich um ihn
eine Camarilla an voll Schmeichelei, Lakaienthum, Intrigue und Habgier.
In jenen abenteuerlichen und raschlebigen Zeiten ging der Gesinnungswechsel
erstaunlich geschwind von statten, und die alten strammen Republikaner in
Höflinge verwandelt zu sehen, die zum Theil jetzt desto tiefer krochen und
schweifwedelten und sich heranbettelten, je heftiger sie früher verketzert und
verfolgt hatten, war für Courier ein Schauspiel, das ihn beinahe zum
Misanthropen gemacht hätte. Die neuen Machthaber zogen eine Menge Ge¬
sinde! aus Frankreich in die eroberten Länder; sie sogen das arme Land
familienweise aus. So erzählt uns Courier von König Joseph's Lieblings-
koch, der seine sämmtlichen Verwandten in gute Stellungen eingeschoben hatte
und dem Könige auf desfallsige Vorstellungen dreist antwortete: „Sire, das
ist meine Dynastie!" —

Für unseren Helden fiel nichts ab von Gewinnst und Ehren, desto
reichlicher von den Lasten des Kriegs. Während seine alten Kameraden in
galonnirten Uniformen, bedeckt mit-Titeln und Orden, bei Hofe paradirten,
mußte er sich mit Banditen herumschlagen, zu Wasser und zu Lande sein
nacktes Leben sauer vertheidigen. Bald wird er bis auf die Haut ausge¬
plündert, sodaß ihm kein Hemd übrig bleibt; der Dankbrief für das Hemd,
mit dem ihn ein höherer Offizier aus dieser Noth rettet, gehört zu seinen
reizendsten Improvisationen. Dann hat er einmal einen Artillerietransport
an die Küste zu geleiten; die damit verknüpften Schwierigkeiten werden durch
mehr oder weniger beabsichtigte Indiskretionen noch erhöht, Courier überwindet
sie mit außerordentlicher Anstrengung und wird dafür mit Vorwürfen be¬
lohnt. Sein verlorenes Gepäck, seine Pferde, nichts wird ihm wiederersetzt.
Die subordinationswidrige Art, mit der er gegen Ungerechtigkeiten und Ver¬
leumdungen reclamirt, ist wohl ebenso unerhört in den Annalen moderner
Offiziercorps, als der classische Stil seiner Reclamationen.

Unter Anderem schreibt er einmal dem General Dulauloy von Tarent
aus (den 28. Mai 1806):


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/438>, abgerufen am 04.07.2024.